Symphonie Nr. 7
Die Entstehung der Siebenten Symphonie gehört zu den Ungeheuerlichkeiten der Musikgeschichte. Dmitri Schostakowitsch hatte darauf bestanden, in seiner Heimatstadt Leningrad zu verharren, obwohl die sowjetische Führung den Künstlern angeboten hatte, sich weiter im Osten des Landes in Sicherheit zubringen.
In der belagerten Stadt
Schostakowitsch blieb in der von den deutschen belagerten Stadt und komponierte als tönendes Zeichen des Widerstands Seine siebente Symphonie. Ausdrücklich meinte er:
Meine Symphonie Nummer 7 widme ich unseren Kampf gegen den Faschismus, unserem sicheren Sieg über den Feind und meiner Heimatstadt Leningrad.
Schostakowitsch war dabei kein Einzelkämpfer. Während der Blockade entstanden, wie Schostakowitschs Biograph Krzysztof Meyer vorrechnet, 192 Werke, darunter ganze Opern und Ballette. Doch die russische und die internationale Öffentlichkeit beachtete ausschließlich Schostakowitsch Symphonie.
Der ursprüngliche Plan des Komponisten sah nach dem Vorbild der zweiten und dritten Sinfonie Einen einsätzigen Verlauf vor, an dessen Schluß der Chor einsetzen sollte. Diese Pläne verwarf Schostakowitsch bald und schrieb seine bis dahin längste Symphonie.
Der gewaltige Kopfsatz
Der erste Satz dauert allein etwa eine halbe Stunde und er Komponist betonte, ganz bewußt von der üblichen symphonischen Form abgewichen zu sein:
Als ich den ersten Satz schrieb, mußte ich auf die traditionelle Durchführung Verzichten und an ihre Stelle eine neue, kontrastierende Mittelepisode setzen. eine solche Form ist, wie mir scheint, in der symphonischen Musik nicht häufig anzutreffen. Diese Idee entwickelte sich Aus dem Programm Des Werks.
Das Herannahen des Feindes
Tatsächlich gelang Schostakowitsch mit diesem ungewöhnlichen Satz einer der spektakulärsten Effekte der jüngeren Musikgeschichte: Die von ihm erwähnte »Mittelepisode« schildert nach dem Vorbild von Maurice Ravels Bolero über unablässigem Getrommel und in ununterbrochen anschwellender Dynamik das Herannahmen des feindlichen Heeres. Auf dem Höhepunkt ballt sich der Orchesterklang zu bis dahin im Konzertsaal unbekannte Intensität: Acht Hörner, sechs Trompeten und sechs Posaunen sind aufgeboten, dazu Schlagwerk und das im äußersten Fortissimo aufspielende gesamte Symphonieorchester.
Dieser theatralische Effekt hat seine Wirkung nicht verfehlt. Die Botschaft der Symphonie wurde nicht nur in der Sowjetunion, sondern auch im Westen sofort verstanden und angenommen. Das Werk wurde zur meistgespielten Symphonie in jenen Jahren.
Schaffensrausch
In einem wahren Schaffensrausch beendete Schostakowitsch auch die weiteren Sätze seines Werks. Die Umstände beschreibt der Komponist selbst anschaulich:
Den ersten Satz beendete ich am 3. September, den zweiten am 17. und den dritten am 29.
Ich arbeitete Tag und Nacht. Manchmal vielen Bomben rundum, und die Flugabwehr trat in Aktion. Aber ich unterbrach meine Arbeit nicht für einen Augenblick. Am 25. September feierte ich meinen 35. Geburtstag - Und an diesem Tag arbeitete ich noch mehr als sonst.
Evakuierung
Erst im Oktober 1943 stimmte der Komponist zu, mit seiner Familie evakuiert zu werden. In Kuibyschew beendete er am 27. Dezember 1941 die Partitur seiner Siebenten. Das Orchester des Moskauer Bolschoitheaters, das ebenfalls evakuiert worden war, wurde dazu ausersehen, die Symphonie zur Uraufführung zu bringen. Wegen der immensen Orchesterbesetzung mußten sogar Musike, die zum Frontdienst abkommandiert worden waren, zurückgerufen werden.Samuil Samossud dirigierte.
Die Uraufführung war ein ebenso großer Erfolg, wie alle nachfolgenden Reprisen.
Manifest der Hoffnung
Für die russische Bevölkerung war dieses Werk so etwas wie ein Manifest der Hoffnung. Vor der ersten Aufführung in Moskau herrschte besondere Hochspannung. Die Deutschen Truppen waren im Vormarsch auf die Hauptstadt. So kam der Symphonie Nr. 7 auch hier politische Bedeutung zu: Das Publikum konnte den Vormarsch des Feindes auch in der Musik hören - und bekam die tröstliche Botschaft von der Hoffnung auf den Sieg gleich mitgeliefert. In der kurzen Pause zwischen dem zweiten und dem dritten Satz erschien ein Beamter auf dem Podium und verkündete , daß Fliegeralarm gegeben werden müsse. Deutsche Bomber seien im Anflug auf Moskau. Dennoch ging niemand aus dem Saal! Die Symphonie wurde zu Ende gespielt und der Komponist triumphal gefeiert. Ein sowjetischer Musikwissenschaftler faßte seine Eindrücke später zusammen:Das mächtige Finale, das den Sieg über den Feind ankündigt, schuf eine unvergeßliche, mitreißende Atmosphäre. Die stürmischen Ovationen ging über in eine leidenschaftliche Manifestation patriotischer Gefühle und in Begeisterung Über das Talent unseres großen Zeitgenossen.
Amerika hört mit
In den USA, wo das Interesse auch aus politischen Gründen hoch war, entbrannte ein erbitterter Wettkampf zwischen den Dirigenten um die Gunst der amerikanischen Erstaufführung. Eugene Ormandy, Leopold Stokowski und Artur Rodzinski bewarben sich - und hoben ihre (in allen drei Fällen unleugbaren!) Verdienste um Schostakowitschs Musik hervor. Ormandy konnte sich auf die »Tradition« der US-Erstaufführungen von Schostakowitschs Werken berufen, die bis dahin stets durch sein Philadelphia Orchestra erfolgt waren. Stokowski bot an, einen Film zu produzieren und bat nicht nur um die Aufführungs- sondern gleich auch um die Filmrechte. Roszinski verwies auf eine eben entstandene Schallplattenaufnahme der Ersten Symphonie und auf eine geplante der Fünften.
Toscanini gewinnt
Und doch machte das Rennen der weltweit meistdisktuierte Dirigent jener Ära, Arturo Toscanini. Er hatte tatsächlich bereits die amerikanische Erstaufführung der Ersten Symphonie dirigiert und dieses Werk im Repertoire behalten. Nun fiel ihm die Ehre zu, die hochpolitische Siebente als »antifaschistisches Manifest« in den USA zu präsentieren.Für Schostakowitsch viel wichtiger war freilich die Aufführung der Symphonie in jener Stadt, für die sie komponiert worden war.
Im eingeschlossenen Leningrad
Inzwischen war der Ring, den die Deutschen um die Stadt gezogen hatte, immer enger geworden. Dennoch gelang es einem Sonderflugzeug, die Partitur der Siebenten in die Stadt zu fliegen. Alle verfügbaren Musiker für die Riesenbesetzung wurden zusammengetrommelt - auch einige von der Front, wo sie dringend benötigt wurden, für die Dauer der Probenarbeit zurückbeordert.
Die Aufführung fand unter den widrigsten Umständen statt, wurde aber von der Leningrader Bevölkerung als Zeichen der Solidarität verstanden: Man hatte sie nicht vergessen - und ein musikalisches Zeichen gesandt.
Die Artillerie schwieg!
Sämtliche sowjetischen Rundfunkanstalten übertrugen das Konzert, das am 9. August stattfand, dem Tag einer der heftigsten, aber erfolglosen Offensiven der deutschen Truppen. Das ganze Land konnte zuhören. Die russische Artillerie stellte für die Dauer der Aufführung sogar das Feuer ein, um das Konzert nicht zu stören!
In Leningrad mußten die Konzertbesucher genauen Anweisungen folgen, auf welcher Straßenseite sie zur Philharmonie gingen, um nicht unter Artilleriebeschuß zu geraten.
Solche Umstände fördern die Legendenbildung. Manche Kommentatoren bezeichneten diese Siebente als »Die Eroica unserer Tage« manch andere erkannten durchaus die Schwächen des Werks - Schostakowitschs spektakulärster Erfolg war die Leningrader allemal.
Mit seiner → Achten Symphonie reagierte der Komponist dann ein weiteres Mal auf den Verlauf des »Großen Vaterländischen Krieges«.