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3. August 2005

Anna Netrebko, die Urgestalt des Weibes?

Vor der »Traviata« in Salzburg richten sich alle Kameras auf die Sopranistin, deren Ruhm stündlich steigt.

Am kommenden Sonntag schlagen für den ORF wieder die großen drei Sommerstunden. Fünf vor acht beginnt die Übertragung jener Salzburger Festspiel-Premiere, für die seit Monaten nur noch auf dem Schwarzmarkt und zu so genannten »Apothekerpreisen« Eintrittskarten zu bekommen sind.

Der Grund für die Aufregung: Anna Netrebko, Superstarlet des internationalen Tratsch- und auch Musikvermarktungsgewerbes, ist als Violetta angesetzt. Die Rolle hat sie zwar auch schon zu ganz normalen Repertoire-Preisen, etwa an der Wiener Staatsoper, gesungen. Aber der Ruhm der russischen Sopranistin steigt stündlich. Damit auch ihr Marktwert.

Schon im Vorjahr erschien eine DVD mit Opernarien, auf der Anna Netrebko singt. Aber das Singen ist nur die Nebensache. Vor allem ist Anna Netrebko zu sehen, in Pin-Up-Posen, als Dvořáks »Rusalka« etwa auf einer Luftmatratze schwimmend. Aus solchem Stoff sind Straßenfeger auch im Opernbereich. Wenn die Sängerin avisiert ist, strömen auch Menschen, die sonst nie ein Opernhaus betreten würden, in Scharen zu Mozart oder Verdi, ja sie kaufen sogar DVDs mit Musik von Serge Prokofieff.

So war es naheliegend, dass der ORF nach seinem für alle Beteiligten und vor allem für die Kommentatoren erstaunlichen Quotenerfolg mit Richard Strauss' »Rosenkavalier« heuer jene Salzburger Produktion zur Übertragung auserkoren hat, in der Anna Netrebko mitwirkt; noch dazu in der Rolle einer zunächst leichtfertigen Kurtisane, die dann im Laufe des Stücks zwar geläutert wird; aber immerhin.

Lokalaugenschein bei der Probe

Und was, so fragt sich die Welt, wird bei der Premiere zu sehen sein? Ein Lokalaugenschein bei den Proben verrät bereits viel über die zu erwartende Optik, das theatralische Element der Aufführung, das wohl für manchen Beobachter das zentrale Anliegen sein und bleiben dürfte. So viel darf jetzt schon verraten werden: Anna Netrebko schwirrt zunächst im roten Kleid über die Bühne, wirft sich ordentlich in Positur, dann ist sie ein ganzes Bild lang im Negligee zu bewundern, zeigt viel Bein, freundlicherweise auch zu Zeitpunkten, wo Verdis Violetta laut Partitur gar nicht auf der Bühne anwesend sein dürfte, weil ihr geliebter Alfredo davon singt, wie einsam das Leben ohne sie doch ist.

Etwas genauer besehen, doch ohne der Premiere vorgreifen zu wollen: Die Inszenierung Willy Deckers dürfte doch auch höhere Qualitäten haben als die bloß und möglichst ununterbrochene Schaustellung der allseits begehrten russischen Sängerin. Kann sein, dem Regisseur wird sogar die Vereinigung beider Ebenen gelingen, der Prominenten-Schaulust und der künstlerischen Umsetzung eines Frauenschicksals. Als wär's eine direkte Fortsetzung der Wiener »Lulu«-Inszenierung, setzt Bühnenbildner Wolfgang Gussmann die Traviata nämlich in eine Arena.

Wie Alban Bergs und Wedekinds Geschöpf ist das von Dumas und Verdi die »Urgestalt des Weibes«, ein »wahres, wildes, schönes Tier«, begafft von der Gesellschaft, aus sicherer Entfernung vom oberen Rand der Arena - und von uns, versteht sich, aus sicherer Entfernung aus dem Zuschauerraum. Die weiße, riesige, gewölbte Wand, vor der sich wie im Zirkus alles Zwischenmenschliche ereignet, fungiert überdies, wie während der Proben schon klar wurde, als enorme akustische Schallmauer, die den Sängerstimmen - zumindest bei leerem Auditorium - enorme Größe verleiht.

Die Premiere wird lehren, wie sich die Herren der Schöpfung, die ihren Vater-Sohn-Konflikt im Probenambiente beinahe schon premierenreif dramatisch bis hin zur Handgreiflichkeit bewältigten, gegen die optische Konkurrenz der Anna Netrebko bewähren werden.

Vor allem bleibt das Geheimnis der akustischen Qualität der Aufführung unter Carlo Rizzis Leitung bis zur Premiere gewahrt. Zumindest bis zur öffentlichen Generalprobe, die man heuer regelwidrig verkauft hat, weil es Benefizgelder für den Umbau des Kleinen Festspielhauses zum »Haus für Mozart« zu sammeln gilt.

Jedenfalls treten musikalisch bedeutende Protagonisten mit der Netrebko in die Arena: Rolando Villazon, einer der besten jungen Tenöre unserer Zeit, und Thomas Hampson, Bariton-Star von altem Salzburger Schrot und Korn, der in der Regel allein schon für volle Häuser sorgt . . .

↑DA CAPO

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