Das Streichquintett
Das Quintett für zwei Violinen, Bratsche und zwei Violoncelli aus dem letzten Lebensjahr Franz Schuberts gehört zu den ungeuerlichsten Hörerfahrungen, die in Musikfreund machen kann, wenn er bereit ist, sich eine knappe Stunde lang in die Hand des musikalischen Seelenforschers Schubert zu geben und den Emotionen freien Lauf zu lassen.
Wie die drei Klaviersonaten von 1828 und im G-Dur-Streichquartett dringt der Komponist hier in Regionen subjektiver Ausdrucksmöglichkeiten vor, die ihn oft an den Rand der Möglichkeiten der tonalen Musik führen, wie sie erst in der Zeit zu 1900 von der Enkelgeneration erst wieder erkundet werden sollten.
Im Zentrum des Quintetts steht das E-Dur-Adagio, das von ähnlich schwebendem, unwirklichem Charakter ist wie der langsame Satz der letzten von Schuberts Klaviersonaten (B-Dur, D 960), aber in seinem Mittelteil durch einen unheimlichen, diabolisch pulsierenden Ausbruch in cis-Moll unterbrochen wird, dessen Irritationspotential bis zum Ende des Satzes nachvibriert. Obwohl die Reprise des E-Dur-Themas von tröstlichen Geigenfiguren umspielt wird, wirkt die Wiederkehr des Baß-Trillers, mit dem die erbarmungslose Negativitätswelle zuvor herangerollt war, wie eine gefährliche Drohung - die allerdings wieder zurückgenommen wird: der Satz endet still, aber durch die schmerzlichen Erfahrungen unterminiert. Der Idylle ist nicht zu trauen.
Diese Musik nimmt in ihrer Radikalität tatsächlich die späteren dramatischen Effekte in der Geschichte der Instrumentalmusik vorweg, weist auf Mahler und die frühe Phase der Wiener Schule voraus. Nirgends wird das deutlicher als in der unsentimental-herben Deutung der Partitur durch den Schönberg-Adlatus Rudolf Kolisch, der das Quintett mit seinem Pro Arte Quartett erarbeitet hat - wobei sich leider nur die Sätze 2 bis 4 erhalten haben. Neben der beeindruckenden Realisierung des langsamen Satzes sind auch die tänzerischen Elemente des Finalsatzes erwähnenswert, die mit hinreißendem Gefühl für ein natürliches Rubato erklingen. Dramaturgisch außerordentlich auch der Schluß: Schuberts »Nachspiel«, das dem eigentlichen Schluß noch aufgepfropft zu werden scheint, erklingt in kaum einer anderen Interpretation dermaßen schlüssig: Kolisch zieht hier quasi Bilanz, durch das zurückgenommene Tempo kommt die Erinnerung an den »gefährlichen« Triller aus dem Adagio zu voller Wirkung und das sanfte Diminuendo auf dem Unisono-C zuletzt suggeriert die Unsicherheit, die hier bis zum »bitteren Ende« herrscht.
Die Verschmelzung dieser »wienerischen« Biegsamkeit im Ton mit äußerster Klangschönheit und expressiver Dringlichkeit scheint in der jüngeren (stereophonen) Vergangenheit unübertrefflich gelungen in der Studioaufnahme des Werks durch das Alban Berg Quartett mit Heinrich Schiff, die verständlicherweise eine der meistverkauften Kammermusik-Platten aller Zeiten wurde. (EMI/Warner)