Maria CALLAS
1923 - 1977
Ein Lebensbild
Vorsingen im Konservatorium von Athen. Schon die
Vorstellung, dieses Mädchen könnte Sängerin werden, schien der
Gesangsprofessorin Elvira de Hidalgo»unsagbar lächerlich«.Die
Erscheinung der jungen Dame, so Hidalgo, wirkte abschreckend:»Sie war
groß und fett und trug eine Brille mit dicken Gläsern.«
Die
Kurzsichtigkeit blieb Maria Anna Cecilia Sofia Kalogeropoulos bis an ihr
Lebensende erhalten. Im Übrigen hat sich die 1923 in New York geborene Tochter
griechischer Eltern durch Abmagerungskuren und eiserne künstlerische Disziplin
zu einem Weltstar, zu der Operndiva schlechthin entwickelt. Als Maria Callas
eroberte sie die Welt - und die Schlagzeilen, nicht nur der Kulturseiten. Wenn
diese perfekte Darstellerin auf der Bühne stand, merkte niemand etwas von ihrer
Sehschwäche.
Hochexpressiv. Der Pariser Agent Michel Glotz sagte
einmal: »Sie hat in ihrem ganzen Leben von der Bühne aus nie einen
Dirigenten gesehen.« Er meinte das bewundernd für die Sängerin und ihre wichtigsten
Maestri, denn die Harmonie, die Callas etwa mit ihren»Chef preferé«,
Georges Pretre, in Rhythmus und Phrasierung erreichen konnte, war vollständig.
Es dauerte denn anlässlich des ersten Vorsingens im Konservatorium von Athen
nur ein paar Minuten, bis die Gesangslehrerin die optischen Unzulänglichkeiten
vergaß und nur noch lauschte. Mit geschlossenen Augen vernahm Hidalgo den
hochexpressiven, dramatischen Gesang einer geborenen Musikgestalterin, noch
ungeschliffen und ungelenk, aber erfüllt von einem Ausdruckswillen
sondergleichen stand da die Diva des 20. Jahrhunderts vor ihr. Es muss für die
Gesangspädagogin eine Wonne gewesen sein, diesem überreichen Material Form und
Halt zu geben.
Die Hidalgo war im Leben der Callas vielleicht die
wichtigste Konstante, eine prägende Persönlichkeit auch insofern, als sie ihr
das nötige Wissen um verborgene Schätze des Repertoires vermittelte, die, davon
war Hidalgo überzeugt, die Callas zu heben geboren sei. Eine immense
prophetische Leistung auch das: Die Arie, die das dicke Mädchen vorgesungen
hatte, stammte aus dem»Oberon« von Carl Maria von Weber. Und es war
das dramatische deutsche Repertoire, in dem die zu gewaltigen Eruptionen fähige
Stimme zuerst reüssierte.
Selbst Tullio Serafin, profunder Kenner von Singstimmen,
engagierte die junge Callas, die er in der Arena von Verona in Ponchiellis
"Gioconda« hörte, für Aufführungen des»Tristan« und der
"Walküre«.Isolde und Brünnhilde waren ihre ersten Partien, die sie
unter der musikalischen Leitung ihres Förderers und künstlerischen Betreuers
Serafin sang. Doch während einer Aufführungsserie der»Walküre"
geschah das Unglaubliche. Serafin fragte bei seiner Brünnhilde an, ob sie quasi
im Flug die Elvira in Bellinis»Puritanern« übernehmen würde. Callas
kannte gerade einmal eine Arie aus der Oper.
Wagner und Belcanto. Doch Serafin machte seinem Namen als
Connaisseur und wahrer»Maestro« seiner Ära Ehre: Die Wagner-Heroine
wurde zur Belcanto-Königin. Oder genauer: Die Wagner-Heroine war auch die
Belcanto-Königin - der Nimbus, in jedem Stil perfekte Leistungen erbringen zu
können, bescherte Maria Callas das Epitheton»Primadonna assoluta";
und sie war tatsächlich die einzige Sängerin im 20. Jahrhundert, auf die diese
Etikettierung wirklich paßte.
Man muss Studioaufnahmen und Livemitschnitte der frühen
Jahre hören, um zu wissen, was dieses Interpretenphänomen von anderen
exzellenten Sängerinnen unterschied. Verve, Attacke, Ausdrucksgewalt, die
Hidalgo vom ersten Moment an begeisterten, gehörten zum Gesang der Callas dazu,
gleich, welchem Repertoire sie sich widmete. Und wer nun meint, das sei ein
Widerspruch zum vorher Gesagten, irrt.
Denn die Anmutung, daß für den Belcanto
nur zart besaitete Stimmen geeignet seien, deren dynamischer und klanglicher
Radius dezent zurückgenommen sein sollte, entstammt einer Zeit, in der die
normative Kraft des faktischen Unvermögens unsere Wahrnehmung und
Urteilsfähigkeit diktiert.
Kürzlich ist eine CD-Edition der Aufnahmen von Birgit
Nilsson in den Handel gekommen - auch eine Ausnahme-Diva, und ebenfalls eine
Sängerin, die viel ausgreifender agieren konnte als die Fama wahrhaben möchte.
Nilsson blieb als Isolde und Brünnhilde, als Elektra und Turandot in
Erinnerung, aber noch in den Sechzigerjahren schien es keineswegs absurd, daß man
sie auch als Donna Anna für Mozarts »Don Giovanni« ins Studio bat.
Seither wird diese Partie immer leichter und in jüngster Vergangenheit viel zu
leicht besetzt, als daß die furiosen Qualitäten dieser Figur ganz ausgelotet
werden könnten.
Diese Kunst, eine Figur in ihrer Gesamtheit zu erfassen,
Schicksale in ihre Tiefenstrukturen zu durchdringen, war der Callas gegeben:
Sie konnte auch hochdramatischen Partien in die zartesten Regungen nachspüren,
vermittelte aber den vokal scheinbar leichtergewichtigen Figuren
Tiefendimensionen und Emotion, von denen Musikfreunde in der Opernpraxis nur
träumen konnten (und können).
Glücksfälle wie die Callas sorgen für
Realisierungen von Idealvorstellungen, die sonst nur in den Köpfen von
Komponisten und Musikfreunden existieren. Jürgen Kesting verweist in seinen
Texten auf einen Mitschnitt von Verdis»Nabucco« in Neapel, in dem
die junge Callas exemplarisch vorführe, wie recht der Vokal-Connaisseur John
Ardoin mit seiner Feststellung gehabt hat, die Rolle der Abigail erfordere
»eine Isoldenstimme mit Puritani-Agilität«.
Die Quadratur des Kreises
also.
Die Callas wußte sie zu berechnen, in ihrer Glanzzeit in
jeglichem Fach. Sogar als Wagners »Kundry«, in italienischer Sprache
freilich, aber in einer geistigen Durchdringung dieser Figur. Vokale
Wirkungsmacht, Fleiß und künstlerische Selbstzucht zeichneten die Callas aus.
Es war wohl nicht Selbstsucht, die diese einzigartige Karriere so früh einem
Ende zutrieb, sondern der Totaleinsatz einer Frau, die nie weniger als alles
geben wollte. Aus solchem Stoff sind Mythen. Wer wollte sich an der Callas
messen?
↑DA CAPO