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3. August 2012

Die Diva und ihr Puccini-Alleingang

»La Bohème« in Salzburg: Anna Netrebko und ihr Traumpartner, Piotr Beczala, vermochten sich gegen eine optische Orgie der Hässlichkeit und gegen ein orchestrales Lautstärkemeer durchzusetzen. Festspiel-Opfer für Einzelkämpfer.

Man könnte es vielleicht dabei bewenden lassen:
Anna Netrebko hat gesungen.
Sie hat, wie gewohnt, gute Figur gemacht und sich diesmal als Mimi in Szene gesetzt.
Ihr notorisches Theaterblut garantiert, dass der Zuschauer um sie herum jede Szenerie, auch die scheußlichste, vergisst: Wenn diese Künstlerin Puccini-Arien singt, wenn sie als verlorene Kreatur bei eisigen Temperaturen im Schnee kauert, (gleich ob auf einer Autobahnraststätte anno 2012 oder an der Barriere d'enfer zur Zeit des Bürgerkönigs), dann erlebt man ein Frauenschicksal wie in der besten Hollywood-Verfilmung.

Dann ist da ja auch noch Piotr Beczala, ein wahrer Traumpartner von einem Tenor, einfühlsam und bereit, den vollblütigen Sopranphrasen vokalen Nuancenreichtum in der tieferen Oktave an die Seite zu gesellen.

Da bleiben sogar Hunderttausende an den Fernsehgeräten hängen, wie die Statistik nach der ORF-Übertragung ausweist.
Also?
Die Salzburger Festspiele können einen Erfolg verbuchen.

Wahrscheinlich sind Opernfreunde, die ein solches Liebespaar auch noch in adäquater optischer, aber auch orchestraler Verbrämung zu erleben wünschen, Spaßverderber.

Aber Fragen bleiben dennoch offen.
Regisseur Damiano Michieletto will die Geschichte von der armen Kunstblumenmacherin in die Gegenwart verpflanzen.
Gut.
Aber warum hat Paolo Fantin das Bühnen-Ambiente bewusst hässlich ausstaffiert?

Paris 2012 oder Kaschau 1986?

Aus der Dachkammer wird eine Müllhalde, aus der Zollstation ein Würstelstand am Autobahnkreuz, aus dem Cafe Momus ein Minimundus-Paris auf einer gigantischen Projektion des aktuellen Stadtplans. Nur: Welches französische Kind ließe sich derartige Kostüme gefallen? Die Ästhetik Carla Tetis scheint weniger von Paris als von einer Ostblock-Kleinstadt knapp vor dem Zusammenbruch des Kommunismus inspiriert zu sein.

Statt für Moulin Rouge wirbt man denn auch für die Roten Khmer. Auch sonst ist jeglicher Anflug von Poesie - das Libretto ist reich daran! - getilgt. Keine Kerzen werden angezündet, sondern ein Tschick. Die Personenführung nützt kaum den Kontrast zwischen dem Traum vom schönen Leben und der brutalen Realität des Seelenkrimis.
Dieser Kontrast aber macht den eigentlichen Zauber dieser Oper aus.

Überdies begibt sich die Regie jeglicher Möglichkeit, in dem Tohuwabohu der Hässlichkeit die vielen Miniatur-Handlungselemente rund um die quirlige Musette sinnfällig werden zu lassen. Nino Machaidze leiht dem Püppchen blendende Figur und recht achtbare Stimme. Wirklich in den Vordergrund spielen kann sie sich im ungeordneten Gewühl nicht einmal mit ihrem koketten Walzerlied.

Die Verhinderungsstrategie hat offenbar Methode. Sie wirkt wie die szenische Entsprechung zur akustischen Komponente dieser Salzburger Premiere. Am Dirigentenpult waltet Daniele Gatti. Und der versucht zwar eine Menge Nebenstimmen der Partitur hörbar zu machen.
Das geht aber auf Kosten der großen melodischen Entwicklungen, zehrt also an der Substanz der Komposition. Differenziert darf man das nicht nennen, was die Philharmoniker abliefern, eher zerbröselnd. Gatti zerhackt die Musik in ihre Bestandteile, setzt auf Handkantenschlag-Akkorde und auf Lautstärke.
Wo er dämpft, wird der Mangel an innerem Zusammenhang offenkundig: Da tönt es leise, aber völlig leer.

Hohes C hinter der Blechwand

Rauschen die Geigen einmal auf, etwa beim verzweifelten Auftritt der beiden Mädchen im letzten Bild, klingt es mehr nach Lady Macbeth von Mzensk als nach Mimi und Musette. Puccini als Wegbereiter für Schostakowitsch und Strawinsky zu zeigen, falls das beabsichtigt gewesen sein sollte, das grenzt dann doch eher an Denunziation denn an kluge Interpretation.

Das Wichtigste, Puccinis Melos, kommt zu kurz. Die edelste Tugend der Philharmoniker, das behutsame Begleiten von Singstimmen, findet diesmal nicht statt.
Im Gegenteil.
Piotr Beczalas strahlendes hohes C in der Arie kann der Hörer hinter einer von den Hörnern errichteten Blechwand bestenfalls ahnen. Auch die übrigen Protagonisten leiden unter der Lautstärkenorgie. Alessio Arduini als Schaunard zieht das beste Los: Er präsentiert einen klangschönen Bariton. Massimo Cavalletti könnte es ihm als Marcello gleichtun, befleißigt sich aber nicht derselben klaren Artikulation.
Ohne die ist man im großen Festspielhaus, solange ein Dirigent wie Gatti am Pult steht, verloren.

Carlo Colombara hat das Glück, dass Collines Mantelarie nur pianissimo begleitet wird und reüssiert als Basso cantante.
Der Staatsopernchor, im Konkurrenzkampf mit den Philharmonikern geübt, ist durchwegs hörbar, wenn auch nicht immer im gleichen Takt wie die Instrumentalisten.

All das stört, scheint's, kaum einen Festspiel-Gast.
Die Inszenierung geht nach Shanghai.
Und, fast hätt' ich's vergessen: Die Netrebko hat ja gesungen...

↑DA CAPO

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