Fierrabras

Franz Schubert

Heroisch-romantische Oper.
Libretto: Josef Kupelwieser

Claudio Abbados Versuch mit dem ehrgeizigsten Musiktheater-Projekt des »Liederfürsten« (1823)

Uraufführung: 1897 Karlsruhe

PERSONEN DER HANDLUNGKönig Karl (Baß) – Emma, seine Tochter (Sopran) – Roland (Bariton) – Ein fränkischer Ritter (Bariton) – Eginhard, Ritter an Karls Hof (Tenor) – Boland, Fürst der Mauren (Bass) – Fierrabras, sein Sohn (Tenor) – Florinda, seine Tochter (Sopran) – Maragond, in Florindas Gefolge (Mezzosopran), – Brutamonte, maurischer Anführer (Bariton) – Eine Jungfrau in Emmas Gefolge (Sopran) – Ogier (Tenor) – Olivier, Gui von Burgund (Bariton) – Richard von der Normandie (Bariton) – Gerard von Mondidur, fränkischer Ritter (Baß)

Südfrankreich und Spanien, zur Zeit Karls des Großen (um 800)



HANDLUNG

Erster Akt
König Karl und seine Franken haben die Mauren besiegt. Die Tochter des Königs, Emma, ist in den Ritter Eginhard verliebt und hofft, dieser könnte auf dem Feldzug die Achtung ihres Vater gewonnen haben.

Ritter Roland, der sich für die Freilassung der maurischen Gefangenen stark macht, erhält vom König den Auftrag, sich um Fierrabras zu kümmern, den Sohn des Maurenfürsten Boland.

Auch Fierrabras ist unter den Gefangenen und erkennt bei einer feierlichen Zeremonie in Emma jenes Mädchen wieder, in das er sich vor Jahren in Rom verliebt hat, ohne zu ahnen, daß es sich um Karls Tochter handelt

Er vertraut sich Roland an, der wiederum bekannt, in die Schwester des Fierrabras verliebt zu sein.

Doch Emma liebt Eginhard - und Fierrabras verhilft dem Rivalen selbstlos zur Flucht, als dieser bei einem Stelldichein mit Emma ertappt wird. Er selbst gibt sich als angeblicher Verführer Emmas in die Hand der Schergen des Königs.

Zweiter Akt
Die Franken sind auf maurischen Boden vorgedrungen. Roland hofft, Florinda bald wiederzusehen hofft, Eginhard träumt davon, die Unschuld des Fierrabras zu beweisen. Doch die Mauren nehmen ihn gefangen. Er muß dem Maurenfürsten bekennen, daß sein Sohn Fierrabras festgenommen wurde.

Boland verflucht seinen Fierrabras, als er erfährt, daß dieser freiwillig Christ geworden ist. Der Maurenfürst bringt die fränkischen Ritter in seine Gewalt und bedroht sie mit dem Tode. Florinda, glücklich, Roland wieder gefunden zu haben, fleht vergeblich um Gnade. – Im Kerker gesteht Eginhard den Freunden die Unschuld des Fierrabras. Ein Fluchtversuch, von Florinda angezettelt, mißlingt.

Dritter Akt
Inzwischen gesteht Emma ihrem Vater die Wahrheit. Fierrabras kommt frei. Eginhard gelingt es, an der Spitze der fränkischen Truppen erneut den Kampf aufzuehmen, diesmal mit Fierrabras an seiner Seite.

Boland hat einen Scheiterhaufen errichten lassen. Seine Tochter Florinda ist bereit, mit ihrem christlichen Geliebten zu sterben.

Da bricht ein erbitterter Kampf los, in dem es Fierrabras an der Spitze der siegreichen Franken gelingt, seinen Vater vor einem tödlichen Schlag Rolands zu retten. Nun nimmt auch Boland den christlichen Glauben an.

Die liebenden Paare werden vereint.

Das Werk

Komponiert zwischen Mai und Oktober 1823, stellt dieses umfangreichste dramatische Werk Franz Schuberts aus heutiger Sicht sozusagen ein Nebenprodukt der Arbeit am Liederzyklus Die schöne Müllerin dar. Fierrabras wurde zu Lebzeiten Schuberts nie aufgeführt. Die Premiere fand zur Feier des 100. Geburtstags des Komponisten in Karlsruhe statt. Doch kam das Stück bei dieser Gelegenheit in einer stark bearbeiteten Version unter Felix Mottls Leitung zur Aufführung.

Erst 1988 gelang es Claudio Abbado, sein Lieblingsprojekt einer integralen Aufführung der Originalfassung in Wien zu realisieren. Allerdings versuchte die Regisseuse Ruth Berghaus damals, die dramaturgischen Ungeschicklichkeiten des Librettos - der Titelheld ist zwei Drittel der Handlung von der Bühne abwesend - durch eine extrem verrätselte Bildersprache zu camouflieren.

Von Rehabilitierung der Oper konnte - wohl vor allem auf Grund des schwärmerisch-verträumten Librettos - keine Rede sein. Immerhin entstand bei dieser Gelegenheit eine Aufnahme, die Schuberts gesamte Partitur hörbar macht.

Zuvor war - allerdings musikalisch überzeugender - ein großer Querschnitt dank einer deutschen Rundfunkproduktion greifbar gewesen, in der Fritz Wunderlich die Titelpartie sang. Hier wird dank der exzellenten Leistung des Tenors die zumindest im dramaturgischen Detail beeindruckende musikalische Seelenkunde Schuberts deutlich.
Mit der einzigen Arie, die Fierrabras geschenkt ist, Was quälst du mich, o Mißgeschick (1. Akt) gelingt ein beklemmendes Charakterbild des verzweifelten Maurenprinzen, das auf einer Höhe mit den größten Lied-Kompositionen Schuberts steht.

Im übrigen zwang Kupelwieser umständliche Dramaturgie vor allem zu ebenso umständlichen Einzugs-, Durchzugs- und Auszugsmärschen nebst sonstigen Repräsentationsmusiken, die eher in Richtung Grand Opéra verweisen, als daß sie sich nahtlos in ein deutsches Singspiel fügten.

Wenn so auch die »Theaterpranke« fehlen mag, gelangen dem Komponisten doch im Detail eindringliche, zum Teil höchst originelle musiktheatralische Effekte: Im großen Ensemble (Nr. 6) des ersten Akt prallen hörbar zwei Welten aufeinander, der Chor besingt den Frieden in heiterem Ton, ein Idyll, in das sich ahnungsvoll-furchtsame solistische Stimmen in Moll mischen, die auch noch die abschließende Liedertafel-Hymne (»Fort zum Siegesreigen«) durchziehen, nervös umzuckt von Holzbläsersoli.

Musikhistorische interessant ist auch, daß Schubert die Dialog-Struktur des Librettos durch Einbindung von fünf Melodramen aufzubrechen versucht, ein einzigartiges Experiment mit einer Form, die Mozart bewundert, Beethoven in seinem Fidelio an einer Stelle in der Kerkerszene aufgegriffen und Heinrich Marschner zu verfeinern versucht hat.

Die Salzburger Festspiele brachten eine Inszenierung von Peter Stein mit Michael Schade in der Titelpartie heraus. Stein versuchte, eine vollkommen realistische Gegenposition zu Ruth Berghaus zu entwickeln und die Vorgaben des Librettos ernst zu nehmen. Damit wurde erstmals jenes Stück sichtbar gemacht, das Schubert mit seiner Musik illustriert hatte. Ingo Metzmacher gelang es bei dieser Gelegenheit freilich so wenig wie einst Claudio Abbado, im Spiel der Wiener Philharmoniker wirklich Schuberts Sensibilität hörbar werden zu lassen. Pure Klangschönheit übertüncht wiederum feinsinnige Differenzierungskunst.

In Zürich suchte man den Mittelweg zwischen Biedermeier-Theater und modernem Rätselspiel. Verehrer des Tenors Jonas Kaufmann freuen sich, ihr Idol in der Titelpartie einer Opern-Rarität erleben zu können - freilich währt das Vergnügen auf Grund der dramaturgischen Inkosistenz des Librettos allzu kurz. Immerhin: Juliane Banse singt mit viel Gefühl die Emma, Michael Volle den Roland. Und Franz Welser-Möst dirigiert mit Gespür für Schuberts Innigkeit.


↑DA CAPO