Fünf Stücke für Orchester op. 16
Arnold Schönberg (1909)
Schönbergs bahnbrechend Orchesterstücke op. 16 sind eines der Schlüsselwerke der sogenannten »atonalen« Periode. Wie der erste der Klavierzyklen (op. 11) kennen auch sie Möglichkeiten, den organischen Prozeß der Musik über das in den Klavierstücken op. 19 erreichte Maß der totalen Reduktion der Form auf die Formulierung eines, oft nur nach Sekunden zählenden Gedankenganges auszudehnen.
In einem Brief an Richard Strauss, der während der Arbeit an den Orchesterstücken geschrieben wurde, beschreibt Schönberg die Neuerungen seines Stils mit offenen Worten:
Damit bringt Schönberg das Wesen seiner wichtigsten Komposition der Zeit der freien Tonalität auf den Punkt: die Auflösung in Klang, Farbe, Stimmung; das Aufheben der Zeitdimension.
Anders als in der später ins Gigantische gedehnten Augenblicks-Studie Erwartung, arbeitet der Komponist in den Orchesterstücken nach wie vor mit Themen und Motiven, die im klassisch-romantischen Sinne verarbeitet, verwandelt werden.
Auch dieser Arbeitsprozeß nimmt jedoch expressive Züge an, erzählt von seelischen Nöten, Visionen, Träumen oder Ängsten. Schönberg hat den Stücken auf Drängen des Verlags Peters, mit dem er 1912 einen Vertrag geschlossen hatte, Titel beigegeben. Sie spiegeln wenigstens in drei Fällen die jeweils gemeinte Stimmung andeutungsweise wider:
Da die Annahme, Schönberg hätte das traumatische Erlebnis mehrfach musikalisch zu verarbeiten versucht, durch die textbezogenen Werke dieser Schaffensperiode bestärkt wird, kann diese Deutung durchaus zutreffen. Jedenfalls sind die Stücke Protokolle heftiger innerer Bewegung und damit Dokumente des reinsten musikalischen Expressionismus.
Daß ausgerechnet ein Werk Hans Pfitzners als Parallelfall für klangliche Neuerungen im Oeuvre Schönbergs herangezogen werden kann, mag verwundern. Aber die Trennlinie zwischen retrospektiv-reaktionären Spätromantikern (etwa Richard Strauss, Franz Schmidt, Julius Bittner oder Pfitzner) und den anarchistischen Neutöner der Schönberg-Schule ist erst von einer späteren Generation radikal gezogen worden.
Noch glaubte auch Schönberg in Strauss einen Förderer zu haben. Er ließ ihm die Partitur seine Opus 16 übersenden. Mochte der Graben zwischen diesen Orchesterstücken und der nostalgischen Klangpracht Strauss'scher Symphonischer Dichtungen auch tief sein, er schien noch nicht unüberwindlich; zumindest aus Schönbergs Perspektive. Strauss betrachtete den jüngeren Kollegen jedoch längst mit Argwohn und mochte seinen zukunftsorientierten harmonischen Träumen, die er in seiner Elektra-Partitur noch mitgeträumt hatte, nicht mehr folgen. Er sandte die Partitur zurück mit der Bemerkung:
In einem Brief an Richard Strauss, der während der Arbeit an den Orchesterstücken geschrieben wurde, beschreibt Schönberg die Neuerungen seines Stils mit offenen Worten:
Ich glaube, diesmal ist‘s wirklich unmöglich, die Partitur zu lesen. Ich verspreche mir allerdings kolossal viel davon, insbesondere Klang und Stimmung. Nur um das handelt es sich - absolut nicht symphonisch, direkt das Gegenteil davon, keine Architektur, kein Aufbau. Bloß ein ununterbrochener Wechsel von Farben, Rhythmen und Stimmungen.
Damit bringt Schönberg das Wesen seiner wichtigsten Komposition der Zeit der freien Tonalität auf den Punkt: die Auflösung in Klang, Farbe, Stimmung; das Aufheben der Zeitdimension.
Anders als in der später ins Gigantische gedehnten Augenblicks-Studie Erwartung, arbeitet der Komponist in den Orchesterstücken nach wie vor mit Themen und Motiven, die im klassisch-romantischen Sinne verarbeitet, verwandelt werden.
Auch dieser Arbeitsprozeß nimmt jedoch expressive Züge an, erzählt von seelischen Nöten, Visionen, Träumen oder Ängsten. Schönberg hat den Stücken auf Drängen des Verlags Peters, mit dem er 1912 einen Vertrag geschlossen hatte, Titel beigegeben. Sie spiegeln wenigstens in drei Fällen die jeweils gemeinte Stimmung andeutungsweise wider:
Der Kunsttheoretiker Otto Breicha hat die Orchesterstücke (wie das Zweite Streichquartett mit der Affaire Mathilde Schönbergs mit dem Maler Richard Gerstl in Zusammenhang gebracht. Er deutet vor allem Vergangenes und Farben als Erinnerungen an eine glückliche Zeit des Ehelebens, und hört in den fahrigen Figuren der Peripetie ein Abbild des »höhnischen Gelächters, so wie es (wenigstens in Schönbergs Vorstellung) damals über den betrogenen und verlassenen Ehemann gelacht worden ist.«
-- in der Neufassung von 1949: »Sommermorgen an einem See (Farben)«
Da die Annahme, Schönberg hätte das traumatische Erlebnis mehrfach musikalisch zu verarbeiten versucht, durch die textbezogenen Werke dieser Schaffensperiode bestärkt wird, kann diese Deutung durchaus zutreffen. Jedenfalls sind die Stücke Protokolle heftiger innerer Bewegung und damit Dokumente des reinsten musikalischen Expressionismus.
Uraufführung (London 1812)
Der Uraufführung der Orchesterstücke, die 1912 in London stattfand, sah Schönberg mit Besorgnis entgegen. Der Verlag Peters hatte ihn nicht rechtzeitig informiert und er bedauerte, die Einstudierung nicht selbst überwachen zu können, um eventuell nötige Retuschen an der Orchestrierung vorzunehmen. Sir Henry Wood, der legendäre und offenkundig mutige Leiter der berühmten Promenadenkonzerte, hatte die Novität angesetzt und immer so erfolgreich dirigiert, daß er Schönberg vier Jahre später für die Wiederholung zu einem Gastdirigat einladen konnte.Furtwänglers Einsatz
Die Uraufführung der Neufassung der Orchesterstücke von 1922 dirigierte dann Wilhelm Furtwängler in Leipzig. Die Chronik berichtet von eigenwilligen Programmkombinationen: Unmittelbar vor dem Schönberg-Werk erklang die Arie der Zerbinetta aus Richard Strauss‘ Ariadne auf Naxos. Für die Rezeptionsgeschichte ist das nicht untypisch. Furtwängler bemühte sich - wie viele seiner Kollegen - das Neueste aller Schattierungen zu präsentieren. Immerhin war die Strauss-Oper jüngeren Datums als Schönbergs Orchesterstücke, deren Avantgardismus dem Leipziger Abonnementpublikum nicht so ungewöhnlich erschienen sein mag, wie man annehmen würde. In der voraufgegangen Saison hatte Furtwängler bereits Paul Hindemiths freche Kammermusik 1921 mit der Sirene und dem Foxtrott-Finale musizieren lassen, im Jahr darauf erlebte Strawinskys Sacre du printemps seine Erstaufführung in der Stadt. An den Sacre erinnern sogar manche Passagen in Schönbergs Werk. Da gibt es vor allem dort, wo verschiedene Schichten der Komposition einander wie tektonische Blöcke überlagern, Verwandtschaften. Es wird auch wiederholt behauptet, Strawinsky hätte während der Komposition dieser, seiner radikalsten Ballettmusik für Serge Diaghilew, Schönbergs Klavierstücke op. 11 stets bei sich getragen. Als wohlinformierter Zeitgenosse mag er also auch die Orchesterstücke des Konkurrenten gekannt haben, die zum Zeitpunkt der Uraufführung des Sacre bereits vier Jahre alt gewesen sind.Mythos »Farben«
Am meisten kommentiert wurde aus dem Opus 16 späterhin jedenfalls das Farben-Stück. Die Tatsache, daß Schönberg hier auf Melodik, aber auch auf harmonische Entwicklung in einem auch nur irgend als traditionell dechiffrierbaren Sinne verzichtet, weckte Staunen, Begeisterung und Verehrung. Denn der Klangkult unseres Jahrhunderts hatte hier sozusagen strukturelle Form gefunden. Das schien zukunftsweisend und wie eine kühne, radikale Neuerung.Auf der Höhe der Zeit
Doch steht, wie manches Zeugnis von Zeitgenossen beweist, auch diese Schönbergsche »Klangfarbenmelodie« nicht beziehungslos als plötzliche Eingebung des innovativen Geistes Schönberg im musikgeschichtlichen Raum. Schon Egon Wellesz hat auf die Verwandtschaft der Farben mit Prozessen in den gleichzeitig entstandenen Orchesterstücken op. 10 Anton von Weberns hingewiesen. Hier, wie auch in Wellesz‘ bereits ein Jahr vorher komponiertem Vorfrühling op. 12 sei jene Klangschattierung eines einzigen Tons zu finden.Vrbild Pfitzner
Und alle drei Meister hätten, so Wellesz weiter, ein bedeutend älteres Vorbild: Die berühmten Anfangstakte von Hans Pfitzners Oper Die Rose vom Liebesgarten. Hier wird ein Ton, Fis, von verschiedensten Instrumenten unentwegt neu gefärbt, ein in der Musikgeschichte zuvor tatsächlich unerhörter Effekt, der dieser Oper bei den gewohnt salopp formulierenden Orchestermusikern in Wien prompt den Spitznamen »Tausendfisler« eingetragen hat.Daß ausgerechnet ein Werk Hans Pfitzners als Parallelfall für klangliche Neuerungen im Oeuvre Schönbergs herangezogen werden kann, mag verwundern. Aber die Trennlinie zwischen retrospektiv-reaktionären Spätromantikern (etwa Richard Strauss, Franz Schmidt, Julius Bittner oder Pfitzner) und den anarchistischen Neutöner der Schönberg-Schule ist erst von einer späteren Generation radikal gezogen worden.
Verhältnis zu Richard Strauss
Die Zeitgenossen empfanden zwar das kompromißlos Fortschrittliche bei Schönberg und die sukzessive Rückwendung, wie sie Strauss nach seinen »modernsten« Werken, den Opern Salome und Elektra vollzog. Aber noch war der Rosenkavalier, Sinnbild der Trendumkehr und der endgültigen Trennung von Avantgarde und romantischer Traditionsbewahrung, nicht geschrieben.Noch glaubte auch Schönberg in Strauss einen Förderer zu haben. Er ließ ihm die Partitur seine Opus 16 übersenden. Mochte der Graben zwischen diesen Orchesterstücken und der nostalgischen Klangpracht Strauss'scher Symphonischer Dichtungen auch tief sein, er schien noch nicht unüberwindlich; zumindest aus Schönbergs Perspektive. Strauss betrachtete den jüngeren Kollegen jedoch längst mit Argwohn und mochte seinen zukunftsorientierten harmonischen Träumen, die er in seiner Elektra-Partitur noch mitgeträumt hatte, nicht mehr folgen. Er sandte die Partitur zurück mit der Bemerkung:
Es ist mir sehr schmerzlich, Ihre Partituren ohne eine Zusage der Aufführung zurückschicken zu müssen. Sie wissen, ich helfe gern und habe auch Mut. Aber Ihre Stücke sind inhaltlich und klanglich so gewagte Experimente, daß ich vorläufig es nicht wagen kann, sie einem mehr als konservativen Berliner Publikum vorzuführen.