Symphonie (Nr. 1)
Kurt Weill (1933/34)
Kurt Weills symphonischer Erstversuch - den er nie als Nr. 1 bezeichnet hat! - zeigt uns einen Ausdruckskünstler auf der Suche nach seiner Musik-Sprache. Erst mit seinem Violinkonzert (mit Blasorchester, 1924) sollte er - in neoklassizistischem Tonfall - fündig werden. Zunächst aber faszinierten Weill die Möglichkeiten der musikalischen Avantgarde seiner Epoche. Als Zwanzigjähriger kam er in die Kompositions-Klasse von Ferruccio Busoni in Berlin. Er hatte bis dahin einige Opernversuche ad acta legen müssen und an Instrumentalwerken ein Streichquartett, eine Suite für Orchester und eine Cellosonate geschrieben. Als erstes Werk während seiner Studienzeit legte er Busoni die Partitur seiner Symphonie vor. Busoni erkannte den überbordenden Ausdruckswillen seines Zöglings ebenso wie seine Versuche, formale Probleme kunstvoll zu bewältigen. Was ihm dazu an handwerklichem Geschick noch fehlte, sollte Weill bei Busonis Schüler Philipp Jarnach (1892 - 1982) lernen, zu dem ihn der Professor schickte, um sich in Sachen Kontrapunkt weiterzubilden.
In der Symphonie, die dreiteilig ist, aber in einem großen Satz durchkomponiert, finden sich wiederholt ehrgeizige kontrapunktische Passagen, vor allem aber Choral-Sequenzen, die für das Erscheinungsbild dieses Werks charakteristisch sind. Über weite Strecken bewegt sich die Musik in einem frei-tonalen Raum, in dem schon zum Auftakt der Symphonie kräftig dissonierende Akkord-Passagen ertönen. Dieser Introduktion, die wie ein Motto, wenn auch verwandelt, immer wiederkehren wird, folgt ein Allegro vivace, deren zerklüftete Motivik einer Durchführung zugeführt, ehe ein poetisches Intermezzo zum folgenden langsamen Mittelteil überleitet: Im Zentrum der Symphonie steht ein Andante religioso, das aber durchaus ironisch gebrochen erscheint. Möglicherweise verdankt ja die Symphonie ihre Entstehung dem Scheitern eines Plans zu einer Schauspielmusik zu Johannes R. Bechers Der Aufbruch eines Volkes zu Gott. Ein Motto aus diesem Werk hatte Weill, dessen Herz damals bereits für die sozialistische Sache schlug, der Partitur vorangestellt - später aber wieder getilgt.
Jedenfalls mündet das Geschehen zuletzt wiederum in eine choralartige Episode, die als Grundlage einer fantastischen Variationenfolge dient, die in einen zunächst hymnisch gesteigerten, dann aber düster-trotzigen Symphonieschluß heraufbeschwört.
Wieviel programmatische Gedanken bei dieser Komposition mitschwangen, läßt sich kaum ermessen - die Musik entstand mitten in den Wirren der Auseinandersetzungen zwischen sozialistischen und konservativen Kräften nach dem Zusammenbruch des deutschen Kaiserreichs, bevor die demokratische Bewegung zu einer (vorübergehenden) Konsolidierung fand.
Die Partitur der Symphonie war lange Zeit verschollen. Erst nach dem Tod Weills fand man sie in einem italienischen Kloster wieder auf! Sie kam 1956 zur Uraufführung.