Rosamunde

Schauspielmusik von Franz Schubert zum Theaterstück Helmina von Chézys (1823)

Franz Schubert Musiktheater-Ambitionen erlitten immer wieder empfindliche Rückschläge. 1823 hatte der Komponist im Verein mit seinem Freund Schober vergeblich versucht, die gemeinsame große romantische Oper Alfonso und Estrella zur Aufführung zu bringen. Carl Maria von Weber, Hofkapellmeister von Dresden, war zwar interessiert, aber Schubert verprellte den Kollegen, indem er meinte, dessen eben in Wien uraufgeführte Euryanthe sei nicht so gelungen wie der populäre Freischütz.

Weber war gekränkt, denn Euryanthe lag ihm sehr am Herzen, litt aber unter einem unsäglich schlechten Libretto der Amateur-Schriftstellerin Wilhelmine von Chézy. Es ist wie ein Treppenwitz der Musikgeschichte, daß Weber seine Genugtuung erhalten sollte, weil auch Schubert deren Verlockungen erlag. Chézys Rosamunde war ein glatter Durchfall - und das trotz der grandiosen Bühnenmusik, die Schubert beigesteuert hatte.

Viele Jahre lang waren überhaupt nur noch einige Fragmente von Schuberts Schauspielmusik im Bewußtsein der Musikwelt präsent. Erst Ende des XX. Jahrhunderts entdeckge man den verloren geglaubten Text des verunglückten Schauspiels - er wurde 1996 erstmals gedruckt.

Erst mit dieser Publikation waren etliche Fragen in bezug auf Schuberts Schauspielmsuik zu klären.

Die Handlung

Rosmunde ist die Tochter des Herrschers von Zypern und zu Beginn des Schauspiels erst ein zweijähriges Kind. Der Vater stirbt früh, nachdem er seine Tochter einer armen Seefahrerwitwe anvertraut hat, um sie dem verderblichen Einfluß der höfischen Gesellschaft zu enthiehen.

Fulgentius wird Regent von Zypern, soll aber Rosamunde an ihrem 18. Geburtstag mit dem Prinzen Alfons von Candia vermählen und dem Paar die Herrschaft übergeben.
In alter Theater-Manier verlieben sich die jungen Menschen unbekannterweise schon vor diesem Stichtag ineinander. An ihrem 18. Geburtstag wird Rosamunde von der Ziehmutter dem Volk als rechtmäßige Regentin präsentiert. Fulgentius, der an der Macht bleiben möchte, macht ihr einen Heiratsantrag. Doch Rosmaunde lehnt ab. Nachdem ein Entführungsversucht mißlingt, wird die Prinzessin eingekerkert, aber bald vom Volk befreit. Doch Fulgentius gibt nicht auf, versucht Rosamunde zu vergiften - und zwar mit einem kontaminierten Brief, den - ausgerechnet! - Alfons überbringen soll. Der warnt Rosamunde vor dem Mordversuch, sodaß der Brief ungeöffnet bleibt. Doch erklärt Alfons, das Mädchen sei aufgrund der Vergiftung wahnsinnig gedworden und ziehe daher ein Leben als Schäferin der Regentschaft vor.

Da richtet Fulgentius ein Fest unter freiem Himmel für Rosamunde aus - und fängt einen Hilferuf des Mädchens ab; doch öffnet er versehentlich den falschen Briefumschlag -- und stirbt an den Folgen des eigenen Gifts. Rosamunde und Alfons übernehmen die Herrschaft in Zypern.

Die Handlung dieses »großen romantischen Schauspiels mit Musik« war dem Wiener Theaterpublikum denn doch zu kurios. Die Produktion erlebte zwei Vorstellungen und verschwand auf Nimmerwiedersehen. Doch waren Zuschauer und Kritiker beeindruckt von Schuberts Musik. Auszüge aus Rosamunde erschienen in Form von Klavierauszügen und wurden populär. Am berühmtesten wurde die Zwischenaktmusik III, deren Melodie Schubert im langsamen Satz seines Streichquartetts in a-Moll (D 804, 1824) und in Nr. 3 der zweiten Serie von Impromptus (D 935, erst 1838 gedruckt) variierte.

Die Orchesterstimmen der originalen Bühnenmusik entdeckte George Grove (der Initiator des berühmten Grove’s Dictionary of Music) 1867 in Schuberts Nachlaß. Die Zwischenaktmusiken Nr 1 und Nr 3 und die Ballettmusiken I und II waren mittlerweile gesondert in Druck erschienen.

Viel beachtet wurde die Tatsache, daß sich als Zwischenaktmusik Nr. 2 ein vergleichsweise langes Allegro in h-Moll findet, in derselben Orchesterbesetzung wie die Unvollendete Symphonie und in derselben Tonart! Es wurde spekuliert, der Komponist hätte in der Eile die als Final-Satz für die Symphonie geplante Musik in die Schauspielmusik integriert. Möglicherweise war also von der h-Moll-Symphonie lediglich das Scherzo nicht ganz fertiggestellt...

Welche Ouvertüre ist die richtige?

Nie ganz geklärt wurde die Frage, welche Ouvertüre Schubert für Rosamunde vorgesehen haben könnte. Anläßlich der Uraufführung erklang, das ist gesichert, die schon komponierte Ouvertüre zur unaufgeführten Oper Alfonso und Estrella. Doch erschien 1827 die Ouvertüre zur erfolglosen Oper Die Zauberharfe von 1823 in einer Bearbeitung für Klavier zu vier Händen unter dem Titel Ouvertüre zum Drama Rosamunde bei Leidesdorf in Wien. Mit diesem Verleger arbeitete Schubert eng zusammen. Es ist also unwahrscheinlich, daß eine Druckausgabe ohne sein Einverständnis bzw. unter einem ihm nicht genehmen Titel erscheinen hätte können. Als Ouvertüre zu Rosamunde erschien dasselbe Stück dann auch in Partitur und mit einem Stimmensatz, 1854. Das dürfte eher dem Willen Schuberts entsprochen haben als die Aktion, die der Herausgeber der Schubert-Gesamtausgabe 1891 setzte, indem er im Band Rosamunde wieder die Ouvertüre zu Alfonso und Estrella abdruckte. Das sorgte über Jahrzehnte für Verwirrung. Quellenkritische Geister wie Nikolaus Harnoncourt wählten für ihre Aufführungen der gesamten Schauspielmusik zu Rosamunde freilich die gleichnamige, 1854 publizierte Ouvertüre, also die, die ursprünglich für die Zauberharfe bestimmt war.

Die Gesamtaufnahme der Schauspielmusik durch die Staatskapelle Dresden unter Willi Boskowsky (mit Ileana Cotrubas, Sopran) enthält pragmatisch beide Ouvertüren, jene zu Alfonso und Estrella, die beider Uraufführung erklang und jene zur Zauberharfe, die auf der CD als »Zugabe« enthalten ist.


↑DA CAPO

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