Symphonie Nr. 12
»Das Jahr 1917«
Der Tod Josef Stalins und das darauf folgende Tauwetter brachten auch für Dimitri Schostakowitsch, seine künstlerische Entwicklung, aber auch sein Leben Erleichterungen. 1961 konnte der Komponist im Verein mit den Dirigenten Jewgenij Mrawinsky und Genadij Roschdestwenskij auf Tournee gehen. Man bereiste Großbritannien, Frankreich, Italien, belgien, die Schweiz und Österreich. Der Erfolg war enorm. Vor allem die Symphonie Nummer 5 und 8 kamen glänzend an.
Und die Welt wartete gespannt: Was wurde Schostakowitsch in der Folge hervorbringen?
Der wälzte bereits während der Komposition der Symphonie Nr. 11, die der Erinnerung an die Revolution von 1905 gewidmet war, Pläne für eine weitere monumentale Symphonie.
Während des Aufenthalts in Paris erklärte er Journalisten sogar bereits, worum es in der neuen Symphonie gehen würde:
Gegenwärtig beschäftige ich mich in Gedanken immer stärker mit einem Werk über die unsterblichen Gestalt Wladimir Lenins.
Das Programm der Symphonie
In der russischen Zeitschrift Musikleben wurde Schostakowitsch wenig später noch konkreter:
Von den vier Sätzen der Symphonie sind zwei fast fertig. Da die Idee in mir herangereift ist, erlaube ich mir, den Inhalt der Symphonie Nr 10 zu erzählen:
Der erste Satz ist eine musikalische Erzählung von Ankunft Lenins in Petrograd im April 1917 und seine Begegnung mit den Arbeitern.
Der zweite Satz spiegelt die historischen Ereignisse vom 7. November wieder.
Der dritte Satz erzählt vom Krieg und der vierte Satz schließlich vom Sieg der Großen Sozialistischen Revolution.
In der endgültigen Fassung .iegen die Dinge dann ein wenig anders. Der erste Satz trägt den Titel »Revolutionäres Petrograd«, der zweite schildert nicht Lenins Ankunft in der Stadt, sondern heißt »Rasliw«, spielt also auf den Ort an, An dem Lenin sich verborgen hatte. Der dritte Satz beschreibt nicht den Krieg sondern nennt sich »Aurora« - nach jedem Kriegsschiff, dass die legendären Kanonenschüsse abgefeuert hat, mit denen die Revolution begann.
Es scheint, daß der Komponist Schwierigkeiten hatte, einen überzeugenden Schluß für seine Symphonie zu finden. Das eigentliche Finale entstand dann aber in erstaunlicher Geschwindigkeit und nennt sich »Morgenröte der Menschheit«.
Im sowjetischen Rundfunk erklärte Schostakowitsch:
Es war mein Wunsch, daß die Symphonie Nummer 12 zum XX. Parteitag der KPdSU fertig werde. Und es ist mir gelungen. Es ist mir gelungen, die Symphonie in den historischen Tagen unseres Vaterlandes zu beenden.
Nun hat dieser Parteitag des Jahres 1961 tatsächlich die »Entstalinisierung« vorangetrieben. Doch bleibt auch im Rückblick - uns erst recht für die Zeitgenossen im Westen der Kotau vor den sowjetischen Diktatoren ziemlich unverständlich. Er provozierte entsprechend kritische Kommentare über Schostakowitschs Zwölfte. Selbst Boigraph Krzysztof Meyer stellt das Werk qualitativ deutlich unter die vorangegangenen Stücke. Auf die amerikanische Erstaufführung, die Leopold Stokowski dirigierte, reagierte die Kritik harsch. In der New York Times erschien ein Artikel, in dem der Autor behauptete, es gäbe zwei Schostakowitschs, einen, der komplizierte, raffinierte Musik für sich, die Kenner und die Zukunft schrieb, und einen, der Musik wie diese Symphonie hervorbrachte. Nach der britischen Erstaufführung beim Edinburgh Fesival stieß Peter Heyworth ins selbe Horn:
Woran mag es liegen, daß ein Komponist, dem wir herrliche Musik oller menschlicher Wärme, Humor und geistvoller Ironie verdanken, uns heute eine so monumentale Trivitalität darbeitet?
Mit seiner → Dreizehnte Symphonie, ...