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10. Oktober 2008

Schwindsucht für den Hauptabend

Plakatives Vehikel für den Netrebko-Villazon-Kult: Robert Dornhelms BOHEME-Verfilmung wurde vor illustrem Publikum am Wienerberg uraufgeführt.

Natürlich sieht sie zauberhaft aus. Natürlich ist er der Lieblingsschwiegersohn vom Dienst. Und die beiden schmusen riesenleinwandtauglich. Puccinis "Boheme" mit Anna Netrebko und Rolando Villazon, das ist eine Dreierkombination, verdächtig fürs Hauptabendprogramm. Vor illustrem Seitenblicke-Publikum gab man in drei Sälen im Cineplexx auf dem Wienerberg die Premiere von Robert Dornhelms Opernverfilmung.

Der Tenor war ebenso gekommen wie Dirigent Bertrand de Billy, der zur Mittagsstunde die Generalprobe der kommenden Staatsopernpremiere (Gounods "Faust") geleitet hatte; Wiens Opernchef Ioan Holender, der an diesem Abend zum Filmstar mutierte, ebenfalls. Nur die Netrebko weilte zur Enttäuschung der Festgäste doch lieber mit Mann und Kind in New York.

Er wollte den beiden Hauptdarstellern ein Denkmal setzen, behauptete der Regisseur während der Dreharbeiten auf dem Wiener Rosenhügel. Das ist ihm gelungen: Im kräftig ausgemalten Bilderreigen nach neuestem, also plakativ-überzeichnetem Gusto - wenn es schneit, dann so heftig, dass die Gesichter der Darsteller kaum mehr zu erkennen sind - gibt es für optische Charmeoffensiven Gelegenheit in Hülle und Fülle.

Und da sich um die beiden naturbegabten Spieltalente herum exzellente Nebendarsteller gruppieren, überschwemmt der Film den Betrachter mit einer Unzahl von Veduten, die - jede für sich - wirken wie knallig aufpolierte Remakes alter Kostümschinkenherrlichkeit. Wobei selbst die optisch exquisit überdrehte Musette Nicole Cabell, aller Outrage zum Trotz, vom Regisseur konsequent in die Region der Edelstatisterie verbannt wird. Tatsächlich, der Film ist ein Monument für ein PR-taugliches Operntraumpaar, das ins Bild gerückt wird, wann immer es möglich ist. Selbst dann, wenn es - wie im Cafe Momus - von Gnaden des Librettos nur Stichworte zu bringen hat.

Ioan Holender als Mäzen

Die Musette ist im Übrigen wohl die größte Überraschung der Filmversion: Cabell ist auf der (längst bei Deutsche Grammophon erschienenen) CD eine eher blässliche Vokal-Erscheinung, explodiert auf der Leinwand aber förmlich zum Temperamentsbündel. Wie stark optische Impressionen doch zu wirken vermögen: Adrian Eröds zynisch-verschmitzter Schaunard bleibt als Charakterstudie in Erinnerung, auch wenn der Sänger die Lippen zum Gesang eines anderen Baritons bewegt. Ebenso geht es Georg van Bergen, der dank schauspielerischer Präsenz ein geradezu gefährlicher Gegenspieler für Villazons Rudolf wird, obwohl auch er die Partie nicht selbst singt.

Optik und Akustik, merkt man da, sind im Opernfilm fein säuberlich voneinander getrennte Ebenen. Weshalb die Angelegenheit doch mehr Film als verfilmte Oper bleibt - was auch möglich macht, dass Ioan Holender, Cousin des Regisseurs Dornhelm, in die Rolle des reichen Galans der Musette schlüpft und zum Gaudium des Kenner-Publikums einmal den großzügigen Mäzen - wenn auch wider Willen - mimen darf: Ein Ausnahmemoment, auf den hinzuweisen sich die Moderatorin des Abends, Barbara Rett, wunderschön anzuschauen in exquisit designtem Abendkleid, sich nicht verkneifen konnte.

So gab es Gelegenheit zu Tratsch en masse. Zwischendurch rührte Puccinis Musik, von Bertrand de Billy mit dem Bayerischen Rundfunkorchester farbenprächtig und nuancenreich aufgefächert, vielleicht doch den einen oder anderen zu Tränen. Auch dafür war vorgesorgt: Nebst Gummibärchen gab es auch Schokolade und ein Taschentuch auf jedem Kinositz.

Ohne Gespür für Nuancen

Dass Dornhelm kein Zeffirelli ist, ihm jegliches Gespür für die feinen Nuancen abgeht, die im Soundtrack immerhin zu hören sind, wird dem Erfolg wohl keinen Abbruch tun. Wer Puccinis Sensibilität kongenial in Bilder eingefangen sehen will, greift auf den alten, von Herbert von Karajan dirigierten Film mit der Freni zurück - und hört sämtliche Arien in der richtigen Tonhöhe, vielleicht noch ein paar Sopran-Finessen mehr als heutzutage üblich und möglich, vor allem aber Puccinis gesamte Musik, inklusive etwa dem Schlussakkord des dritten Bilds. (Das Geld bleibt im Übrigen bei derselben Vertriebsfirma.)

Für die Pflege des momentan noch anhaltenden Netrebko-Villazon-Kults ist der neue Film freilich das ideale Vehikel, ein bedeutendes Stück auf der Basis einer sehr guten akustischen Vorlage zum Well-Made-Play getrimmt. Das wird Kasse machen.

↑DA CAPO

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