5. März 2007
Die Kleptomanin vom Ostbahnhof
»Manon« mit Anna Netrebko. Eine Staatsopern-Premiere als rein musikalisches Ereignis.
Anna Netrebko würde ein »Mauerblümchen« des Opernrepertoires neu beleben, hieß es. »Manon« von Jules Massenet war anlässlich der Staatsopern-Premiere am Samstag tatsächlich ein rauschender Erfolg.
Nur: »Manon« war - wie in aller Welt - auch in Wien jedes Mal ein Erfolg, wenn die Direktoren nur an Massenets Kunst glaubten und das Werk ansetzten. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war es dem französischen Repertoire im Haus am Ring ja schlecht ergangen.
Damit auch der armen »Manon«, die zwar einige hinreißende, umjubelte Aufführungen erlebte, in der Jeannette Pilou und Giacomo Aragall demonstrierten, wie leidenschaftlich und mitreißend dieses Werk sein kann, in der Edita Gruberova ein Jahrzehnt später demonstrierte, dass man Koloraturen auch in diesem Genre nutzbringend anwenden kann.
Doch zum Repertoirestück konnte das anderswo viel gespielte Stück in Wien nicht werden, weil man hierzulande mit dem spezifischen Stil, der da gefordert ist, wenig anzufangen weiß.
Die Mischung aus Sentiment und Revue, großer Geste und frecher Offenbachiade erfordert ein Fingerspitzengefühl, das Solisten, Ensembles und Dirigenten in unsern Breiten kaum aufzubringen imstande sind. Die Sache rutscht allzu leicht entweder ins Peinliche oder auf die Ebene veristischer musikdramatischer Aufwallungen a la Mascagni.
Massenet aber verschleudert Emotionen nicht zu Großmarktpreisen, sondern setzt sie wohldosiert ein, lässt sie zart aufblühen, oftmals als dezente Andeutung, wie ein Lächeln, von einem Fächer beinah gänzlich verborgen - der Connaisseur weiß: Erst dort entfaltet es seinen unwiderstehlich lockenden Reiz. Leidenschaft ohne Breitwandeffekte Der Jubel nach der Staatsopern-Premiere galt diesmal zu Recht nicht nur den singenden Weltstars Anna Netrebko und Roberto Alagna. Er schloss in nämlicher Intensität auch den Dirigenten ein.
Bertrand de Billy modelliert mit dem Orchester ein Meisterstück feinsinnig differenzierten Musiktheaters. Niemals verfallen die Musiker in Ausdrucks-Grimassen. Wo Massenet die Leidenschaften auflodern lässt, in der Verführungsszene in St. Sulpice etwa, sind die Melodiebögen mit verzehrender Intensität aufgeladen, ohne zum Breitwandeffekt zu entarten.
Massenet fordert nach jeder dynamischen Aufwallung den sofortigen Rückzug ins Pianissimoregister, in dem die Erregung, zurückgehalten, umso heftiger am Brodeln gehalten werden muss. Solche Kleinteiligkeit nicht zur Kurzatmigkeit werden zu lassen, die große Entwicklung zwingend und mitreißend fühlbar zu machen, das ist die interpretatorische Herausforderung.
In Wien nimmt man sie diesmal an und stachelt die Hauptdarsteller damit zu entsprechenden Leistungen an. Die Netrebko kostet ihre vokalen Chancen bis zur Neige aus.
Ihr weich timbrierter Sopran blüht auf, hat stets noch Reserven zu eruptiven Steigerungen, deren Mobilisierung der Schönheit der Stimme keinen Schaden zufügt. Auch im Fortissimo tönt sie mollig und gänzlich ungeschärft. So sichert sie manch hinreißend gestalteter Nummer noch eine applaustreibende Pointe. Sind es mehrere, klatscht das Publikum (wer kennt schon das Mauerblümchen »Manon«?) auch ausgiebig, ehe eine Arie noch richtig begonnen hat.
Roberto Alagna ist der Des Grieux an der Seite dieser Unwiderstehlichen. Sie treibt ihn im wahrsten Sinne des Wortes vor sich her, auch vokal: Der Tenor geht aufs Ganze. Das macht ihn doppelt sympathisch, denn wer weniger konsequent versucht, Massenets Wünsche nach Pianissimo und Dolce und Espressivo und »Intimite« zu erfüllen, macht das eminente Risiko solch engagierten Singens hörbar. Doch wo Alagna gewinnt, wo er seine metallisch glänzende Stimme erfolgreich zügelt, pariert er selbst die verführerischsten Einwürfe, die ihm seine Manon vorschriftsmäßig »doucement« ins Ohr flüstert.
In der Schluß-Szene spätestens blühen alle Blüten, die das Genre Oper zu treiben fähig ist, in sämtlichen Farben - und in stiller Harmonie, denn kein Kunstdünger falscher Emotionalisierung ward hinzugefügt. Musikalisch.
Da mögen Massenets Pferdeglöckchen noch so geschäftig tönen. Manon und Des Grieux fahren per Eisenbahn, am Cours-la-Reine prangen Filmplakate, und das elektrische Licht flackert. - Für das Stück ist damit so wenig gewonnen wie mit dem endlosen Gehüpfe und Gehudel.
Die drei meist gut konzertierten jungen Damen - Simina Ivan, Sophie Marilley, Juliette Mars - müssen sich schon beim ersten Ensemble in Verrenkungen isometrischer Morgenübungen präsentieren. Ein antiklerikales Nonnenballett darf nicht fehlen. Der Chor dagegen ist zur Hälfte immer wieder im Orchestergraben postiert; eine Hilfsmaßnahme vielleicht, denn zumindest von der dort singenden Gruppe kommen auch sicher ausbalancierte Akkorde.
Die zwei Hauptakteure ausgenommen, deren Natürlichkeit, Spielfreude über alle Niedrigkeiten inszenatorischer Hilflosigkeit erhaben sind, tun sich die Solisten schwer, in solchem Umfeld Profil zu gewinnen. Michael Roiders Guillot schaffte es am ehesten, einen diesfalls unsympathisch schleimigen, zuletzt wütenden Charakter zu zeichnen.
Adrian Eröd ist ein prachtvoll singender, als Figur aber wohl viel zu sympathischer Lescaut, dem man das Gefuchtel mit den Pistolen nicht glauben mag, das er im Dialog mit dem auch vokal allzu ungeschlachten Bretigny von In-Sung Sim absolvieren muss. Auch Ain Anger, der dem alten Grafen Des Grieux profunde Basstöne leiht, fehlt die führende Hand eines Regisseurs, der eine Geschichte konsequent erzählen könnte.
Bleiben zur musikalisch so glänzend vorbereiteten Premiere nur optische Mätzchen in hässlicher Billig-Ausstattung. Und eine Netrebko, deren kätzchenhafte Koketterie selbst die kleptomanischen Anlagen dieser Manon liebenswert macht. Bei ihr sitzt jeder Augenaufschlag, jeder kurze Blick in den Spiegel, jede naive Geste, deren Wirkung, einmal getestet, sogleich ins Repertoire der tauglichen Verführungseffekte übernommen wird. Es hat schon Opernaufführungen gegeben, in denen alle Figuren auf der Bühne so liebevoll gezeichnet zu erleben waren. Auch von Massenets »Manon«.
Nur: »Manon« war - wie in aller Welt - auch in Wien jedes Mal ein Erfolg, wenn die Direktoren nur an Massenets Kunst glaubten und das Werk ansetzten. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war es dem französischen Repertoire im Haus am Ring ja schlecht ergangen.
Damit auch der armen »Manon«, die zwar einige hinreißende, umjubelte Aufführungen erlebte, in der Jeannette Pilou und Giacomo Aragall demonstrierten, wie leidenschaftlich und mitreißend dieses Werk sein kann, in der Edita Gruberova ein Jahrzehnt später demonstrierte, dass man Koloraturen auch in diesem Genre nutzbringend anwenden kann.
Doch zum Repertoirestück konnte das anderswo viel gespielte Stück in Wien nicht werden, weil man hierzulande mit dem spezifischen Stil, der da gefordert ist, wenig anzufangen weiß.
Die Mischung aus Sentiment und Revue, großer Geste und frecher Offenbachiade erfordert ein Fingerspitzengefühl, das Solisten, Ensembles und Dirigenten in unsern Breiten kaum aufzubringen imstande sind. Die Sache rutscht allzu leicht entweder ins Peinliche oder auf die Ebene veristischer musikdramatischer Aufwallungen a la Mascagni.
Massenet aber verschleudert Emotionen nicht zu Großmarktpreisen, sondern setzt sie wohldosiert ein, lässt sie zart aufblühen, oftmals als dezente Andeutung, wie ein Lächeln, von einem Fächer beinah gänzlich verborgen - der Connaisseur weiß: Erst dort entfaltet es seinen unwiderstehlich lockenden Reiz. Leidenschaft ohne Breitwandeffekte Der Jubel nach der Staatsopern-Premiere galt diesmal zu Recht nicht nur den singenden Weltstars Anna Netrebko und Roberto Alagna. Er schloss in nämlicher Intensität auch den Dirigenten ein.
Bertrand de Billy modelliert mit dem Orchester ein Meisterstück feinsinnig differenzierten Musiktheaters. Niemals verfallen die Musiker in Ausdrucks-Grimassen. Wo Massenet die Leidenschaften auflodern lässt, in der Verführungsszene in St. Sulpice etwa, sind die Melodiebögen mit verzehrender Intensität aufgeladen, ohne zum Breitwandeffekt zu entarten.
Massenet fordert nach jeder dynamischen Aufwallung den sofortigen Rückzug ins Pianissimoregister, in dem die Erregung, zurückgehalten, umso heftiger am Brodeln gehalten werden muss. Solche Kleinteiligkeit nicht zur Kurzatmigkeit werden zu lassen, die große Entwicklung zwingend und mitreißend fühlbar zu machen, das ist die interpretatorische Herausforderung.
In Wien nimmt man sie diesmal an und stachelt die Hauptdarsteller damit zu entsprechenden Leistungen an. Die Netrebko kostet ihre vokalen Chancen bis zur Neige aus.
Ihr weich timbrierter Sopran blüht auf, hat stets noch Reserven zu eruptiven Steigerungen, deren Mobilisierung der Schönheit der Stimme keinen Schaden zufügt. Auch im Fortissimo tönt sie mollig und gänzlich ungeschärft. So sichert sie manch hinreißend gestalteter Nummer noch eine applaustreibende Pointe. Sind es mehrere, klatscht das Publikum (wer kennt schon das Mauerblümchen »Manon«?) auch ausgiebig, ehe eine Arie noch richtig begonnen hat.
Roberto Alagna ist der Des Grieux an der Seite dieser Unwiderstehlichen. Sie treibt ihn im wahrsten Sinne des Wortes vor sich her, auch vokal: Der Tenor geht aufs Ganze. Das macht ihn doppelt sympathisch, denn wer weniger konsequent versucht, Massenets Wünsche nach Pianissimo und Dolce und Espressivo und »Intimite« zu erfüllen, macht das eminente Risiko solch engagierten Singens hörbar. Doch wo Alagna gewinnt, wo er seine metallisch glänzende Stimme erfolgreich zügelt, pariert er selbst die verführerischsten Einwürfe, die ihm seine Manon vorschriftsmäßig »doucement« ins Ohr flüstert.
In der Schluß-Szene spätestens blühen alle Blüten, die das Genre Oper zu treiben fähig ist, in sämtlichen Farben - und in stiller Harmonie, denn kein Kunstdünger falscher Emotionalisierung ward hinzugefügt. Musikalisch.
Billige Ostblock-Szenerie
Der tönenden Wahrhaftigkeit setzt die Szenerie freilich die ungustiöse Pappendeckel- und Pressspan-Ästhetik des daheim längst entschlummerten Ostblock-Theaters entgegen. Jean-Pierre-Ponelles pastellfarbiger Bühnenzauber aus den 70er Jahren ist einem Billig-Produkt Marke Andrei Serban und Peter Pabst gewichen, das mit hohlen Räumen, einigen Projektionen und Gebrauchtmöbeln auskommt; und die Handlung überdies wieder in die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts versetzt.Da mögen Massenets Pferdeglöckchen noch so geschäftig tönen. Manon und Des Grieux fahren per Eisenbahn, am Cours-la-Reine prangen Filmplakate, und das elektrische Licht flackert. - Für das Stück ist damit so wenig gewonnen wie mit dem endlosen Gehüpfe und Gehudel.
Die drei meist gut konzertierten jungen Damen - Simina Ivan, Sophie Marilley, Juliette Mars - müssen sich schon beim ersten Ensemble in Verrenkungen isometrischer Morgenübungen präsentieren. Ein antiklerikales Nonnenballett darf nicht fehlen. Der Chor dagegen ist zur Hälfte immer wieder im Orchestergraben postiert; eine Hilfsmaßnahme vielleicht, denn zumindest von der dort singenden Gruppe kommen auch sicher ausbalancierte Akkorde.
Die zwei Hauptakteure ausgenommen, deren Natürlichkeit, Spielfreude über alle Niedrigkeiten inszenatorischer Hilflosigkeit erhaben sind, tun sich die Solisten schwer, in solchem Umfeld Profil zu gewinnen. Michael Roiders Guillot schaffte es am ehesten, einen diesfalls unsympathisch schleimigen, zuletzt wütenden Charakter zu zeichnen.
Adrian Eröd ist ein prachtvoll singender, als Figur aber wohl viel zu sympathischer Lescaut, dem man das Gefuchtel mit den Pistolen nicht glauben mag, das er im Dialog mit dem auch vokal allzu ungeschlachten Bretigny von In-Sung Sim absolvieren muss. Auch Ain Anger, der dem alten Grafen Des Grieux profunde Basstöne leiht, fehlt die führende Hand eines Regisseurs, der eine Geschichte konsequent erzählen könnte.
Bleiben zur musikalisch so glänzend vorbereiteten Premiere nur optische Mätzchen in hässlicher Billig-Ausstattung. Und eine Netrebko, deren kätzchenhafte Koketterie selbst die kleptomanischen Anlagen dieser Manon liebenswert macht. Bei ihr sitzt jeder Augenaufschlag, jeder kurze Blick in den Spiegel, jede naive Geste, deren Wirkung, einmal getestet, sogleich ins Repertoire der tauglichen Verführungseffekte übernommen wird. Es hat schon Opernaufführungen gegeben, in denen alle Figuren auf der Bühne so liebevoll gezeichnet zu erleben waren. Auch von Massenets »Manon«.