Tannhäuser
Tannhäuser bedeutete für den 29-jährigen Richard Wagner eine Art Befreiungsschlag aus persönlichen Nöten. Das Leben in Paris empfand er nach fast drei Jahren mehr und mehr als qualvoll, weil ihn dort
die Weltluft mich mit immer eisigerer Kälte anwehte.Doch als man ihm Aufführungen seines Rienzi und des Fliegenden Holländer in Aussicht stellte, bewahrte ihn die Sehnsucht nach Deutschland vor allzu argen Depressionen.
Ich machte Klavierauszüge von Halévy'schen Opern. Ein gewonnener Stolz bewahrte mich aber bereits vor der Bitterkeit, mit der mich früher diese Demüthigung erfüllt hatte. Ich behielt guten Humor, korrespondirte mit der Heimath wegen der vorrückenden Zurüstungen zur Aufführung des Rienzi; aus Berlin traf selbst die Bestätigung der Annahme meines fliegenden Holländers zur Aufführung ein. Ich lebte ganz schon in der ersehnten, nun bald zu betretenden heimischen Welt.In jene Phase von Wagners Lebens fällt ein literarisches Erweckungserlebnis, das ihm die Stoffe für seine nächsten beiden Musikdramen eingab. Auf Anregung eines Philologen las der Komponist die mittelhochdeutsche Erzählung vom Sängerkireg auf der Wartburg und war von der urwüchsigen Schilderung, die sich von der ihm bekannten Darstellung durch Tieck erheblich utnerschied, so angetan, daß er versuchte,
diesem Sängerkriege, der mich mit seiner ganzen Umgebung so unendlich heimathlich anwehte, in seiner einfachsten, ächtesten Gestalt auf die Spur zu kommen: dieß führte mich zu dem Studium des mittelhochdeutschen Gedichtes vom »Sängerkriege«, das mir glücklicher Weise einer meiner Freunde, ein deutscher Philolog, der es zufällig in seinem Besitze hatte, verschaffen konnte. - Dieses Gedicht ist, wie bekannt, unmittelbar mit einer größeren epischen Dichtung »Lohengrin« in Zusammenhang gesetzt: auch dieß studirte ich, und hiermit war mir mit einem Schlage eine neue Welt dichterischen Stoffes erschlossen, von der ich zuvor, meist nur auf bereits Fertiges, für das Operngenre Geeignetes ausgehend, nicht eine Ahnung gehabt hatte.Wagner ging nach Dresden, wo er zunächst seinen Rienzi einstudierte, um in einer kurzen Ruhephase während eines kurzen Urlaubs mit der Arbeit an der neuen Oper begann.
Ich traf in Dresden ein, um die versprochene Aufführung meines Rienzi zu betreiben. Vor dem wirklichen Beginne der Proben machte ich noch einen Ausflug in das böhmische Gebirge: dort verfaßte ich den vollständigen scenischen Entwurf des »Tannhäuser«. Bevor ich an seine Ausführung gehen konnte, sollte ich mannigfaltig unterbrochen werden.
Problematische Uraufführung
Mit großen Hoffnungen von Seiten der Direktion, und mit nicht unbedeutenden Opfern, die sie der gewünschten Erfüllung dieser Hoffnungen brachte, ward diese Aufführung vorbereitet. Das Publikum hatte mir in der enthusiastischen Aufnahme des Rienzi, und in der kälteren des fliegenden Holländers deutlich vorgezeichnet, was ich ihm bieten müßte, um es zufrieden zu stellen. Seine Erwartung täuschte ich vollständig: verwirrt und unbefriedigt verließ es die erste Vorstellung des Tannhäuser.Für die Ratlosigkeit im Publikum machte Wagner vor allem die Konventionen des damaligen Opernbetriebs verantwortlich: Eine Bühnenästhetik, die den singenden Menschen - aber nicht auch gleichermaßen den Darsteller - in den Mittelpunkt stellt, entsprach nicht seinen Vorstellungen. Wagner suchte nach einem Musiktheater, in dem die Künste gleichberechtigt sein sollten.
Nur eine Möglichkeit schien mir vorhanden zu sein, auch das Publikum mir zur Theilnahme zu gewinnen, nämlich - wenn ihm das Verständniß erschlossen würde: hier fühlte ich aber zum ersten Male mit größerer Bestimmtheit, daß der bei uns üblich gewordene Charakter der Opernavorstellungen durchaus Dem widerstreite, was ich von einer Aufführung forderte. - In unserer Oper nimmt der Sänger, mit der ganz materiellen Wirksamkeit seines Stimmorganes, die erste Stelle, der Darsteller aber eine zweite, oder gar wohl nur ganz beiläufige Stellung ein; dem gegenüber steht ganz folgerichtig ein Publikum, welches zunächst auf Befriedigung seines wohllüstigen Verlangens des Gehörnerves ganz für sich ausgeht, und von dem Genusse einer dramatischen Darstellung somit fast ganz absieht. Meine Forderung ging nun aber geradesweges auf das Entgegengesetzte aus: ich verlangte in erster Linie den Darsteller, und den Sänger nur als Helfer des Darstellers; somit also auch ein Publikum, welches mit mir dieselbe Forderung stellte.
Wobei man in diesen Worten keinen Freibrief für die im späten XX. Jahrhundert modisch gewordene willkürliche Zertrümmerung aller Szenenanweisungen durch die Regisseure sehen darf. Dazu gibt es erhellende Worte von Wagner selbst:
Das Desaster von Paris
Den Tannhäuser hat Wagner nach der Dresdner Uraufführung kräftig umgearbeitet, um ihn für die Pariser Oper tauglich zu machen. Zu diesem Zweck mußte vor allem ein Ballett eingefügt werden. Der Komponist sah in seinem Werk an dem in der Opéra üblichen Platz inmitten des mittleren Akts dramaturgisch keine Möglichkeit und platzierte die Tanzeinlage unmittelbar im Anschluß an die Ouvertüre für die Szene im Venusberg.Er konnte nicht ahnen, daß dieser Verstoß gegen die Pariser Usancen seiner mit Spannung erwarteten Premiere den Todesstoß versetzen würde: Die Mitglieder des Jockey-Clubs, weniger an der Musik als an den tänzerinnen interessiert, pflegten nach ihrem Diner während des zweiten Akts zu erscheinen und mußte im Falle des Tannhäuser erkennen, daß die Balletteinlage längst vorüber war. Sie sorgten in der Folge in der ohnehin aufgeheizten, gegen den deutschen Komponisten wütenden Stimmung für den völligen Durchfall der Aufführung.
Welche Fassung?
Richard Wagner hat noch spät in seinem Leben damit gehadert, daß das zweite seiner kanonisierten Musikdramen einer endgültigen Bearbeitung harrte.Ich bin der Welt noch den Tannhäuser schuldig.Diese selbst einbekannte Schuld hat er nicht einglöst. Er ließ hingegen keinen Zweifel daran, daß er der sogenannten Pariser Fassung seines Tannhäuser vor der ursprünglichen, der Dresdner Version den Vorzug gab. Deshalb heißt es nach dem Abdruck des Librettos in den Gesammelten Werken:
Die beiden ersten Scenen sind hier nach der späteren Ausführung gegeben, welche der Verfasser als einzig giltig auch für die Aufführung derselben anerkannt wissen will.