Es flüstern die besten Geigen

Das Alban Berg Quartett mit Berios Quartett Nr. 3

Uraufführung, 3. Februar 199r
Luciano Berio hat sich ein drittes Streichquartett ausgedacht, voll flüsternder Geheimnisse und changierender Farben. Das Schwerste war ihm gerade gut genug, denn komponiert hat er für das Alban Berg Quartett.

Das Alban Berg Quartett musiziert angesichts der jenseitig komplizierten Verwicklungen einer solchen Partitur, als hätte nie ein Komponist natürlichere, selbstverständlichere Anforderungen an ein Instrumentalensemble gestellt.

Es gibt Stücke in der Neuen Musik, die reizen das Potential des technisch Möglichen bis an die absolute Grenze der Machbarkeit aus. Berios drittes Quartett ist ein solches Stück. Faszinierend in der klanglichen Imagination, wie stets bei diesem Meister, fließt diese Komposition in steter, ununterbrochener Metamorphose. Panta rhei - selbst dort, wo die Tonhöhen unverändert bleiben, wechselt der Bogen von Saite zu Saite: Aus solch schimmerndem, ungewissem Urgrund entwickelt sich der knapp halbstündige Ablauf, kehrt nach heftigen Ausbrüchen immer wieder in Erinnerungen dieser Situation zurück.

Kaum merklich modifizieren die Musiker das Tempo, unablässige Bewegung bei scheinbarer Statik.

All das ist für die Ausführenden noch verkompliziert durch die immer wiederkehrende Bündelung des Geschehens in Blöcken, die minutiös im Gleichklang auszuführen sind, wo jede Abweichung auch vom unvorbereiteten Hörer sofort zu registrieren wäre.

Das Alban Berg Quartett realisiert das in einer Vollkommenheit, die jegliches Trägheitsmoment außer Kraft setzt. Was nur in akribischen Zählprozessen realisierbar sein dürfte, wird zum musikalischen Ereignis, als ob nur das innere Gesetz der Klänge, kein äußeres, metrisches Korsett den Fortgang bestimmte. So muß Berio diese Musik erträumt haben.

Der Filterungsprozeß des Aufnotierens von neuen Klängen, des Wiederentschlüsselns des Gemeinten aus dem Geschriebenen und der Umsetzung in die Realität gelingen hier mit einzigartigem Einfühlungsvermögen: Der Hörer erlebt, keinen "Filter" ahnend, die Musik, wie sie ist.

Von solchen Interpretationen wäre, wenn es denn schon eines geben muß, ein wahres Festival für Neue Musik getragen. Freilich: Wer außer dem Alban Berg Quartett vermöchte sich so vollkommen in ein avantgardistisches Werk einzufühlen?

Luciano Berio meint jetzt wohl, sein Stück wäre immer so auszuführen, als könnte es, wie bei dieser Uraufführung im Mozartsaal, so einfach zwischen zwei Haydn-Quartetten angesiedelt sein und (ein paar Intonationstrübungen hin oder her) ungehindert seinen Zauber entfalten wie hier.
Lassen wir ihn in diesem Glauben.
Er relativiert sich zum ehestmöglichen Zeitpunkt.

↑DA CAPO