Streichquartett Nr. 3

Uraufführung: 19. September 1927

von ARNOLD SCHÖNBERG
Vier Sätze

I. moderato
II. adagio
III.Intermezzo. Allegro moderato
IV. Rondo. molto moderato


In Berlin entstand in den drei letzten Februarwochen des Jahres 1927 das Dritte Streichquartett, eine der konsequentesten und dichtesten Zwölftonkompositionen Schönbergs, mit der er seine musikalisch-schöpferische Tätigkeit wieder aufnahm.
→ Zeitumstände, Komposition
Zuvor hatte er, gestützt auf etliche frühere Skizzen, ein Drama, „Der biblische Weg“ verfaßt, ein Werk, das ihn auf die kommenden gedanklichen Probleme mit „Moses und Aron“ einstimmte.

Das dritte Streichquartett ist eines jener Werke, die akribisch klassische Formmuster aufgreifen und mit dem Hilfsmittel der Dodekaphonie um ihre tonalen Koordinaten verkürzen. Gehört will dieses Werk vergleichbar dem Bläserquintett und der Klaviersuite, ausschließlich „linear“ werden.

Die Emanzipation der Melodie ist so weit fortgeschritten, daß der Hörer darauf verzichten soll, Zusammenklänge in harmonischen Kategorien wahrzunehmen. Eine Anforderung, die auch Interpreten zu entsprechend differenzierter Spielweise verpflichtet, was bei allzu akribischer Auslegung leicht in Übertreibungen ausarten kann, wie Günter Pichler, Prmarius des im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts nicht nur in Sachen Avantgarde weltweit führenden Alban Berg Quartetts, dem Autor versichert hat. Auch aus diesem Grund sind Aufführungen der Zwölftonwerke Schönbergs bis heute ein heikler Balanceakt geblieben.

Das dritte Streichquartett ist über Auftrag der amerikanischen Mäzenatin Elizabeth Sprague-Coolidge entstanden, die den Komponisten zehn Jahre später auch zu seinem vierten und letzten Werk dieser Gattung animieren sollte.

Mit dem dritten Quartett läßt Schönberg erstmals die Zwänge klassizistischer Formmodelle, wie er sie noch im Bläserquintett konsequent nachvollzogen hatte, hinter sich. Zwar mangelt es nicht an Deutungen, die den vier Sätzen klassische Schablonen wie „Sonatensatz“, „Variation“ oder „Rondo“ zuweisen.
Aber Schönberg selbst hat sich gegen solche Analysen zur Wehr gesetzt. In einer 1936 in Los Angeles verfaßten Einführung in sein Quartettschaffen erklärte er, daß zumindest die ersten beiden Sätze des dritten Quartetts klassizistischen Erklärungsmodellen zuwiderliefen oder diesen jedenfalls nur „in einiger Hinsicht ähneln“. Mit der Berufung auf ältere Meister stellt Schönberg fest, daß ein Komponieren in althergebrachten Form-Mustern der Phantasie keinen Zwang auferlege, sondern daß sich die Vision, die ein Schöpfer von seinem Werk habe, nach ganz anderen als vorformulierten Schemata entfalte.

Musik ist Ausdruck der Seele und ihre herrschende Kraft ist die gleiche, die alle Äußerungen der Seele beherrscht. So kann die Psychologie in der Analyse mit Erfolg erklären, warum etwas auf etwas folgt, warum etwas solche Konsequenzen hat, warum dies lang und dies kurz ist, wann alles gesagt ist oder noch etwas fehlt, warum dieses Thema so oft oder mit so vielen Nachdruck vorgetragen wird, warum hier eine strengere, dort eine lockere Sprache verwendet wird. Jedoch, ob es möglich sein wird, dies in solch übersichtlicher Art zu formulieren wie unser Harmonie- und Kontrapunktregeln, das ist schwer vorauszusagen.


I. Moderato
Tatsächlich wird sich etwa der erste Satz des dritten Quartetts nicht so sehr dem erschließen, der auf Jagd nach „Haupt“. und „Seitenthema“, „Durchführung“ oder „Reprise“ geht, sondern dem, der sich dem expressiven Gehalt der Musik hingibt. Schönberg selbst hat in seiner Analyse einen - allerdings ungewöhnlichen - Weg gewiesen:
Als kleiner Bub quälte mich ein Bild, das die Szene aus dem Märchen „Das Gespensterschiff‘ darstelle, in der der Kapitän von seiner Mannschaft an den Topmast durch den Kopf angenagelt wird.
Sicher ist das nicht das Programm des ersten Satzes des Dritten Streichquartetts. Aber es mag unterbewußt eine sehr grausame Vorahnung gewesen sein, die mich veranlaßt, das Werk zu schreiben - so oft ich über diesen Satz nachdachte, erinnerte ich mich an das Bild.“ Aus solchen Andeutungen seien, so Schönberg weiter, leicht voreilige „psychologische“ Schlüsse zu ziehen. Aber der gefühlsmäßige Hintergrund des Satzes sei mit dem Bild immerhin „umschrieben“. Daraus erklärt sich wohl die unablässige, heftig gestoßene, hektische Achtelbewegung, die den gesamten Satz nahezu ohne Unterbrechung durchzieht. Das rasende Pochen bestimmt bereits den Beginn des Werkes, den eine vom Cello gegenläufig beantwortete, weit ausgreifende Geigenkantilene überwölbt. Die beiden Ebenen, die lyrische und die hektische, greifen ineinander. Es ist als ob die Kantilenen das hermetische Geflecht der Achtelbewegung durchstoßen und seine Maschen auflösen. Es kommt zu einer Beruhigung, aus der sich ein lyrischer Dialog herauslöst, wieder geführt von Primgeige und Violoncello, wieder von Achtelfiguren der Mittelstimmen begleitet, jedoch in besänftigter Gangart, bis die gestoßene Artikulation, diesmal von der Violine angeführt, sich wieder durchsetzt, immer mehr durchzuckt von blinkenden, wie ein Blitz die Landschaft erhellenden Pizzicati. Die unausgesetzte Bewegung in den immer gleichen Achtelwerten durchzieht, mehr oder minder aufdringlich, den gesamten ersten Satz des Quartetts, dem zur Erholung ein zart getöntes Adagio folgt.
II. Adagio
Wie ein milder Choral wird das Duett der beiden Geigen nach den heftigen Attacken der unablässigen Bewegung empfunden. Zwei „Themen“ im klassischen Sinne werden vorgestellt. Das erste, von den Geigen angespielte, enthält recht deutliche tonale Felder, die nach dem bewegten Stirnsatz auch zur harmonischen Beruhigung beitragen. Der Beginn könnte mühelos in C-Dur gelesen werden. Jedoch ist vor allem das zweite Thema, „stets von Rhythmen und Figuren in kleinen Notenwerten begleitet“ *** Ex. 50 S. 63 prägnant und in seinem Bewegungsduktus verhältnismäßig leicht zu merken. Der Hörer kann seine Veränderungen durch den gesamten Satz hin verfolgen. Vor allem gegen Schluß, wenn es die Bratsche, umtanzt von den Figuren der übrigen Instrumente, weitausgreifend aufnimmt, bevor der Satz über Pizzicatoklängen und einer ebenfalls auf dem zweiten Thema basierenden, verzückten Geigenkantilene in sein verträumtes Ende entfließt. Im retrospektiven Sinne wird dieses Adagio gern als Variationensatz interpretiert. Schönberg konnte sich mit dieser Deutung nicht abfinden. Noch viel eher, kommentierte er, ließe sich eine Rondoform ausmachen.
III. Intermezzo. Allegro moderato
Das folgende „Intermezzo“ läßt sich hingegen ganz deutlich als schumanneskes Scherzo mit zwei Trios dechiffrieren: Dem Hauptteil, beherrscht vom 9/8-Springtanz, den die Bratsche exponiert, folgt zunächst ein Trio von heftig bewegtem Charakter, dessen Thema vor allem durch den prägnant rhythmisierten abschließenden, über zweieinhalb Oktaven ausgreifenden Sprung nach oben charakterisiert ist. Eingebettet in diesen Abschnitt ist das ruhigere zweite Trio, dessen Thema aus zwei spiegelgleichen Hälften besteht *** BSP 58 S. 65 Anders als im ersten Satz begnügt sich Schönberg hier nicht mit einer vergleichsweise simplen rhythmischen Struktur. Der lockere Beginn wird bald überlagert von immer neuen Verlagerungen der Schwerpunkte in den einzelnen Takten, was der Musik den Eindruck des Unsteten, Haltlosen verleiht.
VI. Rondo. Molto moderato
Auch das Finale, das als munterer Rondo-Kehraus gedacht ist, kennt Eintrübungen, die, ausgehend von Umformungen der markanten repetierten Septimsprüngen des Beginns bald wie Reminiszenzen des düsteren Stirnsatzes anmuten.

Uraufführung in Wien

Die Uraufführung des Dritten Streichquartetts fand kurz nach des Komponisten 53. Geburtstag am 19. September 1927 im Wiener Konzerthaus durch das von Schwager Rudolf Kolisch angeführte Wiener Streichquartett statt. Im selben Konzert erklang neben Werken von heute so gut wie vergessenen Komponisten - Charles M. Loeffler und Frederick Jacobi – auch die Uraufführung von Ottorino Respighis archaisierendem „Trio botticelliano“ für Kammerorchester - ein ideales Beispiel für die zwischen den unterschiedlichen „Richtungen“ der zeitgenössischen Musik jener Jahre klaffenden Gräben.



↑DA CAPO