Pelleas und Melisande
Arnold Schönberg
Symphonische Dichtung nach Maurice Maeterlinck
Das Umfeld
1902 war Richard Strauss noch ein aufrichtiger Förderer Schönbergs. Er betraute den jüngeren Kollegen, den er für einen Verwandten im Geiste hielt, mit der Kopistentätigkeit für sein kurzes, aber aufwendiges Chorwerk „Taillefer“, dessen Orchestrierung in ihrer Massierung der Mittel Ähnlichkeiten mit den „Gurreliedern“ aufweist.
Außerdem stand Strauss Pate für das nächste große Werk Schönbergs. Er war es, der den Kollegen auf Maeterlincks Drama „Pelleas und Melisande“ aufmerksam machte, das - was wohl beide Komponisten nicht wußten - zur gleichen Zeit Claude Debussy als Opernstoff gewählt hatte.
Schönberg verdichtete das Theaterstück zur symphonischen Dichtung und nahm damit die ästhetische Linie seiner „Verklärten Nacht“ wieder auf. Dem Vorbild von Liszt und Strauss folgend, gestaltete er diesmal allerdings ein groß besetztes symphonisches Werk, die wichtigste Schöpfung seiner ersten Berliner Jahre.
Die Tondichtung ist Schönbergs erstes reines Orchesterwerk und eine Komposition von außerordentlichen Dimensionen.
Deutungsversuche
Sie war und ist Objekt unterschiedlichster Deutungen. Alban Berg und Anton von Webern, die beiden bekanntesten von Schönbergs Schülern, haben, jeder auf seine Weise, dem Stück analytische Betrachtungen gewidmet.
Während Webern anmerkte, Schönberg sei bei der Nacherzählung der Handlung von Maeterlincks symbolistischem Drama „ganz frei“ vorgegangen, erkannte Berg in der Komposition eine vierteilige Symphonie, die durch starke innere Bezüge in die Form eines großen Satzes gegossen wurde.
Beide Ansichten haben etwas für sich. Die Kohäsionskraft der konzentrierten motivischen Arbeit weist „Pelleas und Melisande“ tatsächlich trotz seiner Ausdehnung über pausenlose drei Viertelstunden als einheitliches, in sich geschlossenes Ganzes aus. Man kann Berg folgen, wenn er darin die Elemente des klassischen Sonatensatzes, des Scherzos und des großen romantischen Adagios entdeckt.
Form-Fragen
Ähnliche Untergliederungen wären angesichts der ebenfalls in einem großen Bogen gedachten „Verklärten Nacht“ nicht möglich gewesen. Schönberg hat die Verschachtelung von verschiedenen, einander scheinbar widersprechenden Formmustern später noch häufig angewendet, vor allem im d-Moll-Streichquartett und in der Ersten Kammersymphonie, die sich ebenfalls als einsätzige Konzentration klassischer, vierteiliger symphonischer Muster präsentieren.
In der Tondichtung „Pelleas und Melisande“ ist dieses formale Kunststück durchwirkt mit einer minutiösen Darstellung der dramatischen Handlung, wie sie Schönberg - mit kleinen Eigenmächtigkeiten - aus Maeterlincks Schauspiel entlehnt.
Die Leit-Motive
Die musikalischen Motive sind immer gleichbedeutend mit Charakteren der Handlung. Es ist faszinierend zu verfolgen, wie deren symphonische Verarbeitung durchwegs die psychologischen Veränderungen und Entwicklungen der dargestellten Figuren entspricht.
Die gewaltige, dichte Partitur ist gleichzeitig Protokoll höchster musikalischer Arbeitstechnik wie detailgetreue Schilderung des Dramas.
Ein tönendes Bilderbuch für den, der zu hören versteht.
Die »Handlung«
Das musikalische Geschehen führt uns an den Schauplatz der ersten Szene von Maeterlincks Drama. Die verschlungenen, scheinbar orientierungslos kreisenden Klänge malen pittoresk den dichten Wald, in dem sich Golo verirrt hat.
Melisande
Schon das sich einsam aus dem Dickicht emporreckende Motiv der Baßklarinette im zweiten Takt ist von höchster Bedeutung: das Schicksalsmotiv verweist auf die kommende Tragödie und wird sich immer in entscheidenden Momenten der Handlung bemerkbar machen. Noch aber tönt es unscheinbar im Dunkel der Klänge. „Sehr ausdrucksvoll“ vernehmen wir in der Oboe die Klage der Melisande, die einsam im Wald von ihrem Leid singt.
Golo
Golo erscheint, sein von den Hörnern angestimmtes, mit einem charakteristisch punktierten Terzruf beginnendes Motiv bricht nach vier Takten jäh ab: Melisande und Golo werden einander staunend gewahr, die Musik kommt auf einem schlichten Dreiklang der Hörner zum Stillstand. Melisande jedoch wendet ihren Blick ab, Golo nähert sich ihr und erkennt ihre Schönheit.
Ein heftig aufzuckendes Fortissimo mit grellen Bläserfarben malt das beiderseitige Erschrecken. „Rührt mich nicht an“, fleht Melisande.
Ummittelbar daran entfaltet sich in großen Atemzügen Golos Thema, er beginnt um Melisande zu werben, die sich aber (absteigende Figuren der Violinen über Golos Cellophrasen) immer wieder sanft entzieht.
Das Werben Golos wird heftiger - Schönberg verwendet den zweiten, von einer Triole beherrschten Teil seines Themas, um es in unzähligen Wiederholungen zur größten Intensität zu steigern. Dieses abgespaltete Motiv wird Melisande bis in den Tod hinein verfolgen: Für Golo ist sie zu seiner Frau geworden, auch wenn sie nur willenlos an seiner Seite in sein Schloß einzieht. Die Bindung an Golo ist schicksalhaft, unwiderruflich und durch das Triolenthema stets präsent. Als „schlechtes Gewissen“ wird es Melisande ab nun begleiten.
Das Schicksals-Motiv
In einem gewaltigen Schub meldet sich das Schicksalsmotiv, das zu Beginn des Werkes so unscheinbar in der Baßklarinette erklang, wieder. Es verkündet, zunächst in den Hörnern, dann in dreifachem Forte des gesamten Orchesters, nach einem kurzen Dialog zwischen Golo und Melisande das zu erwartende, böse Ende. Der bittere Nachgeschmack dieses Ausbruchs liegt über den folgenden sanften A-Dur-Takten.
Melisande bleibt trostlos zurück.
Pelleas
Da erscheint Golos Bruder Pelleas, die unbekümmerte Trompetenmelodie umflattert von duftigen Holzbläserfigurationen - aber schon nach drei Takten unterbricht das Schicksalsmotiv (im Fagott) das muntere Treiben. Der Stachel sitzt. Noch aber springt Pelleas‘ Thema unschuldig daher.
Liebeserwachen
Ein Fortissimoakkord, von den Pauken unterstützt, markiert den Moment, da Melisande des jungen Mannes ansichtig wird. Fast verschämt stehen die beiden jungen Menschen einander gegenüber: Still ertönt Melisandens scheue Melodie in der Flöte, während sie Pelleas Thema in den Celli sanft umfängt - vier Takte innigen Einhaltens, ehe die Pelleas-Musik noch einmal unbefangen weiterziehen möchte. Aber die Begegnung hat ihre Wirkung nicht verfehlt. Melisande zwingt Pelleas, innezuhalten. Klarinette und Sologeige singen „sehr ausdrucksvoll“ in ekstatisch ansteigender Kantilene von der erblühenden Liebe des Mädchens.
Das Schicksalsmotiv reckt sich im Englischhorn in die Höhe, aber die Liebe entfaltet sich unversehens, wohl auch zum Schrecken Melisandes: Bevor Golo sich mit Macht wieder zu Wort meldet, erklingt in der Oboe ihr Motiv ganz im Rhythmus Golos!
Der folgende, letzte Versuch Golos, das Mädchen an sich zu ziehen, scheitert an dessen zwar zarter, aber bestimmter Weigerung Anton von Webern hat diese kurze Dialogpassage, in der Golo (Streicher) von Melisande (Holzbläser) zur Räson gebracht wird, trefflich mit „Antiklimax“ bezeichnet, strebt die Musik doch zunächst einem Höhepunkt zu, der dann in plötzlichem Diminuendo in sein Gegenteil verwandelt wird.
Aus Melisandes Thema, das, stark verändert, in verspielten Sechzehntelpassagen zwischen Klarinette und Geige hin und her wandert, entfaltet sich, angefacht von Pelleas (Hornsolo) in starkem Crescendo noch einmal das Thema des Liebeserwachens, das so intensiv anschwillt, daß es mit einer brutalen Geste im Fortissimo buchstäblich „zerreißt“.
II. SCHERZO
Auf eine Generalpause folgt der zweite Abschnitt der symphonischen Dichtung, in Alban Bergs Analyse das „Scherzo“. Tatsächlich hat die duftige Musik, die folgt, Scherzandocharakter.
Szene am Brunnen
Wir sehen Melisande am Brunnenrand mit dem Ring spielen, den ihr Golo zum Zeichen ihres Bundes geschenkt hat. Das Mädchen wirft das Schmuckstück in kindischer Achtlosigkeit in die Luft, um es wieder aufzufangen.
In immer kühneren Würfen schachteln sich die beiden Motive ineinander, das springlebendig umgewandelte der Melisande (Holzbläser), und das jetzt ganz leicht ertönende Motiv der Bindung an Golo (Bratschen, später auch Bläser und Glockenspiel). Schönbergs Komposition bietet ein prachtvoll buntes Schauspiel kontrapunktischen Könnens. Was da so leicht und locker, überdies duftig und farbenprächtig instrumentiert, durcheinander wirbelt, ist äußerst kunstvollst geschichtet.
Golos Sturz
Das Jongleurspiel spitzt sich zu - der Ring landet im Schacht des Brunnens. Zur gleichen Zeit stürzt Golo, der ausgeritten war, vom Pferd; ein schlechtes Zeichen - das im jähen Akkord abreißende Geschehen wird von Golos Thema abgelöst, das in den Posaunen regelrecht zu Boden stürzt und danach ratlos (Holzbläser, Streicher) verebbt In Golo keimt ein schlimmer Verdacht: Düster hebt sich das neue, dem Schicksalsthema verwandte Motiv des Argwohns aus den Tiefen der Kontrabässe, dicht gefolgt vom Thema des Pelleas (Horn) und der Melisande (Klarinetten, Englischhorn).
Golos Eifersucht
In Golo, dessen Gedankenfluß kongenial in Klang umgesetzt scheint, wächst die Eifersucht. Schicksals- und Argwohnmotiv verschmelzen mit der Erinnerung an den Sturz vom Pferd...
Szene am Turm
Pelleas wacht inzwischen am Fuße des Turms, auf dem Melisande ihr Haar kämmt und sich zur Nacht vorbereitet.
Eine traumhaft-impressionistische Klangstudie schildert die Szene, wie das Mädchen die blonde Pracht den Turm herabfallen läßt und Pelleas sich ekstatisch darin verfängt. Irisierende, flatternde Akkordkaskaden in behutsamstem Pianissimo malen die erotisierende Atmosphäre dieses mitternächtlichen Bildes.
Golo tritt dazwischen (die Hörner blasen das unabwendbare Erinnerungsmotiv an den Treuebund), es kommt zum heftigen Dialog, den Schönberg weiter ausgreifen läßt als Maeterlinck: Melisandes Thema liegt in grellen Farben (Piccoloflöte, Es-Klarinette) über dem hektisch fluktuierenden Geschehen. Es sind die Verzweiflungsschreie der wider Willen gebundenen Frau, die hier tönen.
Der Argwohn Golos verwandelt sich in rasende Eifersucht (Posaunen unisono) - mit einer hysterischen Geste verwandelt sich das Pelleas-Thema zur hektischen Klangfratze: Golo schwört seinem Bruder Rache.
In den Katakomben
Zunächst führt er ihn aber zur Abschreckung in die Katakomben unter dem väterlichen Schloß. Schönbergs Orchestrierungskunst beschwört unheimliche, gräßliche Bilder. Posaunenglissandi - erstmals in der Musikgeschichte! -, tief liegende Flötentremoli, große Trommel, Tam-Tam und am Steg tremolierende Celli produzieren die schlammigen, finsteren Klänge einer Hexenküche. Daraus löst sich ein nur wenige Sekunden währender Dialog der beiden Brüder, das Thema der Verbindung Golo/Melisande schießt im Englischhorn in die Höhe, das Thema von Melisandes Liebeserwachen in Bratschen und Klarinetten. Schon versinkt das tönende Bild wieder im Schlamm, aus dem sich brüllend, umzuckt von den flammenden Gesten der Streicher, das Schicksalsmotiv erhebt.
Den Bläserakkord, in dem die Szene nach dem niederschmetternden Sforzato des vollen Orchesters ausklingt, bezeichnete Schönberg selbst als „Schicksalsharmonie“. Aus ihrem schrecklichen Nachhall löst sich das zauberhaft poesievolle Plätschern der Fontäne, das die Szene am Springbrunnen umspielt: Melisandes Melodie und das Thema ihres Liebeserwachens leuchten zwischen den vielfältig instrumentierten Wassertropfen (Streicherpizzicati, Harfen, hingetupfte Bläserakkorde).
III. ADAGIO - Liebesszene
Die Liebenden haben den Springbrunnen für ihr geheimes Stelldichein gewählt, vernehmen jedoch nichts mehr um sich. Die Welt versinkt - der erste Kuß: Auch Melisandes und Pelleas‘ Melodien halten einander innig umschlungen. Ein scheinbar unendlich weit geatmetes Adagio hebt an.
Breit verströmt sich der E-Dur-Gesang, den Schönberg in der Anlage durchaus vergleichbar mit dem Duett aus dem Mittelakt von Wagners „Tristan und Isolde“ gestaltet. Mehrere enorme musikalische Steigerungswellen führen die Liebenden in die Sphären der Entrückung, wo „der Wind den Atem anhält, da still wir uns küssen“, wie Maeterlinck seinen Helden schwärmen läßt.
Zweimal sinken die Klänge nach erreichtem Höhepunkt wieder in sich zusammen, um sich in erneut entfachter Leidenschaft zu ballen. Vor der dritten großen Vereinigung der Liebenden wird Melisande jedoch bereits des lauernden Golo gewahr.
Golos Rache
Eine flüchtige Flötenfigur malt ihr Erschrecken nach dem Auftreten des drohenden Golo-Motivs in den Bässen. Aber die Liebesnacht neigt sich ihrer Erfüllung zu. Im Augenblick der höchsten Ekstase stürzt der eifersüchtige Bruder auf Pelleas und erschlägt ihn. Den zuckenden Gebärden des Todeskampfes folgen über düsterem Paukenwirbel das Pelleas-Motiv, das Schicksalsthema und schließlich die verhaltene Klage der Melisande. Unmittelbar darauf setzt die Reprise ein.
REPRISE
Aus den raunenden Klängen erhebt sich nun aber nicht, wie zu Beginn der Erzählung, das Schicksals-, sondern das neue, über den durch die Sekund aufgefüllten Molldreiklang in die Septim ansteigende Todesmotiv, eingeführt von der Oboe. Ein zart abfallendes Thema des Englischhorns, das in aller Stille erklingt, steht für Melisandes Kind, das sie von Golo empfangen hat. Beide Motive durchdringen jetzt die Reprise der Wald-Musik, das Todesthema entfaltet sich über unablässig pochenden Paukentönen zu bedrohlicher Größe. Es wird vom Schicksalsmotiv abgelöst, dessen wilde Geste die Wiederkehr des Golo-Satzes begleitet, angestachelt von der Erinnerung an den Argwohn und das Kind.
Golos Eifersucht ist der Verzweiflung gewichen. Die Liebesmusik des Adagios klingt nach, die Repetitionen des Motivs von Melisandes Kind werden in immer rasenderer Abfolge zur Obsession. Plötzlich halten sie inne.
Melisandes Tod
Ein Harfenglissando entführt uns in die von ostinat fallenden Bläserakkorden symbolisierte Sterbekammer Melisandes. Das Todesmotiv schwebt unablässig über dem Geschehen. Ein letztes Mal schwingt sich die Solo-Geige mit der Reminiszenz des „Liebeserwachens“ in höchste Höhen: Der bedrohlich-immergleiche Puls der Musik kommt zum Erliegen. Ein schlichter as-Moll-Akkord der Hörner steht für Melisandes Tod.
CODA - Golos Einsamkeit
Dem Halbschluß auf B-Dur folgt die Coda, die der Einsamkeit Golos nach der Katastrophe gewidmet ist. Sein Thema schichtet sich zur heftigen Klimax, es tönt, als riefe er verzweifelt Melisandes Namen, bevor die Erinnerung an Episoden des Dramas wie das spielende Mädchen am Brunnenrand und die Szene am Schloßturm mit Melisandes Haarpracht in alptraumartig-schneller Folge den Sinn verwirren. Auch der große Adagio-Bogen der Liebesmusik klingt noch einmal nach, seine Steigerung führt ununterbrochen in eine Wiederholung von Golos Verzweiflungsrufen, die diesmal jedoch haltlos in sich zusammenbrechen. Die a>Musik verklingt in Hoffnungslosigkeit, indem sie Golos Motiv gänzlich in einen lang ausgehaltenen d-Moll-Akkord auflöst.
Zemlinskys Kritik
Im April 1903 reagiert Alexander Zemlinsky, dem Schönberg die vollendete Partitur als erstem zugesandt hatte, nach ersten Studien euphorisch über die Komposition:Eines weiß ich heute schon: es ist das Kunstvollste, das in unserer Zeit geschrieben wurde. Ich glaube Richard Strauss wird nicht lange dein Freund bleiben!!! Was ich bis jetzt von den Themen kenne, ist mit wenigen Ausnahmen sehr originell. Etwas weniger Strauss wäre mir lieber.Zemlinsky macht allerdings auch Einschränkungen, die bemerkenswert sind und eine Schwierigkeit benennen, die von Ausführenden angesichts dieses Werkes bis heute bemerkt werden:
Die Instrumentation ist durchaus geistvoll und teilweise ganz neu - aber ich halte sie für ganz unpraktisch - nicht weil die Partitur schwer spielbar, ich glaube, daß vieles, sehr vieles nicht klingen kann, infolge der überladenen Polyphonie. Es ist menschenunmöglich die Wichtigkeit der verschiedenen Themen zu gleicher Zeit so abzutönen, daß die 1. Hauptsache die 2. u. s. w. zur Geltung kommt. Kommt dann noch dazu, daß jedes der Themen vonwegen der eigenen Klangwirkung, in den verschiedensten Combinationen der Instrumente gebracht wird -: ein Chaos! Ist es einem Dirigenten möglich und irre ich mich nur halb, so ist das die schönste Partitur, die man haben kann. Ich glaube es - ehrlich gesagt - nicht.Schönbergs Reaktion auf diese doch recht tiefgehende Kritik ist nicht überliefert. 15 Jahre später korrespondierten die beiden Freunde erneut über „Pelleas“. Vor einer Aufführung der Tondichtung in Prag schlug Zemlinsky vor, das umfangreiche Werk zu kürzen. Darauf reagierte Schönberg gereizt und versuchte, in einem vielseitigen Brief nachzuweisen, daß just jene Passage, die Zemlinsky für „ein Überbleibsel aus der Zeit des Formalismus“ hielt, „das Beste des Werkes“ sei. Jedenfalls beweisen zahlreiche Aufführungen, daß auch noch Jahrzehnte nach der Entstehung der Komposition das Problem der dicken, schwer durchdringlichen Instrumentation nicht gelöst ist. Nur allererste Dirigenten vermochten „Pelleas und Melisande“ zumindest auf Schallplatten in allen Phasen schlüssig und durchhörbar vorzustellen.