Mathis der Maler

Hindemiths Beitrag zum Genre „Künstleroper“

Zeitgeschichte
politische Dimension

Jede Wiederbegegnung mit Paul Hindemiths »Mathis der Maler« ist auch ein Beitrag zur Diskussion über die Position des Künstlers im Nationalsozialismus.
Genauer: in Zeiten der Diktatur und Unterdrückung.

Der Dirigent → Wilhelm Furtwängler fiel einst über diesen Stolperstein: Weil er sich nach der umjubelten Uraufführung der Symphonie Mathis der Maler, die Fragmente aus der gleichnamigen Oper enthält, für den Verbleib des Komponisten Paul Hindemith in Nazi-Deutschland stark gemacht hatte, mußte er von allen Ämtern zurücktreten.

Einen Fürsprecher des als »entartet« eingestuften Komponisten konnte das Regime nicht brauchen; vielmehr: Er musste zur Räson gebracht werden. Furtwängler wagte späterhin denn auch keine Ausritte gegen die offizielle Politik mehr. Zumindest nicht in diesem Ausmaß.

Mehr über den
»Fall Hindemith«
1934

Hindemith und Berg in Berlin

Es war im selben Jahr, daß Erich Kleiber, damals Chef der Berliner Lindenoper, mit der Aufführung von Alban Bergs „Symphonischen Stücken aus der Oper Lulu“ einen Skandal provozierte, der ihn zum Rücktritt und zur Emigration zwang.

Erstaunlich, was in jener Zeit, mehr als ein Jahr nach Machtübernahme der Nationalsozialisten, in Deutschland immerhin an Verstößen gegen die offenkundige Parteilinie noch möglich war.

Das Regime war zunächst durchaus noch bemüht, auch mißliebige Künstler-Persönlichkeiten in Deutschland zu halten, um Offenheit zu demonstrieren. Spätestens 1936, nach Abwicklung der für die Propaganda so wichtigen Olympischen Spiele, war auch für Paul Hindemith jedoch klar, daß er sich in den immer enger werdenden Schlingen der Hitler- Diktatur und ihren auch ästhetisch rigiden Vorgaben nur rettungslos verheddern könnte.

Er wählte das Exil. Und das, obwohl er dank seiner Initiativen für die musizierende und singende Jugend etlichen Parteigenossen als willkommenes Aushängeschild gedient hätte.

Singen in der Badewanne

Die Scharfmacher in der Partei, die nach den Olympischen Spielen etwa auch sämtliche expressionistische Werke aus den deutschen Museen entfernten, hatten sich durchgesetzt.
Immerhin war des „Führers" Position zu Hindemith seit langem geklärt: Hitler hatte in den zwanziger Jahren des Komponisten Zeit- Oper Neues vom Tage gesehen, wo eine junge Dame eine Arie in der Badewanne zu singen hat. Das galt ihm als ein Gipfel des Kultur- Bolschewismus!

Daß sich die ästhetischen Positionen des einstigen Bürgerschrecks Hindemith 1934 längst gewandelt hatten, bemerkten die Nationalsozialisten nicht. Oder wollten es nicht bemerken. Sehr zum Glück des Komponisten, wie man aus heutiger Sicht betonen muss, denn er versuchte erstaunlich lang, seine Anbindung an die große deutsche Musiker-Tradition zu betonen, um seine Heimat nicht verlassen zu müssen.

Mathis und die Politik

Selbst die inkriminierte Oper Mathis der Maler, die dann in Zürich ihre Uraufführung erlebte, enthält manches, was den damaligen Machthabern nicht unsympathisch sein mußte.

Die Verstrickung des Künstlers - „Mathis" ist Matthias Grünewald, der Schöpfer des Isenheimer Altars - in die politischen Wirren seiner Zeit (metaphorisch wohl auch Sinnbild der Wirren der dreißiger Jahre); die Aufforderung des Bauernführers Schwalb, doch mit den Unterdrückten in den Kampf gegen das Unrechtsregime zu ziehen - von den »saugenden Wurzeln« ist da die Rede, die „tief hinab“ dringen »in den Urgrund deines Volkes«; zuletzt aber auch die Bekehrung des Künstlers, der »zum Bilden übermenschlich begabt« sei und für den es also nur ein Losung geben könne: »Geh hin und bilde« - all diese Parameter des Stücks klangen den NS- Propagandameistern wohl nicht fremd.

Dennoch war Hindemith verfemt. Das setzt uns heute instand, uns wieder mit seinem Mathis auseinander zu setzen, der eines der größten Künstlerdramen der Musikgeschichte darstellt.
Hindemiths Musik, abgewandt längst von den provokanten, an die Atonalität rührenden Experimenten der Jugendjahre, aber von großer dramatischer Expansion und Ausdruckskraft, gehört zu den bedeutenden Herausforderungen für Sänger und Dirigenten.

Die Handlung

In sieben Bildern rollt eine Künstler-Biographie vor uns ab, die nach Irritationen des Künstlers, der an seiner Rolle in Zeiten der Glaubens- und Bauernkriege zweifelt, in der gewaltigen »Versuchung des Heiligen Antonius« gipfelt.
Die musiktheatralische Umsetzung des kühnen Grünewald-Gemäldes, in der auf Antonius/Mathis/Hindemith die Versuchungen des Menschen- und Künstlerlebens noch einmal alptraumartig eindringen: Kriegstreiber, Pfeffersäcke, Liebhaberinnen, Eiferer - zuletzt siegt die Einsicht, daß Kunst zwar vielleicht politisch sein, aber nicht Politik machen kann.
Das Ende ist Resignation.



Mathis der Maler in Wien
In Wien war Mathis der Maler 40 Jahre lang nicht mehr zu erleben, ehe das Konzerthaus 2004 eine konzertante Aufführung unter Bertrand de Billys Leitung mit Falk Struckmann in der Titelpartie bot.
Dieser Ehrenrettung folgte einige Jahre später die erste szenische Produktion des Meisterwerks im Theater an der Wien, die wiederum inspiriert war vom Erfolg, den → Neuinszenierungen des Werks in Hamburg und München verbuchen konnten. Wobei die Hamburger Produktion (ebenfalls mit Struckmann als Mathis) unter Simone Youngs Leitung für CD mitgeschnitten wurde.

↑DA CAPO