Boris BLACHER
Ein kuriose Biographie wie diese gibt es kein zweites Mal in der Musikgeschichte. Boris Blacher kam als Sohn eines deutsch-baltischen Bank-Kaufmanns in der mandschurischen Hafenstadt Niuzhuang zur Welt. Seine gesamte Kindheit und Jugend verbrachte er (weit) östlich des Ural, im sibirischen Irkutsk oder in Harbin im Nordosten Chinas. Seine Schulbildung erhielt er auf Englisch, Deutsch, Italienisch oder Russisch, je nach Aufenthaltsort der Familie. Auch Chinesisch gehörte zu Blachers Sprachen. Musikalisch bestand sein Grundstock in Klavier- und Geigenspiel, im übrigen interessierte er sich brennend für das Theater. Da es in Harbin zwar Opernhaus gab, aber nicht genügend Aufführungsmaerial, übte sich er 16-jährige Blacher darin, Werke des großen Repertoires - etwa Puccinis Tosca - aus dem Klavierauszug zu orchestrieren.
Blacher war fast 20, als er erstmals nach Deutschland kam, um hier zunächst Mathematik und Architektur zu studieren. Ein Jahr nach Studienbeginn sattelt er um: Musik und Musikwissenschaft begannen seinen Geist in Beschlag zu nehmen. Bald galt es, Geld zu verdienen. Was er im fernen Osten gelernt hatte, kam ihm nun zugute: Blacher sielte Harmonium in Berliner Kinos und versuchte sein Glück als Komponist von Schlagern, aber auch von musikalischen Untermalungen für neue Kreationen der Berliner Tanz-Szene. Im Dezember 1937 wurde die Fachwelt mit einem Schlag aufmerksam auf Blachers Talent: Niemand Geringerer als Carl Schuricht hob am Pult der Berliner Philharmoniker die Konzertante Musik aus der Taufe hob. Karl Böhm empfahl den dieserart berühmt gewordenen Blacher als Kompositionslehrer ans Dresdner Konservatorium, doch verlor er die Stelle bald wieder, weil er sich für Komponisten wie Paul Hindemith und Darius Milhaud einsetzte, die dem nationalsozialistischen Regime als »entartet« galten.
Dasselbe Regime hatte ihn selbst als »Vierteljuden« eingestuft, womit nicht nur seine künstlerische Bewegungsfreiheit stark gehemmt war. Immerhin durfte seine Musik gespielt werden - was ihn mangels großer Konkurrenz unter den »erlaubten« Gleichaltrigen zum vielgespielten Vertreter der deutschen Zeitgenossen jener Jahre machte.
Als »Unbelasteter« durfte er nach 1945 dann eine wichtige Rolle beim Wiederaufbau des deutschen Kulturlebens spielen. Die Berliner Hochschule für Musik machte ihn 1948 zum Professor, 1953 dann auch zum Direktor, der er bis 1970 blieb. Schon während der NS-Zeit schätzte ein jüngerer Komponistenkollege wie Gottfried von Einem Blachers Unterricht - und auch seine Gabe, dramaturgisch schlagkräftige Opernlibretti zu dichten. Später gingen so unterschiedliche Komponisten wie Giselher Klebe, Aribert Reimann, Rudolf Kelterborn, Isang Yun und George Crumb aus Blachers Schule hervor.
Aus Blachers Feder stammen 14 Opern und neun Ballettmusiken, etliche Schauspielmusiken und Rundfunk-Features.
Aufnahmen
Wilhelm Furtwängler nahm gern Blachers spritzige Konzertante Musik ins Programm. Ein Livemitschnitt hat sich erhalten, wurde vielfach wieder aufgelegt und ist bei diversen Streamingdiensten abrufbar.Boris Blachers Musik hat es immer schwer gehabt auf dem Schallplattenmarkt. Eine der frühesten Aufnahmen, die greifbar waren, hielt seinen Namen freilich hoch: Ferenc Fricsay ging ins Studio, um mit dem Berliner Radio-Orchester Mitte der Fünfzigerjahre (noch in Mono) die Orchestervariationen über ein Thema von Paganini (op. 26) einzuspielen, ein brillantes Stück voll raffinierter Klangeffekte, von Fricsay entsprechend lebendig und farbenfroh realisiert. Dabei kommt auch die pure Schönheit mancher Passagen - etwa die über Pizzicato-Bässen regelrecht aufblühende Variation Nr. 4 wunderbar zur Geltung. (DG)