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Leitartikel vom 12. August 2005

Die Kulturnation staunt gern über sich selbst

Eine einzige Opern-Übertragung kann bemerkenswerte Diskussionen in Gang bringen. Das soll sie auch.

Fast eine Million Fernsehzuschauer, unzählige Zuschriften, Diskussionen auf den Mail-Foren; eines hat der Rummel um die Salzburger-Festspiel-Premiere mit dem Pop-Star der Opernwelt, Anna Netrebko, gebracht: Jedermann weiß nun, es gibt eine Oper namens »La Traviata". Viele haben sich gemerkt, dass diese von Giuseppe Verdi ist. Und manche, die daran nie gedacht hätten, überlegen nun vielleicht, sich doch einmal ein Opernhaus von innen anzuschauen.

Die Lehre aus dem enormen Echo, das die TV-Übertragung einer Festspiel-Aufführung ausgelöst hat, muss sein: Kultur ist ein Thema. Sie kann von Zeit zu Zeit sogar »das« Thema werden, wenn die Voraussetzungen stimmen.

Und dazu muss nicht unbedingt der Umweg über die von medialen Dampfwalzen geebneten PR-Pfade in Kauf genommen werden, auf denen im Vorfeld dieser »Traviata« eine gute Sängerin zu einer einzigartigen Diva stilisiert wurde. Schon im Vorjahr war das Erstaunen ja groß, als es ein Werk wie der »Rosenkavalier« von Richard Strauss auf über 600.000 TV-Zuseher im Schnitt bringen konnte.

Wer den Popularitätsunterschied zwischen Verdi und Strauss, Violetta und dem Ochs auf Lerchenau kennt, wird diesen Wert von 2004 vielleicht für die eigentliche Sensation halten. Die »Traviata« sollte nun endgültig ein Umdenken einleiten. Das Kulturleben unseres Landes gehört im öffentlich-rechtlichen Fernsehen viel umfassender dokumentiert, als das derzeit geschieht.

Jedes Jahr eine Liveübertragung zu wagen und dann zu staunen, wie viele Menschen dabei zuschauen, kann auf die Dauer nicht genügen. Mit derselben Professionalität, die man der Opern-Sendung aus Salzburg gewidmet hat, mit demselben Werbeaufwand, der schließlich auch für weitaus weniger kulturaffine Produktionen getätigt wird, müsste unser öffentlich-rechtliches Fernsehen den Finger am Puls des heimischen Kunst- und Kulturlebens haben.

Wie schön wäre es beispielsweise, wenn die Interessenten nun, wie es im Jargon so schön heißt, dranbleiben könnten, wenn man ihnen etwa die Kusej-Inszenierung von Grillparzers »König Ottokar« ebenso prompt frei Haus lieferte wie den modelmäßig ausstaffierten Verdi-Klassiker. Es darf durchaus angenommen werden, dass die Diskussionen da ebenso engagiert geführt würden wie bei der »Traviata". Immerhin handelt es sich dabei um einen Teil österreichischer Kulturgeschichte, den der Regisseur da hart angepackt hat; jeder Auseinandersetzung wert.

Die fremdenverkehrswirksamen Erzählungen vom blühenden österreichischen Musik- und Theaterleben werden nämlich, so steht zu befürchten, mit der Zeit verblassen, wenn die begleitenden medialen Maßnahmen fehlen. Wird nicht dokumentiert, in Wort, Schrift, Ton und TV-Bild, was im Lande an Nennenswertem passiert, wird es nicht dokumentierend - und auch kritisch - beleuchtet, droht schleichendes Vergessen. Dann passiert, was die derzeitige Vermarktungspolitik zu signalisieren scheint, dass nämlich die Konzentration aller Kräfte - und bald wohl auch des Publikums - nur noch auf glamouröse Einzelereignisse wie Auftritte einer Anna Netrebko fokussiert wird.

Noch kann man jedoch hierzulande mit Kultur-Unternehmungen Konzerthäuser, Theater, ja sogar Arenen füllen: Im burgenländischen St. Margarethen sehen über 200.000 Menschen heuer Bizets »Carmen". Von Harald Serafins Mörbischer »Lustiger Witwe« ganz zu schweigen.

Zu dokumentieren gilt es aber, was unsere Künstler nach wie vor im anspruchsvollsten Bereich des Kulturlebens zu leisten imstande sind. Nicht nur, wenn es um Verdi geht. Das wäre im wahrsten Sinne ein Kultur-Auftrag. Einer, der nicht nur auf dem Papier steht.

Wer es versäumt, ihn heute zu erfüllen, schneidet das Erinnerungsband ab, das notwendig zum kultivierten Leben gehört. Den Sommer über läuft eine bemerkenswerte Radio-Serie, in der an Wochenenden der Doyen des Burgtheaters mit dem ORF-Moderator Geschichte und Geschichten »aus Burg und Oper« erzählt. Ohne die passenden Tondokumente hieße das exekutieren, was Grillparzer einst amüsant anmerkte: »Beschriebene Musik ist wie ein erzähltes Mittagessen.« Die Technik heutzutage kann uns Kunst lebensnah ins Wohnzimmer bringen. Zur Belebung des Interesses und als Gedächtnis-Speicher für die Zukunft. Da wir ja, um bei Grillparzers Bild zu bleiben, auch in ein paar Jahren noch an vollen Tafeln speisen möchten . . .

↑DA CAPO

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