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Friedrich CERHA

* 1929

Keine Buhrufe aus dem Orchester mehr

Der Komponist im Gespräch, August 1996
Die große, über alle Festspielwochen erstreckte Cerha-Retrospektive ist gewiß der bemerkenswerteste Teil des heurigen Salzburger Programms. Der Komponist, der heuer 70 Jahre alt wurde, freut sich über die Anerkennung, die den bisherigen Höhepunkt im "Crescendo" der Akzeptanz bedeutet, die sein Werk nicht nur in seiner Heimat Österreich genießt. Es ist das erstemal, daß Cerhas Schaffen umfassend vorgestellt wird. Auch das umfangreichste und bis heute wohl spektakulärste Werk aus seiner Feder, die "Spiegel", waren zu hören: Cerha selbst stand am Pult des ORF-Symphonieorchesters.

Rückblickend meint er: "Die Musiker waren sehr aufmerksam und sind auf alle Wünsche eingegangen". Ein Entgegenkommen, das in der Biographie des Komponisten keineswegs selbstverständlich war: "Es hat Situationen gegeben", erinnert sich Cerha, "wo aus dem Orchester lautere Buhrufe kamen als aus dem Publikum!"

Die Moderne, für die er in den fünfziger und sechziger Jahren stand, mußte lange auf ihre "Entdeckung" warten. Heute erntet eine Aufführung der "Spiegel" lauten Jubel, wenn auch immer noch einige Zuhörer den Saal während des Konzertes verlassen. Cerha: "Ich glaube, man versteht heute viel eher, was ich damals wollte. Die ,Spiegel' sind in den sechziger Jahren in einem Zustand der Verzweiflung entstanden. Für mich war es immer expressive Musik. Man hat das am Anfang nicht verstanden und eher einen intellektuellen Zugang gesucht. Das hat mich gestört."

Jetzt lassen sich viele, vornehmlich jüngere Menschen, in die "Spiegel" regelrecht "hineinfallen", sich von den Klängen emotionell überwältigen. Das stimmt den Komponisten zufrieden, wenngleich er sich von den Klangflächenstudien, wie er sie zur Zeit der "Spiegel" betrieben hat, längst entfernt hat. Seine Musik hat sich mit den Jahren verändert: "ein Bedürfnis nach mehr Klarheit, und eine stärkere Konfrontation mit der Tradition", versucht er es zu formulieren.

Obwohl man als Komponist "nie alles komplett neu erfindet, Innovation kann sich ja nur abheben von etwas, was schon da ist. Und in jedem Stück kommt eine neue Linie hinzu. Irgendwie beschreibt man eine Wellenbewegung. Es gibt Punkte, wo man Elemente, die sich erschöpft haben, ausklammert. Aber es ist immer etwas da, was weiterträgt."

Allzu intensives "Filtern" und "Konzentrieren" einer Tonsprache sei hingegen gefährlich, meint Friedrich Cerha, der sich an so unterschiedlichen Inspirationsquellen und Vorbildern wie den Meistern der Wiener Schule und afrikanischer Volksmusik orientiert: "Es hat mich immer gestört, daß es nicht schwierig ist, durch Ausklammern diverser Probleme zu einer Art Purismus zu kommen, der gefährlich rasch zu einer Verarmung führen kann. In der Kunst hat aber immer der Reichtum eine große Rolle gespielt. Purismus ist einmal reizvoll, aber beim zweitenmal ist man eigentlich schon fertig damit. Mit dem Schubert-Quintett, zum Beispiel, da werden Sie nie fertig!"

Reichtum, Neugier in der Konfrontation mit Unbekanntem gibt dem künstlerischen Schaffen Impulse. Wobei die jungen Komponisten dem Lehrer Cerha viel zu wenig neugierig scheinen: "Die interessieren sich nicht für das, was die Kollegen machen. Das wäre bei uns undenkbar gewesen. Wir wollten alles hören, alle Partituren kennenlernen.

"Die Frage ist letztlich immer: Wie kommt man von einem Ton zum anderen"

Dabei war es zu unserer Zeit schwierig, an Neue Musik dranzukommen. Heute ist es ganz einfach."

Von den Jüngeren schätzt Cerha seine Schüler Ofenbauer, Essl und Haas besonders: "Ich glaube", sinniert er, "ich habe sie vor allem das Fragen gelehrt". Er selbst bekennt sich durchaus zu so altmodisch klingenden Begriffen wie "Vision" und "Traum". Seine Stücke basieren auf phantastischen Einfällen, und die eigentliche "Kompositionsarbeit" versteht sich als Versuch, das "Geträumte technisch in den Griff" zu bekommen. "Man muß eine Operation finden, die die Vorstellungen nicht beeinflußt, die Geträumtes nicht technisch verändert", ein "Ordnungsprinzip, das Einheit stiftet und doch flexibel ist".

Künstlerisches Schaffen also im klassischen Gegen- und Miteinander von Vision und Handwerk. Wobei das grundlegende Problem des Komponierens sich nie verändert hat. Cerha: "Die Frage ist letztlich immer: Wie kommt man von einem Ton zum andern?" Eine so banal klingende Formel enthält beinahe die ganze Wahrheit. Beinahe, denn der kleine Rest von Rätsel bleibt.


↑DA CAPO