Streichquartett Nr. 3
von ARNOLD SCHÖNBERG
Über Auftrag von Elizabeth Sprague-Coolidge entstand in wenigen Wochen zwischen April und Juli 1936 das Vierte Streichquartett. Die Mäzenatin, die bereits das Dritte Quartett bestellt hatte, finanzierte im Jänner 1937 noch ein kleines Schönberg-Festival auf dem Campus der UCLA, dem bereits eine Präsentation der ersten drei Streichquartette in Pasadena vorangegangen war.
Beethoven-Assoziationen
Diesmal stellte das Kolisch-Quartett an vier Abenden alle vier Streichquartette des Komponisten vor, gekoppelt mit jeweils einem der späten Beethoven-Quartette, eine Kombination, die sich auch später immer wieder bei verschiedenen Ensembles, nicht zuletzt dem LaSalle-Quartett, bewährt hat. Die Konzerte, deren Höhepunkt die Uraufführung des Vierten Quartetts am 8. Jänner 1937 war, zogen mehr und mehr Menschen an. Der Komponist berichtet der Auftraggeberin nach dem Finale der viertägigen Konzertserie erfreut über den
vollen Erfolg: Im ersten Konzert waren 6-700 Menschen im zweiten knapp 1000, im dritten an die 1200 und im vierten 1500. Der Erfolg des Kolisch-Quartetts war umwerfend.
Wobei Schönberg die Schuld am mangelnden Besuch der ersten Abende dem Management der Universität in die Schuhe schob, das nichts unternommen hätte, die Konzerte zu bewerben und die Einladungen zu spät abgeschickt hätte.
Schallpatten
Das Kolisch-Quartett nahm in der Folge alle vier Quartette für Schallplatten auf, eine Pioniertat, die via Compact Disc bis heute das hohe Niveau dieses Ensembles, das auch Schönberg lobte, demonstriert. Das neue Vierte Streichquartett stellten die vier Musiker bald nach der Uraufführung auch in Europa, unter anderem in Prag und Wien vor. Wobei die Wiener Aufführung am 14. Mai 1937 die Besonderheit bot, daß das Werk nach einer Pause und der Wiedergabe von Anton von Weberns Stücken op. 5 wiederholt wurde. So sollte ein besseres Verständnis der Musik gewährleistet werden.
Das neue Quartett, sein erstes amerikanisches Zwölftonwerk, sei gewiß »gefälliger als das Dritte«, versicherte Schönberg der Auftraggeberin in jenem Brief, in dem er die Fertigstellung der Partitur am 26. Juli 1936 meldete. Der Zusatz »aber das glaube ich jedesmal« hat seine Berechtigung. Denn auch das Vierte Quartett, das unter der Opuszahl 36 veröffentlicht wurde, gehört zu den verhältnismäßig schwer durchhörbaren Werken der Zwölftonperiode.
Die einzelnen Sätze
I. Allegro molto, energico
Und doch gibt sich etwa der Stirnsatz, dramaturgisch vielschichtiger, abwechslungsreicher als das Gegenstück im Dritten Quartett. Der zackige Marschton, den die Musik zunächst einschlägt, wird bald aufgelockert von immer wiederkehrenden schwirrenden, geheimnisvoll schillernden Klanginseln, die dem Satz eine bedrohlich-unheilvolle Komponente verleihen.
Sie sorgt dafür, daß sich die Geschehnisse gegen die Mitte des Satzes zu immer weiter verdichten, zu hektischen Ballungen führen, ehe sich die Klänge in ihre Einzelteile zu verlieren scheinen. Erst in der Coda stellt sich der energische Geist des Beginns wieder ein und führt zu einem kraftvollen Beschluß.
Diesem Verlauf klassizistische Formmuster unterschieben zu wollen, hat nur begrenzt Sinn. Dem Hörer nützt es wenig, wenn aus der Partitur mühevoll ein »Sonatensatz« abgelesen werden kann. Hörend sind viel leichter die Metamorphosen, die beständigen Veränderungen kleiner Motive zu verfolgen, die in immer neuer Gestalt erscheinen: die fallende Sekund in breiten Notenwerten, wie sie die Violine im ersten Takt exponiert und die darauf folgende Achtelbewegung spuken in wechselnder Gestalt durch den gesamten Satz.
II. Comodo
Auch im folgenden Comodo verweist Schönberg in seiner eigenen Analyse auf die Anlehnung an die alte dreiteilige A-B-A-Form hin, bezeichnet den aus neuem thematischen Material gespeisten B-Teil allerdings gleichzeitig als »durchführungsähnlich« und verweist darauf, daß der Abschnitt A bei seiner Wiederholung durch Elemente aus B angereichert ist.
Auffällig sind die zarte Anlehnungen an Walzerrhythmen, die sich während des gesamten Satzes immer wieder einstellen.
III. Largo
Mit einer ausdrucksstarken Kantilene, die alle vier Instrumenten unisono vorstellen
***BSP
hebt das Largo an, das dem Ohr immer wieder erstaunliche Assoziationen zu tonalen Kadenzen ermöglicht. Es ist eine der schönsten, bewegendsten Eingebungen Schönbergs und einer jener Sätze aus dem Spätwerk, die sich unmittelbarer als die meisten andern erschließen. Hier ist es die markante Zweiunddreißigstelfigur, deren Verwandlung man auch beim ersten Hören verhältnismäßig einfach mitverfolgen kann. Die Unisono-Geste kehrt nach berückend zarten Dialog-Strukturen wieder, verändert, noch stärker an die vergleichbare Passage aus Paul Hindemiths Mathis der Maler (am Beginn der Versuchung des Hl. Antonius) gemahnend. Hier begegnen einander zwei Antipoden im gemeinsamen Ausdrucksbedürfnis.
Die darauf folgende zweite Entwicklungsphase führt zu lebhafteren Gebärden, die immer wieder von großen lyrischen Gesangsbögen (vor allem in der Bratsche) durchzogen werden, die zuletzt auch zum ruhigen Verklingen führen.
IV. Allegro - Agitato
Amabile, also »liebevoll«, beginnt das Final-Allegro, das allerdings sofort von nervösen rhythmischen Attacken durchzuckt wird, die die Musik immer wieder hektisch zuspitzen. Auch hier sind es, wie im ersten Satz, die farblichen Extreme, die dem Ganzen dramatische Kontraste sichern und Schönbergs »entwickelnder Variation«, die auch die größten Gegensätze aus ein und demselben Kern zu entwickeln vermag, zum spannenden Hörabenteuer werden lassen: Hinter jeder Ecke lauern neue Überraschungen, sanfte Bewegung wechselt mit überstürzter Raserei. Am Ende aber siegt - so unvorbereitet, wie das in diesem abwechslungsreichen Zusammenhang nur geschehen kann - der zärtliche Ton des Beginns.