Mathis der Maler

Eine der bedeutendsten Künstler-Opern der Musikgeschichte sorgte für Aufregung im »Dritten Reich«, obwohl sich der Komponist erstmals der großen Operntradition zuwandte.

Das Werk

Die Position des Muster-Werks einer neuen, gefestigt auf der Tradition basierenden Tonsprache nimmt bei Hindemith die Oper Mathis der Maler ein, ein opus summum geistig-künstlerischer Auseinandersetzung mit deutscher Kunst- und Geistesgeschichte, gleichzeitig die Parabel vom Künstler in der Zeit der Bedrängnis – entstanden am Beginn jener nationalsozialistischen Diktatur, deren Ideologie, oberflächlich betrachtet, manches entgegenzukommen scheint, was Hindemith an künstlerischen Grundsätzen formuliert. Tatsächlich war der Komponist zunächst keineswegs geneigt, nach der Machtübernahme der Hitler-Partei seinem Heimatland den Rücken zu kehren. Die Ablehnung seiner künstlerischen Bestrebungen durch die Führunsgremien der NSDAP war auch keineswegs lückenlos. Manch einer im „neuen Deutschland“ sah durchaus Chancen, den ehemaligen Fortschrittskämpfer für die Sache der „Spielmusik“-Bewegung zu gewinnen. Doch durch Hitlers Voreingenommenheit nach dem geschilderten „Opernerlebnis“ eindeutig präjudiziert, wurde der „Fall Hindemith“, wie ihn der große Dirigent Wilhelm Furtwängler in einem mutigen Zeitungsartikel nannte, abschlägig beschieden. Der Mann war, das stand für die NS-Ideologen bald fest, ein „Kulturbolschewist“. Auch wenn eine zur Vorauszensur gelieferte Grammophon-Einspielung der dreisätzigen Symphonie Mathis der Maler, die Furtwängler uraufführen sollte, „nichts Beanstandenswertes“ zu enthalten schien – wie das im Parteijargon damals so schön hieß.

Daß Hindemiths Künstler-Drama mit dem Rückzug des Helden aus allen politischen Aktivitäten endet – „du bist zum Bilden übermenschlich begabt – geh hin und bilde“, heißt es da – wäre der nationalsozialistischen Denkungsart zwar vielleicht zupass gekommen. Im übrigen aber war die große Auseinandersetzung mit Fragen von Obrigkeitsdenken und Gehorsam, Verweigerung und Anpassung zu vielschichtig und jedenfalls zu weit entfernt von jener volksnahen Unterhaltungs-Kultur, die man sich nach 1933 von offizieller Stelle für das „gesunde deutsche Opernleben“ erträumte. Mathis der Maler und sein Schöpfer waren unerwünscht.

und resigniert wie sein Opern-Held. Sein letzter Vortrag – in einem längst wieder freien, aber von einer neuen, nur noch ästhetischen, doch unausweichlichen Ideologie beherrschten Deutschland trug bezeichnenderweise den Namen »Sterbende Gewässer«…

In Mathis der Maler offenbart sich – den Widrigkeiten der Entstehungszeit zum Trotz – ein kraftvoller musikalischer Eneuerungsgeist, der die Errungenschaften der Moderne in einer faszinierenden Gesamtschau mit der Formenwelt der europäischen Musikgeschichte vom gregorianischen Choral bis zu Richard Wagners Musiktheater-Pathos zu verbinden weiß. In solcher Konsequenz, mit solchem handwerklichem Geschick ist das kaum einem Komponisten je vorher und gewiss danach nie mehr gelungen.

Die Symphonie

Wohl ganz bewusst knüpft Hindemith, der nach der Absage Gottfried Benns auch sein eigener Textdichter war – im Vorspiel, „Engelkonzert“, an klassische Form-Muster an. Nach dem Vorbild von Wagners Meistersinger- Vorspiel vereinigen sich die Themen am Höhepunkt der Entwicklung. Die am Beginn nach zarten G-Dur-Harmonien über wogenden Streicherbewegungen schwebende Choralmelodie „Es sungen drei Engel ein’ süßen Gesang“ kehrt dann triumphal wieder. Der rasche Hauptteil dieses Stückes, das gleichzeitig erster Satz der von Furtwängler 1934 unter Mühen in Berlin uraufgeführten „Mathis“-Symphonie bildet, ist auch als musikalische Bildbeschreibung von Matthias Grünewalds gleichnamigem Gemälde aus dem Isenheimer Altar zu deuten. Die Musik kehrt im sechsten Bild der Oper wieder, zu einem Text, der die musizierenden Engel mit den musikalischen Themen sinnfällig verbindet.

Die Handlung

Matthias Grünewald, Mathis der Maler, ist Held der Oper, die zur Zeit der Bauernkriege im 16. Jahrhundert angesiedelt ist. Wenn der Vorhang sich hebt, erleben wir ihn bei der Arbeit an einem großen Wandbild im Mainzer Antoniterkloster. Über der fast impressionistisch getönten Schilderung der in flirrendes Sonnenlicht getauchten Landschaft gerät Mathis ins Sinnieren über den göttlichen Aufgabe des Künstlers:

Hast du erfüllt, was Gott dir auftrug. Ist dass du schaffst und bildest genug?

Die Antwort gibt der überstürzte Auftritt des Bauernführers Schwalb, der, verfolgt von den Soldaten des Fürsterzbischofs, mit seiner Tochter Regina hinter den Klostermauern Zuflucht sucht. Die Idylle im Hof des Klosters ist trügerisch. Das »sonnige Land« liegt im blutigen Bürgerkrieg. Mathis beruhigt Schwalb – die Musik wechselt beständig zwischen dessen vorwärtsdrängender Nervosität und der beschwichtigenden Sanftmut des Künstlers: »Alles ist ruhig. Du erholst dich wieder«. Während die Mönche den verwundeten Schwalb pflegen, plaudert Mathis mit Regina. Sie labt und wäscht sich am Brunnen und singt dabei.

Reginas Lied

Hindemith adaptiert – wie schon im Vorspiel der Oper – altes deutsches Liedgut, übernimmt sogar die typischen harmonischen Wendungen der Vokalmusik der Renaissance-Zeit. Von der kindlichen Unschuld Reginas bezaubert, schenkt Mathis ihr ein Band, von dem er in breit fließendem Gesang nur offenbaren will, dass es einst aus Westindien nach Deutschland gekommen ist. Die Musik findet hier zurück nach Cis, die Tonart des idyllischen Beginns der Oper, der auch mit dem Des-Dur des Engelschorals aus dem Vorspiel korrespondiert. So schafft Hindemith architektonische Verbindungen über das gesamte Riesengebäude seiner Oper.

Schwalb, aus seiner Ohnmacht wieder erwacht, unterbricht das Gespräch jäh. Er macht Mathis Vorhaltungen: »Man malt?«, fragt er höhnisch. Das sei vielleicht sündhaft angesichts des tausendfachen Leids der Menschen im Land.

Hast du erfüllt, was Gott dir auftrug, Ist daß du schaffst und bildest genug?
Die Frage kehrt nun unter veränderten Umständen umso dringlicher wieder. Ein kraftvoll rhythmisiertes Duett der beiden Männer verschafft dem Künstler neue Einsichten:
Was an Taten in dir aufblühen soll, gedeiht an der Sonne Gottes allein, wenn deine saugenden Wurzeln tief hinein in den Urgrund deines Volkes tauchen.

Es sei an der Zeit, zu den Waffen zu greifen, die gerechte Sache der Bauern zu verteidigen, suggeriert Schwalb.

»Staub am Himmel«

Mathis schenkt ihm sein Pferd, als Regina aufgeregt berichtet, daß sich eine Gruppe von Soldaten dem Kloster nähere. Kaum ist der Bauernführer mit seiner Tochter davongesprengt, erscheint der Heerführer Sylvester von Schaumberg. »Ein Standgericht« verlangt er für die Fluchthelfer. Die Soldaten ergreifen die Mönche. Doch angesichts des freimütigen Geständnisses von Mathis, dem »Maler des Kardinals«, droht Schaumburg mit späterer Rache: »Der Kardinal wird wissen, was Leuten deines Schlags gebührt«.

II

Am Beginn des zweiten Bilds ist Mainz in Aufruhr. Der Kardinal kehrt von langer Reise zurück. Während der Vorbereitungen zu seinem Empfang geraten sich Studenten, Lutheraner und die päpstliche Partei in die Haare. Der ideologische Zwist, den Hindemith in eine kontrapunktisch fulminante Chor-Szene integriert, erhält sogar komödiantische Züge, sobald die Frauen der Streithähne sich mit höchst irdischer Kritik einmischen: »Mit Kamm und Bürste hat man euch mühsam zurecht gemacht …«

Das Gewühl findet mit dem Auftritt des Kardinals ein jähes Ende. Den auseinanderstiebenden Untertanen verkündet der Herrscher die große Freude: Er hat den Leichnam des Heiligen Martin als Reliquie für die Mainzer Hauptkirche erstehen können. Die Reaktion des Chors fällt verhalten aus – Rat Capitos Stimme kommentiert das Ensemble zynisch: „Wenn uns jetzt sonst nichts als ein toter Heil’ger fehlt“.

Angesichts der Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Lutheranern nimmt Capito, eine Art Rheingold-Loge im alten Mainz, eine zwielichtige Stellung ein. Albrecht von Brandenburg vertraut seinem Rat, doch auch den aufständischen Bürgern ist er zugetan, denn es gilt, dem Kardinal die fehlenden Geld-Summen für Hofhaltung und teure Neuerwerbungen wie jene der Martins-Reliquie und auch für den kostbaren Schrein, den Mathis dafür errichten soll, zu beschaffen. Den Kardinal zieht es von den Staatsgeschäften immer mehr zur Einkehr und zur Beschäftigung mit der Kunst. Im Dialog mit der schönen Bürgerstochter Ursula Riedinger offenbart sich auch die Zuneigung, die er trotz seines Keuschheitsgelübdes zum weiblichen Geschlecht fasst.

„Alleinsein schmerzt“, sagt Ursula, doch denkt sie weniger an den Kardinal, der ihr zugetan ist, als an Mathis, nach dem sie sich sehnt. Wenn der Maler im Saal erscheint, beschreibt die aufwallende Musik die Emotionen der jungen Frau: „Ein Jahr lang waren wir getrennt von allem, was wir lieben“. Ein kleines Ensemble läßt zwei Gespräche simultan ablaufen: Während Ursula und Mathis nach langer Absenz nicht wirklich zueinander finden können – zu verwirrt ist Mathis angesichts der Erkenntnis seiner politischen Aufgabe, als dass er Ursula seine Liebe gestehen könnte –, verhandelt Ursulas Vater, der reiche Bürger Riedinger, mit dem Kardinal über finanzielle Fragen: „Benutzt des Bürgers Stärke, wo ihr schwach seid. Ich helfe gern aus jeder Not mit meiner Habe“. Doch ist Kredit an Bedingungen geknüpft: Die mehrheitlich lutherischen Mainzer Bürger verlangen, die anbefohlene Bücherverbrennung zu verhindern. Lutherische Schriften sollen auf dem Mainzer Domplatz in Flammen aufgehen.

Albrecht, als freier Geist durchaus geneigt, dem Wunsch stattzugeben, steht unter schwerem Druck. Domdechant Pommersfelden – „Order aus Rom!“ – ringt ihm den Widerruf ab: „Die Bücher müssen brennen!“ Rat Capito, der Doppelgesichtige, nimmt für die lutherischen Bürger Partei: „Wenn wir die Bücher verbrennen, wird sich der Mainzer Bürger weigern, Geld zu leihen. Wer malt uns dann Altäre?“ Sämtliche Geldquellen seien erschöpft. Der Truchseß von Waldburg zwingt den Kardinal zur Unterstützung des Bundesheere im Kampf gegen die Bauern. Wie könnte man sie finanzieren? Lediglich der Bestrafung des Mathis, die Sylvester von Schaumburg wegen Fluchthilfe vehement einfordert, widersetzt sich der hin und her gerissene Kardinal mit festem Sinn: „Keiner rührt ihn an“. Daß der Künstler der Malerei entsagen will und um Entlassung ansucht, um sich der Sache der Bauern zu widmen –

meiner Brüder Angst lähmt mir die Hand, mit rotem Blut bedecken sich die Tafeln. Hängt mich, foltert mich. Nie mehr einen Strich!

– kann Albrecht jedoch nicht verhindern. In einem großen Ensemble führt Hindemith die Stimmen der Streitparteien (Albrecht, Capito, Schaumburg, Mathis und Pommersfelden) kunstvoll zusammen. Der Kardinal lässt Mathis schweren Herzens ziehen.



III

Im Hause Riedingers suchen die protestantischen Mainzer Zuflucht und suchen ihre Schriften und Bücher in Sicherheit zu bringen. Die Bücherverbrennung wird auf dem Platz vor dem Haus bereits vorbereitet. Die Lutheraner versuchen, die katholischen Schergen mit wertlosen Büchern hinters Licht zu führen: „Ein arges Teufelsbuch: Eulenspiegel. Für euch das Narrenschiff“.

Doch Capito deckt das Versteck der lutherischen Schriften auf. Die Bücher werden konfisziert. Riedinger ist empört über den Wortbruch des Fürsten. Capito entgegnet: „Den Schlüssel zu Gottes Wohlgefallen, wer kennt ihn?“.

Doch als die Landsknechte mit den Büchern verschwunden sind, übergibt er, um die aufgebrachten Bürger zu besänftigen, einen Brief Luthers an den Kardinal. Ein lebhaftes Solo Riedingers, unterstützt vom Männerchor, begleitet die für die Lutheraner erregende Lektüre: Der Reformator beschwört in dem Schreiben Albrecht von Brandenburg, sein Bistums in ein reformiertes weltliches Fürstentum umzuwandeln. Der Kardinal werde auf diesen Vorschlag eingehen müssen, meint Capito, denn er schließt eine reiche Heirat Albrechts mit einer Bürgerstochter ein. Dies sei die einzige Möglichkeit, die Finanzprobleme des Bistums zu lösen. Der Rat kennt seinen Fürsten: „Er ist Neuerungen zugetan, möchte bessern, Vorbild sein. Frauen sieht er auch nicht allzu ungern an“. Die Passende wäre leicht gefunden, suggeriert Capito: In diesem Moment erscheint Ursula, Riedingers Tochter. „Man könnte päpstlich werden und an Zeichen glauben“, flüstert der Chor. Riedinger beschwört seine Tochter, zum Wohl des Landes auf den Handel einzugehen.

Die Lutheraner schwelgen im Vorgefühl des nahen Triumphs. Doch Ursula liebt Mathis. Als sie, allein geblieben, mit ihrem Schicksal hadert, erscheint der Maler: In einem bewegenden Duett muß Ursula nicht nur die Scheu des Künstlers erkennen, sich an die viel jüngere Frau zu binden, sondern auch seinen Entschluss, sich den kämpfenden Bauern anzuschließen.

Ans Malen sei angesichts der Not im Land nicht mehr zu denken: „In dunkles Land führt mich mein Weg. Ich darf mich nicht weigern, hinein zu schreiten“. Während auf dem Platz draußen unter heftiger Zustimmung der päpstlichen Partei und den energischen Protestchören der Lutherischen die Glut der brennenden Bücher immer heftiger auflodert, erstickt die Liebe zweier Menschen an Gehorsam und Pflichtbewusstsein.

„Blind trägt mich der Schritt durch Glut und Eis deiner Vernunft. Nichts denkt in mir. Eines nur weiß ich: nie vergehn wird mein Sehnen, immer lieb ich dich“, bekennt Ursula. „Vertrautheit, die mich beglückte, die Liebe die mich stärkte, Einheit, in der wir lebten, stirbt dem Leid.“

Als Mathis gegangen ist, erscheint Riedinger mit seinen Vertrauten wieder, um Ursulas Entscheidung zu vernehmen. Die Lutheraner triumphieren.



IV

Mathis flieht vor seinen Seelenqualen und stürzt sich tatsächlich in den Kampf. In Königshofen wird er Zeuge, wie marodierende Bauern-Truppen zu Marschrhythmen (CD 2, Track 06) den Grafen Helfenstein ermorden. Der Spielmann des Grafen verhöhnt den einstigen Dienstherrn, die Bauern tanzen und besingen triumphierend die Umwertung aller Werte. Mathis, der die Vorgänge angewidert kommentiert (CD 2, Track 07), kann nur noch verhindern, dass auch die Gräfin Opfer der Gewalt wird. Doch die entfesselte Brutalität macht auch vor ihm, dem Verbündeten, nicht Halt. „Was willst du? Gerufen hat dich niemand!“ Er wird niedergeschlagen. Schwalb und Regina kommen ihm zu Hilfe.

In einem Ensemble wird die gedrückte Stimmung, die auf allen lastet, sinnfällig, „Kampf und kein Ende“, klagen die Bauern. Regina beschreibt die verzweifelte Lage Schwalbs, der die marodierenden Truppen nicht mehr zu ordnen weiß: „Den Vater bedrückt so schwere Sorge“. Die Gräfin erkennt, dass der „Übermut“ der Bauern „zu Ende“ ist. Mathis versinkt in dumpfes Brüten: „Ohnmächtig starre ich dem Untergang entgegen“.

Das heranrückende Bundesheer walzt den Aufstand vernichtend nieder und zieht im Triumphmarsch durch (CD 2, Track 10). Schwalb fällt im Gemetzel. Mathis entkommt der Gefangennahme dank des Einspruchs der Gräfin Helfenstein. Auf dem Schlachtfeld bleibt er allein mit der verzweifelten Regina zurück. Sein Weltbild ist erneut ins Wanken geraten.

Monolog

„Wagen wollen, was ein Wille nicht zu zwingen vermag. Sich erheben über die Fähigkeiten des Menschen. Ein einziger durfte tragen das Kreuz der Welt… und was bist du gewesen? Ein unzufriedner Maler, ein mißratner Mensch.“

Mit dem Mädchen flieht er aus dem Inferno in den schützenden Odenwald.



V

Inzwischen schlägt in Mainz der Versuch des schlauen Capito fehl, den Kardinal von den Vorzügen von Luthers Plan zu überzeugen. „Wollt ihr mich denn entmündigen?“, tobt Albrecht. Er will sich den Plänen Luthers nicht fügen, zögert nur in jenem Moment, da die Erwählte im Saal erscheint: Der Anblick von Riedingers schöner Tochter, deren wachen Intellekt er schätzen gelernt hat, droht Albrecht einen Moment lang schwanken zu lassen: „Auf einen Angriff war ich nicht gefaßt, bei dem so starke Streiter kämpfen“.

Doch Ursulas schicksalsergebene Demut im Werben für den lutherischen Glauben und die Sache des Volkes, auch wenn sie sich zu einem kraftvollen Monolog aufschwingt, hat letztlich nicht die Kraft, den Kardinal von seinem längst gefassten Entschluss abzubringen, künftig als Eremit zu leben und sich – ehelos – von der Welt zurückzuziehen. Die Honoratioren, die nach dem Gespräch der beiden wieder eintreten, sind wenig erbaut über dieses Ergebnis: „Auf ihn kann man sich nicht verlassen“, ätzt Rat Capito. Und Riedinger räsoniert: „Stellt Weiber nicht auf Männerposten, dann zeigen sich bessere Ergebnisse“.



VI

Im Odenwald. Die Musik beschwört mit ausgreifenden Gesten die unheimliche Stimmung, die Mathis und Regina auf der Flucht umfängt – und die Seelenpein des gescheiterten Künstlers. Regina verfolgt das Bild des toten Vaters. Angesichts des hereinbrechenden Abends bettet Mathis das erschöpfte Mädchen zur Ruhe. Zu einer Rekapitulation der Musik des Opern-Vorspiels singt er das Mädchen in den Schlaf: Die drei musizierenden Engel des „Engelkonzerts“ kontrapunktiert die Stimme Reginas im Entschlummern mit dem Choral „Es sungen drei Engel“. Mathis umfängt der magische Zauber des nächtlichen Waldes.

Die Versuchung des Hl. Antonius

In einer gigantischen – Grünewalds „Versuchung des Heiligen Antonius“ nachempfundenen – Visions-Szene erscheinen die Gestalten der Oper in allegorischer Verkleidung. Die Gräfin Helfenstein ist die Üppigkeit: „Wem Schätze wurden, der muß sich reicher sparen. Die Erde liegt dir zum Genusse offen“. Domdechant Pommersfelden weiß, wozu der Reichtum nützt: „Gibt es das, wovon sie schreiben: Göttlichen Geist, so kann er nur in dem ruhn, der Andere beherrscht“. Zu verzehrenden Klängen erscheint Ursula, zuerst als Bettlerin, dann als Buhlerin: „Ein Leib wird einzig Sucht“. Doch Mathis/Antonius widersteht: „In einem Augenblicke reift, was als schaler Rest sogleich erstirbt“. Die Erscheinung verwandelt sich in eine Märtyrerin: „Über die Lust hinaus wächst nur der Schmerz“. Der Alptraum verdichtet sich unerträglich: Rat Capito verkündet als Gelehrter das Hohelied der Wissenschaft, Bauernführer Schwalb besingt die Kriegslust. Aus den Fängen der wilden Jagd des Dämonenheers, dessen Gewalt er mit dem Choral „Lauda Sion Salvatorem“ zu bannen versucht, wird Mathis/Antonius schließlich vom Einsiedler Paulus in Gestalt Albrechts von Brandenburg gerettet.

Einsiedelei des Hl. Paulus

In gewaltiger Steigerung führt er ihn im intellektuellen Dialog seiner eigentlichen Aufgabe zu. Nicht Krieg zu führen sei das Werk des Künstlers, der „zum Bilden übermenschlich begabt“ sei: „Geh hin und bilde!“. Das Duett schließt mit einem strahlenden D-Dur-Lobgesang auf den Allmächtigen.



VII

Die Bilder, die ihm in den Visionen im Odenwald erschienen sind, hat Mathis, umsorgt von Ursula (CD 3, Track 09), in rastloser Arbeit künstlerisch zu bannen versucht. Das „Engelskonzert“, die „Versuchung des Heiligen Antonius“ und das „Gespräch der beiden Eremiten“ sind vollendet, die Kraft des Künstlers ist erschöpft. Regina, verfolgt vom Bild ihres toten Vaters, liegt im Sterben. Im Kreuzigungsbild, das Mathis gemalt hat, erkannte sie die Augen des Getöteten wieder. Sie schenkt der treuen Ursula, die ihr in ihrer letzten Stunde beisteht, das Band, das ihr einst Mathis geschenkt hatte – einer der berührendsten Momente der Oper, denn das Band war ursprünglich ein Geschenk Ursulas an den geliebten Mathis gewesen.

Grablegung

Die Todesstunde Reginas begleitet die Musik der Grablegung, Mittelsatz der Symphonie, ein erschütterndes großes Aufbäumen – gefolgt von zarter Ergebung. Nach dem Zwischenspiel, bei dem die Bühne in Dunkel getaucht ist, erscheint das Atelier des Künstlers aufgeräumt. Albrecht tritt ein, um Mathis zu bitten, in seinem Haus als freier Künstler zu leben.

Monolog

Doch Mathis weiß, daß sein Auftrag erfüllt ist. „Auf denn, zum letzten Stück des Wegs“ (CD 3, Track 13) Er will nur noch seinen kargen Besitz, seine Erinnerung an ein reiches, bewegtes Leben ordnen. Einer Truhe übergibt er eine Papierrolle, sein Werkzeug, die Bücher – und das Band, gleichermaßen das Liebespfand seiner Zuneigung zu den beiden prägenden Frauengestalten seines Lebens.



↑DA CAPO

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