Er ist wieder da. Und wie!

Lorin Maazels Comeback in Linz und Wien

2. Dezember 1991
Triumphaler hätte das Comeback nicht ausfallen können. Demonstrativ herzlicher Begrüßungsapplaus brandete Lorin Maazel schon entgegen, als er Freitag abend das Podium des Linzer Brucknerhauses, tags darauf jenes im Wiener Musikverein betrat. Post festum artete die Begeisterung in Jubelstürme von ungewohnter Heftigkeit aus. Im Musikverein gab es nach Mahlers Fünfter standig ovations für den Dirigenten, als die Philharmoniker bereits abgegangen waren: Maazel ist - so recht musiktheatralisch - "als Sieger heimgekehrt".

Während jener Jahre, in denen der Maestro aus bekannten Gründen Österreich gemieden hat, hat man oft erfahren können, wie das ist, wenn ein Meisterorchester nicht bis an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit gefordert wird. Maazel hingegen war immer einer, der von den Philharmonikern transzendente Interpretationen gefordert hat. Im Hinblick auf den persönlichen Einsatz der Musiker ebenso wie in Fragen der technischen Perfektion. Man hat das nicht vergessen. Jetzt kann man es endlich wieder hören.

Der optische Eindruck, den dieser unerhört sichere, mit schier unfehlbarer Schlagtechnik begabte Künstler verbreitet, hat mehr als einmal zur Unterstellung geführt, er sei ein kühler, nur rational, nicht emotional engagierter Musiker. Das Gegenteil ist wahr. Sein Perfektionstrieb ist Mittel zum Zweck: zur Auslotung aller Ebenen großer Partituren.
So gerät ihm Mahlers Fünfte durchhörbar und klar gegliedert, wie sie kaum einem vor ihm gelang, bei alledem aber auch, dank des fühlbaren persönlichen Einsatzes aller philharmonischen Instrumentalisten, unglaublich ausdrucksvoll.
Die Verschmelzung des scheinbar Unvereinbaren führt, so lernt man da, in ungeahnte Höhen musikalischer Verdichtung: Erst wer alle Noten perfekt darzustellen weiß, kann auch ihre tönenden Botschafen in aller Kraft und Deutlichkeit vermitteln.

So durchleben Orchester und Publikum in dieser Symphonie einen Klang gewordenen Seelenkosmos, von wütender Verzweiflung bis zu jenem verhalten geflüsterten Liebesgeständnis Mahlers an seine Alma, das diesmal eben nicht die falsche Morbidezza des "Tods in Venedig" evozierte, sondern ganz Poesie war. Die Streicher der Philharmoniker drangen in Pianissimo-Regionen vor, die ihren Kollegen rund um den Erdball wie die Quadratur des musikalischen Kreises erschienen müssen: volltönende Unhörbarkeit. Im spielerischen Grundton des Finalsatzes vereinigten sich scheinbar schwerelos all die unterschiedlichen orchestralen Tugenden, die in den vorangegangenen Teilen des Werkes beschworen wurden, zum gelösten Rundtanz.
Selbst die zuvor programmgemäß unbarmherzig attackierende Blechbatterie verströmte nur mehr strahlenden Glanz. Der aber füllte den Saal wie das nur alle heiligen Zeiten geschieht.
Die Zuhörer wußten es zu würdigen.

Sie applaudierten schon nach der ebenmäßig schönen, aufs herrlichste gegen den Originalinstrumenten-Zeitgeist gebürsteten Darstellung von Mozarts großer g-Moll-Symphonie nachhaltiger als gewohnt. Wie das Auditorium im Linzer Brucknerhaus nach der zur Einleitung gebotenen Dritten Brahms, in der für meinen Geschmack Maazels Liebe zu ausführlichen Ritardandi hin und wieder auf gefährliche Weise auch Taktstriche zu musikalischen Kategorien mit kleinem Ewigkeitswert erhob. Nicht unbedingt zur höheren Ehre des innern Zusammenhalts der Musik.

Zwischendrin entfaltete sich freilich - bei extrem langsamen Tempi - schon sehr leidenschaftlich all der vielgestaltige Klangzauber, der danach Debussys "Pr`elude a l'apres midi d'une Faun" zum flaumig zarten Ereignis werden ließ.
Verabschiedet haben sich die Musiker und Maazel, bei blendender Laune, mit Strauss' "Till Eulenspiegel", dessen Schelmentaten sie so akribisch auserzählten wie die Seelenbespiegelungen Gustav Mahlers tags darauf in Wien: So ward eine Märchenviertelstunde, wie sie in keinem Buche steht; außer eben in Strauss' Noten, wenn man sie dieserart zu lesen versteht. Auf so brillante Weise hörbar gemacht ergibt das ein Fest. Eines, das sich nun hoffentlich wieder öfter wiederholen wird.

↑DA CAPO