Sehr intime Briefe

Das Alban Berg Quartett machte sich selbst ein Geschenk zum 20. Geburtstag

24. Oktober 1991
Leoš Janáčeks Zweites Quartett heißt »Intime Briefe« und klingt auch dementsprechend: Unmittelbar, anarchisch in der Formgebung, nur auf spontanen Ausdruck ausgerichtet. Das erfährt man bei jeder besseren Aufführung dieses suggestiven Stückes. Daß eineinhalb Jahrhunderte davor schon Mozart ähnliches in Musik zu setzen gewagt hat, mag mancher Musikfreund für sich schon entdeckt haben. Hörend erleben kann er das beinahe nur dann, wenn das Alban Berg Quartett spielt.

Dieses feierte seinen zwanzigsten Geburtstag mit einem grandiosen Konzert im Mozartsaal. Konsequenterweise im Rahmen ihres Abonnements, denn für die vier und ihr Publikum ist jeder ihrer Abende ein Fest.

Diesmal also Mozarts G-Dur-Quartett KV 378, zum ich weiß nicht wievielten Mal von diesen Musikern aufbereitet; und wieder aufregend, weil da die Hörbarmachung der legendären Formbeherrschung des jungen Haydn-Anbeters nicht zum Zweck der Übung wird, sondern zur Voraussetzung des interpretatorischen Abenteuers, das den Notentext nach seinen Absonderlichkeiten befragt, nicht danach, wie er sich in regelmäßige Viertakter ordnen ließe.

Das Quartett läßt sogar im Menuett die Musik scheinbar ungezügelt, mitteilungsbedürftig, selbstvergesen wuchern, das aber eingegossen in eine Gesamtform von unfaßbarer Perfektion und zeitloser Tonschönheit. Die ist den »Alban Bergs« für alles die unabdingbare Voraussetzung. Auch Ungeheuerlichkeiten lassen sich in sauberstem Klang erzählen, wenn der nur wandlungsfähig, reichhaltig genug ist.

Eben das untercheidet dann eine Aufführung des Janáček-Stückes durch das Berg-Quartett von einer "gewöhnlichen", wie sie uns die große tschechische Aufführungstradition wiederholt beschert hat. Da flogen in den besten Fällen - man verzeihe das Bild, denn es paßt - die sprichwörtlichen Fetzen, so rücksichtslos, wie der Komponist das vorschreibt.
Beim Berg-Quartett fliegen sie auch, nur sind sie - bleiben wir bei der Metapher - vorher gründlich gewaschen worden und lassen im Furor noch die ungeahntesten Farben changieren. Nichts büßt die Musik dadurch an Espressivo ein, unerhört viel wächst ihr jedoch an Klarheit zu. Als könnte einer Osterputz in seiner Seele machen und dabei noch verschüttete Verwirrungen aufdecken.

Ob sich bei Brahms' a-Moll-Quartett vergleichbare Intensität einstellen könnte, ließ sich an diesem Abend nur vermuten. Zu hören war es inmitten der herrlich schattierten Aufführung mit ihren traumhaften poetischen Haltepunkten nicht.

Eine nicht weniger überzeugende, aber andere musikalische Welt.

↑DA CAPO