Thamos

Die selten gespielte Schauspielmusik zu „Thamos, König von Ägypten“ enthält erstaunliche Vorgriffe auf die dämonischen Klangwelten des „Don Giovanni“, konfrontiert aber auch mit der Figurenwelt der späteren „Zauberflöte“.

Erstaunlich wenig bekannt auch bei Mozart-Kennern ist diese Schauspielmusik, die noch vor dem Idomeneo entstand, dessen kühne dramatische Sprache aber schon vorwegzunehmen scheint. Die ungewöhnlichen, mutigen Mittel, mit denen Mozart in seinem Idomeneo plastisch wie nie zuvor den Seelenaufruhr seiner Gestalten in Töne setzt, finden sich vorgebildet in den musikalischen Nummern, die der Komponist zum Schauspiel „Thamos, König von Ägypten“ von Tobias Freiherr von Gebler (1726–1786) beigesteuert hat.

Gebler war von Mozarts Musik begeistert. An einen Freund schrieb er:

Schließe auf allen Fall die Musik des Thamos bey, so wie selbige unlängst von einem gewissen Sigr. Mozzart gesetzt worden. Es ist sein Originalconcept und der erste Chor sehr schön.
1773 hat Mozart die Schauspielmusik bereits skizziert, doch findet die Gesamtaufführung des Thamos erst 1779 in Salzburg statt. Mozart überarbeitet für diesen Zweck die bis dahin existierende, durchaus pathetische Musik gründlich und fügt einen weiteren Chor nach einem Text von Andreas Schachtner („Ihr Kinder des Staubes“) hinzu.

Kühne Chor-Klänge

Ebendieser Chor enthält die kühnste Musik dieser Partitur. Er lotet mit seinen kühnen Klangwelten neue, abgründige Ausdrucksmöglichkeiten aus, wie sie später für die Erscheinung des Steinernen Gasts im Don Giovanni charakteristisch werden. Mozart-Forscher H. C. Robbins-Landon schreibt:
Nie zuvor, weder bei Haydn noch bei Mozart, war die Angst auf vergleichbare Weise dargestellt worden: Es ist, als hebe sich der Vorhang, um eine Szenerie des Grauens bloßzulegen, mit all den Ängsten, die als Archetypen in die kommende Musikwelt eingehen sollten. Es existiert noch eine frühere d-Moll-Instrumentaleinlage, die nach dem vierten Akt gespielt werden sollte und die ebenfalls die Dämonen entfesselt.
Nicht nur Gebler war von diesen Klängen fasziniert. Die Theatertruppe von Johann Böhm verwendet die Thamos-Musik für eine Aufführung von Karl Martin Plümickes Lanassa, einer deutschsprachigen Übersetzung von Antoine Lemierres Tragödie La veuve du Malabar. Womit die Thamos-Musik taxfrei vom ägyptischen ins indische Milieu versetzt wird. Diese Produktion steht jahrelang auf dem Spielplan der Wandertruppe, unter anderem auch anläßlich einer Stagione in Frankfurt, wo Mozart seine Musik in diesem neuen Zusammenhang hören kann, als er zu den Krönungsfeierlichkeiten Leopolds II. anreist.

Das freut ihn gewiß besonders, denn er schätzt seine Komposition sehr und klagt bereits 1783 in einem Brief an den Vater:
Es thut mir recht leid daß ich die Musique zum Thamos nicht werde nützen können! – dieses Stück ist hier, weil es nicht gefiel, unter die verworfenen Stücke; welche nicht mehr aufgeführt werden – es müßte nur blos der Musick wegen aufgeführt werden, – und das wird wohl schwerlich gehen; – schade ist es gewis!
Die Ideen und Figurenwelt aus Geblers Drama spukt in seiner Fantasie über lange Zeit. Nicht nur der ägyptische Schauplatz findet sich in der späteren Zauberflöte wieder. Auch manche Charaktere der handelnden Personen sind hier bereits vorgezeichnet.

↑DA CAPO