roman haubenstock-ramati
ein kurzes portrait (Februar 1994)
Auf der Suche nach dem »offenen Kunstwerk« verbringt Roman Haubenstock-Ramati sein Künstlerleben. Allem Dickicht zum Trotz hat er auf strapaziösen Pfaden die Orientierung nicht verloren.
Im Gefolge der Schönberg-Schule hat er, jenseits von dem, was ein erfolgreicher Kollege einmal »serielle Happenings« genannt hat, die Neugier nicht verloren, wie den Klängen, die uns umgeben, neue Gesetze abzulauschen wären.
Haubenstock-Ramatis Musik war nie - auch im zwölftönigen Anfang nicht - in Gefahr, einen formalen Scheinkrieg zu kämpfen, wie etwa Schönberg ihn zuweilen geführt hat, wenn er vorgeblich neuen Techniken alte Suitenund Serenaden-Käppchen überstülpte. Haubenstock war sich vom ersten Moment an bewußt, daß wirklich »neue« Musik aus sich heraus auch neue Formen entwickeln muß, will sie ehrlich bleiben.
Es ist nicht zynisch gemeint, wenn ich ausgerechnet Haubenstock, der vor dem Terror der Nationalsozialisten unfaßbare Fluchtwege zurückzulegen hatte, die Antwort von Wagners Sachs auf Stolzings »Wie fang' ich nach der Regel an?« als Maxime andichten will: »Ihr stellt sie selbst, und folgt ihr dann«.
Kaum ein Komponist hat das, was die Wiener Schule angekündigt hat, so nichtdoktrinär fortzusetzen gewußt, so frei, also so richtig verstanden. Kaum einer hat die »seriellen« Klänge so vollständig aus ihrem Korsett befreit und der Avantgarde frischen Atem eingehaucht.
Alles in seiner Musik singt von der Sehnsucht nach Freiheit. Die frühen Ricercari für Streichtrio schon, deren Urformen unter schrecklichen Bedingungen im russischen Gefangenenlager mit einem Holzstückchen auf ein mit Seife präpariertes Glasbruchstück geritzt wurden.
Die späteren »Mobile« vollends, die dem Interpreten alles vorschreiben und gleichzeitig alle Freiheit lassen. Für solche Quadratur des Kreises, wie sie das »offene Kunstwerk« verlangt, hat Haubenstock sogar zwangsläufig und doch wie spielerisch eine neue Schrift entwickelt, das zweidimensionale Fünfliniensystem zum Notationsraum geweitet, in dem sich die Phantasie frei entfalten kann.
Haubenstock träumt sich in akustische Irrgärten, wo etwa acht Klaviere jeweils dasselbe und doch dauernd variiert aus verschiedenen Richtungen auf den Hörer einwirken lassen. Selbst für das Musiktheater hat er Konzepte; man hat sie noch nicht verstanden.
Vom Publikum verlangt er, daß es sich fallen lasse, daß es die Anregungen der Töne uneitel aufnehme, sich auch auf flüsternde, kaum mehr hörbare Abenteuer einlasse. Haubenstocks jüngere Werke heben sich kaum noch über das Pianissimo hinaus - und führen den aufmerksamen Kunstfreund, indem sie ihn zur optimalen Lausch-Konzentration auffordern, zu seinen Urgründen zurück. Die öffnen ihn auch wieder für die Musik der Natur, des Windes, der Stille.
Ein Entgrenzer, wahrhaftig.
↑DA CAPO