Symphonie Nr. 6
1939
Largo
Allegro
Presto
Dmitri Schostakowitsch hat sein Publikum und die Parteigranden der Sowjetunion mit jeder neuen Symphonie überrascht. Die Fünfte klang nach dem Verdikt gegen die Vierte Symphonie wie eine Rücknahme der revolutionären Klangsprache der damals verbotenen Oper Lady Macbeth von MzenskDer Komponist hatte nach den heftigen Angriffen seine stilistisch ähnlich gelagerte Vierte vor der Uraufführung freiwillig zurückgezogen. Sich gegen die Gebote der kommunistischen Partei zu stellen, die Volksnähe und leicht verständliche Klangsprache einforderte, um eine Musik »für alle« zu sichern, konnte lebensgefährlich sein. Das wußte Schostakowitsch. Ab der Fünten schreibt er quasi zwischen den Zeilen und relativiert hie und da mit kaum merklichen Zwischentönen, was seine Musik für ein unvorbereitetes Publikum aussagen konnte. Das Finale der Fünften konnte man als affirmative Botschaft verstehen - aber auch als Abbild eines Menschen, der zum Jubeln gezwungen wurde.
Folgerichtig läßt Schostakowitsch nun zwei Jahre später in seiner Sechsten Symphonie den üblichen schnellen Kopfsatz aus und beginnt mit dem langsamen Satz, einem weit gespannten Largo, das introvertiert und in sich verschlossen, grüblerisch sich über zwanzig Minuten erstreckt und damit fast zwei Drittel des Werks beansprucht. Die Faktur der Musik ist rhapsodisch, als wollte er kein eigentliches Thema finden, spielt Schostakowitsch mit den Elementen des Symphoniebeginns und stellt sie mosaikartig immer neu zusammen. Im Zentrum des Satzes entfaltet sich nach zwei vergeblich sich aufbäumenden Steigerungswellen über Streichertrilllern ein einsames Flöten-Rezitativ von sehr beredtem, aber introvertiert-verschlossenem Charakter. SDie Spannung, die sich aufbaut, wird beinah unerträglich. Doch die befürchtete Katastrophe tritt nicht ein. Der Satz verklingt still und bewahrt sein Geheimnis. Es folgen zwei rasche Sätze, ein freches Scherzo, das von kammermusikalischen Texturen zu beängstigenden Entladungen findet, und ein rasanter Final-Galopp mit geradezu zirkushaftem Schluß - jeder der Sätze dauert gerade einmal sechs bis sieben Minuten. Schon diese Disproportion macht stutzig und läßt ganz spezifische Aussagen hinter dem Werk vermuten - doch hat sich Schostakowitsch in diesem Fall ausgeschwiegen. Die Symphonie entstand im Sommer 1939 und nur, daß ihm die Arbeit diesmal schwerer als sonst gefallen war, entnehmen wir dem Briefwechsel. Jewgeni Mrawinsky war wieder der Uraufführungsdirigent und sah sich gezwungen, das Finale zu wiederholen, das vom Publikum mit nicht enden wollendem Jubel quittiert wurde.
Die Kritik war hingegen skeptisch und monierte die übliche symphonische Form. Das Werk sei
ein Rumpf ohne Kopf.
Mrawinsky freilich war begeistert und setzte die Symphonie immer wieder aufs Programm - er sollte später im Umgang mit Schostakowitschs Unbotmäßigkeiten nicht immer so viel Mut zeigen ( → Symphonie Nr. 9)
Auch das Ausland war interessiert: Leopold Stokowski dirigierte die als erster jenseits der sowjetischen Grenzen, 1940. Den sowjetischen Kulturpolitikern war die Sache freilich nicht geheuer. Sie wollte sogar eine Sondersitzung wegen dieser Komposition einberufen. Schostakowitsch war verzweifelt:
Offenbar habe ich es nicht richtig gemacht. Selbst wenn ich mich noch so sehr anstrenge, micht nicht zu kränken, krampft es mir das Herz zusammen. Das Alter. Die Nerven. Das alles wird spürbar.
Das war vor dem Angriff Hitler-Deutschlands auf das Reich Stalins. Mit seiner → Siebenten Symphonie wird Schostakowitsch dann bereits unmittelbar auf den Krieg reagieren . . .