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Ernest Bour

1913 - 2001

Ernest (zu Zeiten auch: Ernst) Bour stammte aus dem damals deutschen Elsaß und wurde in Straßburg (dann wieder französisch) ausgebildet, wo er 1935 auch Kapellmeister des damals jungen Runfunkorchesters wurde. Ein Jahr der intensiven Arbeit mit → Hermann Scherchen war vorangegangen, die Bours künstlerische Welt nachhaltig prägten.

Nach dem Einmarsch der deutschen Trippen ernannte man Bour zum Leiter des 1940 gegründeten Straßburger Symphonieorchesters, dessen Leitung in der folgenden Saison aber → Hans Rosbaud übernahm. Bour ging nach Mühlhausen, um nach dem Krieg Chefdirigent des Südwestfunkorchesters Baden-Baden zu werden - hier übernahm wiederum er die Position von Rosbaud.

In der Ära nach 1945 machte sich Bour international einen Namen als Vorkämpfer für die musikalische Avantgarde. So danken ihm Komponisten wie György Ligeti (Atmosphères, Ramifications, → Lontano) oder Roman Haubenstock-Ramati (Vermutungen über ein dunkles Haus, Tableau I) Erstaufnahmen bedeutender Werke. Bour, dessen scharfes Ohr und rhythmische Präzision legendär waren, dirigierte auch die französische Erstaufführung von Paul Hindemiths Mathis der Maler und engagierte sich, nie dogmatisch, im Plattenstudio unter anderem für Symphonien Karl-Amadeus Hartmanns, für Musik Wolfgang Fortners, später aber auch Henrik Goreckis.

Aus dem französischen Repertoire gibt es einige exquisite Produktionen, die zum Teil noch in der Schellack-Ära entstanden: Die in ihrer Detailverliebtheit und liebevollen Ausarbeitung hörenswerte Aufnahme von Maurice Ravels L'Enfant et les sortilèges von 1940 ist in gewisser Weise nie egalisiert worden, harrt aber einer adäquaten Digitalisierung. In späteren Jahren entstanden eloquente, raffiniert ausgeleuchtete Ravel-Einspielungen mit dem Orchester des Südwestfunks (Tombeau de Couperin, Ma mère l'oye). Ein Sammlerstück der besonderen Art ist die Aufnahme von Ravels G-Dur-Klavierkonzert die in Baden-Baden mit der jungen Martha Argerich entstand, eine auch in der Interaktion zwischen Solistin und Orchestergruppen virtuose Darstellung dieser kleinteilig differenzierten Partitur.

Wiener Schule

Eine der wichtigsten Edition von Aufnahmen der Rundfunkarbeit Bours ist eine auf dem CD-Label Astrée wieder aufgelegte Sammlung von Einspielungen von Werken der Schönberg-Schule, darunter Schönbergs Orchesterstücke op. 16, Weberns Orchesterstücke op. 6 und op. 10 und die Symphonie, sowie Bergs Orchesterstücke und das Violinkonzert - eine außerordentliche Deutung dieser Partitur mit dem Solisten → Salvatore Accardo, kompromißlos auf die Herausarbeitung der kompositorischen Struktur bedacht, rhythmisch und in der Organisation der Klangfarben und der Gewichtung der einzelnen Stimmen deutlicher und präziser nicht denkbar.

Im Rahmen seiner Studioaktivitäten hat Bour mit seinem Südwestfunk-Orchester immer wieder auch klassisches Repertoire aufgenommen. Besonders interessant dabei etwa die Wiedergaben selten gespielter mittlerer Haydn-Symphonien, die er mit Elan und einer klanglichen Disposition realisiert, die weit entfernt von der allenthalben geübten Dominanz der Primgeigengruppe liegt und die Musik räumlicher, lebhafter differenziert klingen läßt als gewohnt. (Edition SWR music)





↑DA CAPO