Tannhäuser
Allen Regisseuren ins Stammbuch geschrieben gehört Wagners Anmerkung in einem Brief an Franz Liszt, in dem er eine Tannhäuser-Aufführung in Dresden tadelt:
Ich hatte dort im Tannhäuser aus der partitur in die parthien der sänger mit der größten genauigkeit alle bemerkungen eintragen lassen, welche auf das verständniß der situationen und auf die dramatische action überhaupt bezug hatten, und mußte dann in der aufführung mit entsetzen gewahren, daß sie alle unbeachtet gelassen worden waren, ich mußte – denke Dir meinen schreck! – z.b. sehen, daß mein Tannhäuser |im Sängerstreite die hymne auf die Venus – an die Elisabeth richtete, die worte:
»wer dich mich gluth in seine arme geschlossen, was liebe ist, weiß der, nur der allein!«
der keuschesten jungfrau vor einer ganzen versammlung in das gesicht schrie? – Was konnte und mußte unter solchen umständen der erfolg sein? – daß das publikum mindestens confus blieb und nicht wußte woran es war! In wahrheit habe ich damals in Dresden erfahren, daß das publikum erst durch das ausführliche textbuch mit dem dramatischen inhalte der oper vertraut wurde, und so – durch abstraction von der eigentlichen vorstellung, durch eigene zuthat der phantasie erst auch die vorstellung verstehen lernte.
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Ich finde es zu begreiflich, daß er im freundeseifer auch für dieses mein werk sich eben nur auf dem richtigen standpunkte des regisseurs bewegte, der im allgemeinen seine anordnungen trifft, und mit recht es den einzelnen darstellern überläßt, das, was gerade nur sie betrifft, auch durch sie selbst auffinden zu lassen. Dennoch bitte ich ihn, jetzt selbst auch da einzuschreiten, wo die macht wie die natürliche wirksamkeit eines regisseur's eigentlich aufhört: er möge der beistand unmündiger darsteller werden! Schon bei einer probe des Tannhäuser's in Weimar hatte ich Veranlassung, die unbeachtung scenischer |vorschriften von seiten der einzelnen darsteller diesen in das Gedächtnis zu rufen: wenn dort z.b. Elisabeth bei dem nachspiele des duettes mit Tannhäuser im 2en akte, den wiedereintritt des zarten thema's der Clarinette im langsameren tempo nicht dadurch scenisch rechtfertigte, daß sie – wie es in der partitur angezeigt stand – in den burghof hinab Tannhäuser nachblickte und ihm noch einen gruß zuwinkte, sondern dafür müßig und den schluß der musik nur abwartend im vordergrunde stand, so entsteht dadurch nur eine unerträgliche länge: jeder takt einer dramatischen musik ist nur dadurch gerechtfertigt, daß er etwas auf die handlung oder den charakter des handelnden betreffendes ausdrückt: jene reminiscenz im thema der Clarinette steht daher nicht um ihretwillen da, etwa um eines musikalischen effectes wegen, den Elisabeth zur Noth nur scenisch begleiten sollte, – sondern der nachgewinkte gruß der Elisabeth ist die hauptsache, die ich im auge hatte, und jene reminiscenz wurde von mir nur gewählt, um diese handlung der Elisabeth entsprechend zu begleiten. In welches unglückselig verkehrtes verhältnis geräth nun die musik zur darstellung wenn – wie in diesem erwähnten beispiele – die hauptsache (d.i. das dramatische motiv) ausbleibt, und dafür nun die nebensache (d.i. die begleitung jenes motives) überig bleibt!