Symphonie Nr. 11
Zur Vorgeschichte
Es war die Zeit der Entfremdung zwischen Schostakowitsch und seinem wichtigsten Interpreten, Jegenij Mrawinskij. Die Uraufführung der Elften dirigierte am 30. Oktober 1957 Natan Rachlin in Moskau. Wie der Untertitel verrät, geht es in diesem Werk - wie früher schon manchmal ganz offiziell bei diesem Komponisten - um einen Kommentar zur Geschichte Rußlands. Das Jahr 1905 spielt auf den sogenannten »Blutsonntag« und die gescheiterte Revolution gegen Nikolaus II. an. Die Petersburger Palastwache verübte einen Massenmord an friedlich demonstrierenen Arbeitern. Die Symphonie setzt diesen Ereignissen ein tönendes Denkmal - doch mangelt es nicht an Kommentaren, die behaupten Schostakowitsch hätte die Vorgänge von 1905 nur vorgeschoben und in Wahrheit ein Portrait der jüngeren russischen Geschichte geschrieben, und der Grauen, die das Volk unter der Diktatur Josef Stalins erleben mußte.Ablauf
Schostakowisch läßt die vier Sätze der Symphonie pausenlos ineinander übergehen und erzählt - zumindest offiziell - die Geschichte des »Blutsonntags« mit drastischen erzählerischen Mitteln:
Der Palastplatz (Adagio) Der 9. Jänner (Allegro - Adagio) Ewiges Andenken (Adagio) Sturmgeläute (Allegro non troppo - Adagio - Allegro)
Der erste Satz nimmt eine gespannte Stimmung wieder auf, wie sie im ersten Satz der Sechsten Symphonie geherrscht hat - nur daß sich diesmal die Katastrophe, die erwartet wird, tatsächlich ereignet: Zunächst dominieren russische Volksmelodien und eine leise Hoffnung, die das protestierende Volk empfindet.
Doch bricht im zweiten Satz der Sturm los. Eine heftig bewegte Fuge der Streicher und kraftvolle Akzente von Blechbläsern und Schlagzeug schildern das Massaker am Vorplatz des St. Petersburger Zarenpalastes. Zuletzt erklingt das Hauptthema des Kopfsatzes - und verströmt nun die Trauer der enttäuschten Hoffnung.
Eine Elegie schließt sich an, in die Schostakowitsch ein sowjetsches Propagandalied (»unsterbliche Opfer«) integriert.
Das Finale aber bringt die Hoffnung auf eine bessere Zukunft zum Klingen - und wurde von den zeitgenössischen Kommentatoren als Lobpreis des sowjetischen Systems gedeutet. Der Komponist hat den Zusammenbruch des Kommunismus in den Jahren 1989/90 nicht erleben dürfen; er hätte uns andernfalls vielleicht eine kontrastierende Interpretation seiner Musik verraten . . .
Mit seiner → Zwölften Symphonie setzte Schostakowitsch den hier eingeschlagenen Kurs fort.