Gottfried von Einem


Querdenker, Quer-»Componist«

Die Karriere des Komponisten Gottfried von Einem war, eminenten Erfolgen zum Trotz, von einigen Skandalen überschattet, die der Nachwirkung seiner Musik bis heute im Weg zu stehen scheinen.
Die ersten Aufführungen von Kompositionen des Boris-Blacher-Schülers fanden noch im nationalsozialistischen Deutschland statt.

Dantons Tod

Der erste Welterfolg kam 1947 bei den Salzburger Festspielen zur Uraufführung: die Büchner-Vertonung Dantons Tod.
Das Werk schlug ein wie eine Bombe. Die Hörer der Zeit nach 1945 hatten ja einen Großteil der zuvor als »entartet« gebrandmarkten Musik der Moderne »nachzuholen« - und Gottfried von Einem konfrontierte sie mit Musik, die zwar die Tradition der Dur-Moll-Tonalität nicht leugnete, ihr aber neue, aparte Möglichkeiten abewann und dazu auch die avancierteren harmonische Kunstfertigkeiten der Strawinsky- und Alban-Berg-Generartion nutzte. Diese Melange und eine sichere Hand für musikalische Dramaturgie garantierten den Premierenjubel - und unzählige »Danton«-Neuinsenierungen in aller Welt.Nebst Stücken wie Brittens »Peter Grimes« hat die jüngere Musikgeschichte ja tatsächlich nicht viele Kompositionen von so unmittelbarer Schlagkraft zu bieten. Einems Theaterpranke zeigt sich in dem Revolutionsdrama von Szene zu Szene. Wer ganz streng sein will, hält es mit von Einems Lehrer Boris Blacher, dem Widmungsträger der Partitur. Er befand das erste Bild als vergleichsweise schwach (seine drastische Formulierung ist nicht zitabel). Aber spätestens nach zehn Minuten schlägt die Musik den Hörer in Bann; und lässt ihn nicht mehr los. Büchners knappe, auch sprachlich ungemein konzis gefasste Dramaturgie erhält durch die holzschnittartig einfachen Strukturen von Einems Musik die ideale Fassung. Die Dialoge spitzen sich drastisch zu, die Chöre sind von unausweichlicher Brisanz – es gibt nicht viele Tragödien, die sich so folgerichtig und ohne Umschweife entwickeln wie diese. Die Wiener Staatsoper trat den Wahrheitsbeweis dafür 2018 an - mit durchschlagendem Erfolg.

Der Prozess

Im Gefolge der Salzburger Uraufführung des »Danton« wurde Gottfried von Einem zu einem der meistaufgeführten Musikdramatiker seiner Generation, der eine Zeit lang sogar die Geschicke der Salzburger Festspiele mitbestimmte und dafür sorgte, dass bei dem Festival regeläßig neue Opern aufgeführt wurden, unter anderem 1953 seine Kafka-Oper "Der Prozess", deren Schlagkraft sich anlässlich einer konzeranten Wiederaufführung in Salzburg (mit Reprise in Wien) 2018 noch einmal erwies, weil von Einems Schüler Heinz Karl Gruber auch die frechen, zum Teil sogar von Unterhaltungsmusik inspirierten Teile der auch Kafkas zynisch-hintergründigen Tonfall reflektierenden Musik herausarbeitete.Doch musste erst der ästhetische Befreiungsschlag der sogenannten Postmoderne ins Land ziehen, um die Wiederbesinnung auf Gottfried von Einems Werke in Gang zu bringen. Nach der erfolgreichen Uraufführung der Kafka-Oper war es nämlich immer ruhiger um von Einem geworden. Seine Musik, durchwegs auf dem - wenn auch oft pikant geschärften - Erbe der Dur-Moll-Tonalität basierend, entsprach den Doktrinen der Avantgarde keineswegs. Als launiger Querkopf war der »Componist«, wie er sich altmodisch schrieb, jedenfalls ein Meister des Widerspruchs; nicht nur in stilistischen Belangen, indem er auf dem Höhepunkt der Avantgarde in den frühen Sechzigerjahren mit seiner »Philadelphia Symphony« ein Werk vorlegte, das im Geiste der »Symphonie classique« eines Sergej Prokofieff geradezu provokant den C-Dur-Dreiklang in den harmonischen Mittelpunkt rückt. 

Der Besuch der alten Dame

Auch die Vertonung von Dürrenmatts Der Besuch der alten Dame erlebte zahlreiche international Premieren. Dabei war der Dichter zunächst keineswegs erfreut, als er erfuhr, daß von Einem sich daran machte, sein Theaterstück zu einem Libretto zu verkürzen.
Wie es dennoch dazu kam, daß Dürrenmatt seine Erlaubnis erteilte, ist eine von vielen abenteuerlichen Geschichten in des Komponisten Biographie:

→ Gottfried von Einem überredet Alfred Dürrentmatt

Leidenschaft: Kulturpolitik

Auch mit seinen kulturpolitischen Statements sorgte der über Jahre hin gut in der österreichischen Nomenklatura verankerte Leiter einer Kompositions-Klasse an der Wiener Musik-Akademie immer wieder für Aufsehen.Es lag nicht zuletzt daran - und an manchen von den Medien lustvoll geschürten - Skandalen, dass es einige Zeit sehr ruhig um Gottfried von Einems Erbe wurde.

Skandale

Vor allem der Uraufführungs-Tumult um die mit seiner zweiten Frau, Lotte Ingrisch, erarbeiteten Mysterienoper »Jesu Hochzeit« stellte eine Zäsur dar. Erst die heraufdämmernde Postmoderne hat auch diese »Zensur« gelockert. Man begann sich für den Propheten dieser musikalischen Stilrichtung zu interessieren. Skandalumwittert war neben Jesu Hochzeit vor allem die für einen New Yorker Festakt der UNO komponierte Kantate An die Nachgeborenen. Sie drohte an einer Textzeile zu scheitern. Gottfried von Einemsl Sohn, der SPÖ-Politiker Caspar Einem erinnert sich:
Es ging um einen Psalm-Vers, der in der Übersetzung, die mein Vater zur Vertonung benutzt hat, fehlt. Es gab damals massiven Druck jüdischer Organisationen, das Stück abzusetzen. UN-Generalsekretär Kurt Waldheim hat sich aber dafür eingesetzt, dass die Uraufführung stattfinden konnte. Die Schallplatte, die bereits produziert war, wurde aber von einem reichen Mann aufgekauft und vernichtet.
Die Kantate verschwand aus dem Bewußtsein der Musikwelt wegen des Makels der umstrittenen Premiere. Ähnliches gilt vielleicht für die von Lotte Ingrisch gedichtete Oper Jesu Hochzeit, die bei den Wiener Festwochen 1980 einen Skandal verursachte, weil christliche Gruppen dagegen protestierten, daß in diesem Werk der Kreuzestod als »Hochzeit« des Erlösers mit der »Tödin« interpretiert wurde. Dahinter standen keineswegs »gotteslästerliche« Gedanken.

Jesu Hochzeit

Erinnerungen von Lotte Ingrisch und Caspar Einem.
Die Textdichterin erinnert sich an das Aufsehen, das ihr Libretto damals machte:
Kardinal König war vom Libretto begeistert und hat mich gebeten, einen Artikel für die Kirchenzeitung darüber zu schreiben. Dieser Artikel ist nie publiziert worden. Stattdessen hat sich der Kardinal – wohl über höheren Auftrag aus Rom – an die Spitze von Religionslehrern gestellt, die die Absetzung der Premiere forderten.
Sie fand statt, massiv gestört. Caspar Einem:
Eine Stinkbombe ist genau dort heruntergekommen, wo ich gesessen bin. Das Publikum stand dann demonstrativ auf der Seite der Künstler.
Nicht aber die Kommentatoren. Jesu Hochzeit hat ihre Chance erst Jahrzehnte später bekommen. Beim Carinthischen Sommer 2016 stellte sich heraus, daß Textdichterin Lotte Ingrisch ganz richtig bemerkt hatte, die Demonstranten von Anno 1980 hätten das Libretto nie gelesen: 
Es geht doch in ,Jesu Hochzeit' um die sogenannte chymische Hochzeit, die Vereinigung der Gegensätze. Von Sexualität ist im Text ja gar keine Rede.

Erst Jahrzehnte später, in Zeiten, in denen längst wirklich Blasphemisches Kunststatus genießt, zumindest solange es sich gegen christliche Werte wendet, entpuppte sich das Werk als überprüfenswert – im Ossiacher Stiftshof durfte man anläßlich des Carinthischen Sommers jenseits von Demonstrationen und Protestrufen dann endlich auch einmal von Einems Musik in Ruhe hören. Und: »Jesu Wiedervermählung« gelang. Nicola Raabs kluge Inszenierung wurde zur Wiedergewinnung eines offenbar verkannten Stücks.

→ Zur Rezension der Premiere von 2016

 

↑ DA CAPO