Die Klaviertrios
B-Dur op. 99, Es-Dur op. 100
Schubert und die große Form
Die Geschichte des Klaviertrios, das mit Haydn und Mozart gerade begonnen hatte, schien mit Beethovens letztem Beitrag zur Gattung, dem populären Erzherzogstrio auch schon wieder zu Ende. Es dauerte etwa ein Jahrzehnt, bis Franz Schubert zur Feder griff und seine beiden großen Klaviertrios schuf.
Die beiden großen Klaviertrios von Franz Schubert stammen aus jener Periode, in der sich der Komponist mit kammermusikalischen Werken den Weg zur großen Symphonie bahnen wollte. Auf diesem Weg begleiteten ihn bedeutende Musiker jener Zeit, von denen der Geiger Ignaz Schuppanzigh scbon für Ludwig van Beethoven, Schuberts großes Vorbild, eine bedeutden Rolle gesppielt hatte. Schuppanzig, der seine legendären Quartett-Soireen in Wien 1823 wieder aufgenommen hatte (und der wichtigste Uraufführungs-Motor für zahlreiche Beethoven-Werke gewesen war) gründete mit 1827 mit dem Cellisten Linke und dem Pianisten Carl Maria von Bocklet ein Ensemble, für das Schubert sogleich zwei seiner wichtigsten Kammermusik-Werke schuf. Schuppanzigh und Linke hatten zuvor bereits sein Streichquartett in a-Moll und sein Oktett uraufgeführt, Bocklet war Widmungsträger der Klaviersonate in D-Dur (D 850), allesamt Werke von Schuberts »symphonischer Spurensuche«.Beide Klaviertrios, die Schubert 1827 schrieb, sprengen die bis dahin - selbst von Beethoven weit gezogenen - Grenzen der Kammermusik. Schubert arbeitet nicht mehr mit klassischen Themen, sondern mit ganzen Themen-Blöcken - und bereitet damit nicht mehr sich selbst, sondern (in der Retrospektive) Anton Bruckner das Feld!
Beide Werke zählen seit langem zum Fixbestand des Kammermusik-Repertoire, es ist eine erstaunliche Volte der Musikgeschichte, daß nach langer Ignoranz Anfang 1828 gleich zwei Berliner Verlagshäuser bei Schubert just Klaviertrios orderten. Schott war zu Ohren gekommen, daß der Komponist ein exzellentes neues Trio komponiert haben soll. Er schrieb im Februar 1828
Ew. Wohlgeboren sind uns bereits durch Ihre vortrefflich gearbeitete Kompositionen seit mehreren Jahren bekannt ... wir haben immer mehr gesehen, wie vorteilhaft und immer klarer, seelenvollerSchubert zu »phantasieren« verstünde. Zur selben Zeit traf ein Schreiben von Schotts Leipziger Konkurrenten Probst bei Schubert ein. Auch er orderte ein Klaviertrio! Es könnte sein, daß wir dieser Überschneidung die Tatsache zu verdanken haben, daß Schubert gleich zwei Klaviertrios von ähnlichen (inneren wie äußeren) Dimensionen geschrieben hat...
Das Trio in B-Dur
1. Allegro moderato
2. Andante un poco mosso
3. Scherzo. Allegro – Trio
4. Rondo. Allegro vivace
Das Trio in B-Dur scheint das erste Werk der Zweiergruppe zu sein. Jedenfalls erschien es bei Leidesdorf posthum als
Premier Grand Triound scheint auch als erstes zu Schuberts Lebzeiten aufgeführt worden zu sein, nämlich in einem Programm des Schuppanzigh-Trios im Dezember 1827 (als das Es-Dur-Trio vermutlich noch nicht vollendet war).
Im Vergleich zum kräftig zupackenden Schwesterwerk ist das B-Dur-Trio lyrischer, empfindsamer. Robert Schumann nannte es
anmuthig, vertrauend, jungfräulich,und überspielt damit ein wenig die dramatischen Verläufe in den Durchführungspassagen - namentlich im ersten Satz, der zunächst das Hauptthema, dann den Seitensatz kräftig modulierenden Steigerungswellen zuführt, die nach regelrechten Zusammenbrüchen in eine harmonisch erstaunlich weit ausgreifende »Reprise« münden: Sie findet über die Tonarten Ges-Dur und Des-Dur erst spät in die Grundtonart zurück, ehe die Coda noch einmal dramatisch in Aufwallung gerät, um mit einer knappen Rückschau resignierend zu enden.
In einem großen Fluß strömt das Andante dahin - wie oft hat Schubert in Liedern Bäche, Flüsse, Ströme besungen? Die Bewegung dieser Kompositionen scheint auf diesen Instrumentalsatz übergegangen zu sein. Das Scherzo hingegen hat einen für Schubert ungewöhnlichen, fast zynischen Untertont, der lediglich im schlichten Trio schweigt. Riesenhaft in den Dimensionen ist dann das Final-Rondo, das die Tendenz zu großformatigen Themen-Gruppen aus den späten Sonatensäzten Schuberts auf die sonst eher leichtergewichtige Rondoform überträgt und dadurch ein Gegengewicht zum bedeutenden Kopfsatz schafft.
Das Trio in Es-Dur
Das Es-Dur-Trio entstand 1827 zur Zeit der Winterreise und ist von durchaus vergleichbarer Ausdrucks-Intensität. Wie im Liederzyklus reißt die Spannung und die emotionelle Beteiligung in keinem Moment ab - Schubert schafft das im kammermusikalischen Werk ohne Worte, indem er seinen Instrumentalmelodien und deren »Begleitung« ähnlich beredte Qualität zugesteht wie der Singstimme in den Vertonungen der aufwühlenden Gedichte.
Zwar ist der Duktus des Eingangs-Allegros von Schwung und positiver Energie getragen, doch hörte schon der erste bedeutende Kommentator, Robert Schumann, in den ersten beiden Themen des Satzes
tiefen Zorn und wiederum überschwengliche Sehnsucht.
Letzteres Gefühl bricht sich in den Verarbeitungen des dritten melodischen Gedankens Bahn, die die zentrale Durchführung beherrschen, deren große, weit geatmete Blöcke Bruckner vorausahnen lassen.
Im Andante vernahm Schumann
einen Seufzer, der sich bis zur Herzensangst steigern möchte.Seufzend klingt hier tatsächlich das Cello-Thema, das sich über kalten Akkorden entfaltet und tatsächlich wie die »gefrorene Tränen« aus der Winterreise klingt. Das Thema ist tatsächlich das Zitat eines Lieds, allerdings keines eigenen, sondern eines schwedischen Volkslieds, das Schubert im November 1827 im Salon der Schwestern Fröhlich gehört hatte, gesungen von dem schwedischen Tenor Albert Berg. Eine bezeichnende, dramatische Metamorphose beschreibt dann Thema Nr. 2, das zunächst in freundlichem Dur erscheint, dann aber kapriziöse Sprünge in immer gefährlichere Regionen wagt und bald bedrohlich zu klingen beginnt. Ein flehentliches Wiederaufflammend der schwedischen Lied-Melodie (das meinte Schumann wohl mit Herzensangst) kann keine Beruhigung bringen, erst die zweite Wiederkehr des Themas, harmonisch neu beleuchtet, bringt die Turbulenzen zur Ruhe, hinterläßt den Hörer aber melancholisch.
So kommt denn auch das Scherzando, das spielerisch beginnt, im Trio nicht ohne ironische, ja zynisch-spitze Untertöne aus. Das Drama ist nicht zu Ende: Schubert hat noch einen Final-Satz geschrieben, der zu den längsten, fantastisch-ausufernden Versuchen auf seinem viel zitierten »Weg zur großen Symphonie« gehört. Selten ist dieser vierte Satz in seiner ursprüngliche Länge zu hören: Für die Drucklegung hat ihn Schubert selbst empfindlich gekürzt - und immer noch 750 Takte übrig gelassen - an Stelle des hier gewohnten unbeschwerten Kehraus steht ein riesiger Sonatensatz als Dialog zwischen zwei in Charakter, Tonart und Taktart (!) extrem gegensätzlichen Themen(blöcken). In der - bis ins tonal weit abgelegene h-Moll treibenden - Durchführung und in der Coda kehrt auf den emotionalen Höhepunkten der Erzählung das »schwedische« Thema des zweiten Satzes wieder, neu verbrämt und in seiner melancholischen Grundhaltung erst ganz zuletzt überwunden: Das Werk schließt positiv und wie eine späte Bestätigung der allerersten Emotionen, die der Hörer beim Eintritt des Eingangsthemas der ersten Satzes vielleicht empfunden haben mag.