Friedrich CERHA
* 1929
Ich bin ein anderer geworden
Der Komponist im Gespräch, August 1992
»Ich bin ein anderer geworden», sagt Friedrich Cerha. Monatelang war er im Spital gelegen, sehr, sehr krank, am Rande des Todes. So radikal hätte er seinen Grundsatz wahrlich nicht in die Tat umsetzen wollen, daß nämlich die stetige Veränderung eine Bedingung für jedes kreative Leben sein müsse. »Die Freude an der Veränderung setzt nämlich voraus, daß Sie unzufrieden mit sich sind. Und das ist wichtig. Es ist bequem, zu bleiben, wie man ist.» Die stetige Veränderung, das »Heranziehen des neuen Menschen» ist Cerhas Leitgedanke: »Sie sehen das an meinen Opernstoffen, am ,Baal', aber auch am ,Rattenfänger'». Vielleicht auch an der Tatsache, daß in Cerhas Werk insgesamt ein enormer Reichtum herrscht, eine Lust an der »Verschmelzung möglichst vieler Elemente zu einer Einheit», wie er das selbst nennt: »Ich halte nicht viel von der vielzitierten ,meditativen Haltung' oder der ,buddhistischen Gesinnung', wenn Sie so wollen. Eine wesentliche Qualität aller Meisterwerke, die wir allgemein verehren, ist doch der Reichtum." Der freilich so konzentriert und bis ins kleinste Detail vernetzt wie möglich. »Die Vorgänge auf jeder Ebene müssen Konsequenzen für das Ganze haben», so benennt der Komponist seine Skrupel. »In der meisten heutigen Musik ist das ja nicht der Fall. Ich habe das im Gegenzug vielleicht sogar ein bißchen zu weit getrieben. Dadurch bin ich auch in etliche Schwierigkeiten geraten.»
Das lange Feilen bis zur Einheit
Cerha ist ein Komponist, der jeden Schritt seiner Arbeit akribisch ventiliert. Die Selbstzweifel nehmen dabei verständlicher Weise oft peinvolle Ausmaße an. »Die Gesamtheit eines komplizierten, vernetzten Systems», erklärt er weiter, »muß in die Konzeption einbezogen sein. Man darf sich keinem technischen Mechanismus überlassen, auch wenn man dem eigentlich bei einer Musik, die länger als zwei Sekunden dauert, vielleicht gar nicht entgehen kann.» Jedenfalls bastelt er wie kaum ein anderer geduldig an jedem Takt seiner Werke: »Ich bin kein großer Wegwerfer. Ich habe genaue Vorstellungen von einem Stück. Dann setz' ich an und schmeiß' kaum mehr was weg. Ich feil' daran. Ich änder' so lang, bis die Dinge zusammengehen und eine Einheit sind.» »Und dann, wenn die Dinge fixiert sind, dann gibt es noch eine letzte redaktionelle Etappe. Für die Artikulationsvorschriften und die Crescendi und Decrescendi. Ich weiß ja als Interpret, daß bei guten Stücken oft der Charakter nicht herauskommt, weil die Sachen nicht richtig bezeichnet sind.» Entsprechend liebevoll spricht er vom »gefiltertsten meiner Stücke» dem musiktheatralischen Versuch »Netzwerk». Wohl auch das komplizierteste Werk aus seiner Feder: »Das bleibt natürlich immer eine Ausnahmeerscheinung, wird kein Repertoirewerk. Aber vielleicht kommt's irgendwann einmal wieder". Ein Versatzstück daraus ist in London aufgeführt worden: »Es war für mich so neu, als ob es heute entstanden wäre.»
Wendepunkt drittes Streichquartett
Der im »Netzwerk" realisierte Kompositionsprozeß eines »Work in progress», der von kleineren Stücken zu einer großen Einheit führt, ist typisch für Cerha, bei dem laut Eigendefinition »immer ein Stück mit dem nächsten schwanger geht. Mit den Dingen, die in dem einen nicht mehr aufgehen.» Zuletzt ist Cerha, der sich so lang so gern in großräumigsten Formen ergangen hat, wie die großzügig ausgelegten »Spiegel», aber auch die weitgespannten musikalischen Formen seines »Baal» beweisen, in die »Kleinräumigkeit» geraten. Das dritte Streichquartett sei so ein Wendepunkt gewesen; und wieder einmal ein Signal, daß der Komponist »in Schwierigkeiten» steckt. Einige Jahre lang manifestierte sich im Schaffen Friedrich Cerhas das Interesse für afrikanische, papuanische Musik. »Das ist vorbei», sagt er, »es scheint mir heute wie eine Krücke, um große Formbildungen zu ermöglichen.» Und es war, so deutet es Cerha jedenfalls, nicht zuletzt ein Umweg, um Beziehungen zur Folklore des eigenen Umfelds in die Musik einzubeziehen. Manch staunende Gesichter hat es gegeben, als der scheinbar so ernsthafte, in künstlerischen Dingen als mehr oder weniger humorlos geltende Friedrich Cerha vor Jahren mit seiner »Keintate» und spritzig-ironischen »Chansons" an die Öffentlichkeit trat. »Es hat mich immer gestört», erläutert Cerha, »daß in der Musik das Wiener Idiom, das wir so in uns tragen, nirgends zum Vorschein kommt. Da wird etwas unterdrück, was vorhanden ist.» Die persönlichen Beziehungen zu Ernst Kein, dem Dichter der »Keintate", die Tatsache, daß Cerha dessen Texte besonders schätzt, führten so zum scheinbar leichtgewichtigen Ausflug des ernsthaften Komponisten. Wenngleich auch die Werke dieses Genres bei Cerha »von der Machart sehr enrst genommen» sind. Ob das, oder Cerhas Ruf dazu beigetragen haben, daß die Vorstellungen des Komponisten nicht restlos aufgegangen sind? Daß Fragmente aus diesen kritischen, zynischen, bösartigen Piecen »bei bestimmten Gelegenheiten zitiert werden»? Manches hintergründige Detail in den Partituren haben selbst intime Cerha-Kenner nicht auf den ersten Blick erkannt. »Es ist natürlich eine Illusion», sagt der Komponist, "daß man all das beim ersten Hören ausloten kann". Auch mit der »Keintate» wird man sich also auf lange Zeit beschäftigen können. Daß es das Publikum mit dieser Art von Musik leichter hat als mit anderen Stücken aus Cerhas Produktion, weiß der Komponist natürlich. Freilich bedeutet das für ihn nicht die Frucht einer Anbiederung, eines Verzichts auf künstlerische Überzeugungen. Vielmehr regisiert er einen Wandel der Verhaltensmuster, den er mit der ihm eigenen Mischung aus Ironie und Grübelei kommentiert: »Als die ,Spiegel' zum erstenmal aufgeführt worden sind, haben sie überall ausschließlich als intellektuelles Experiment gegolten, während sie für mich ein Aufschrei in einer verzweifelten privaten Situation waren». Das war vor einem Vierteljahrhundert.
Zwei Schritte nach vorn, ein Schritt zurück
Heute würde plötzlich »das Expressive und Emotionelle gehört und verstanden". Vielleicht, versucht Cerha zu erklären, »weil die Mittel heute nicht mehr so unbekannt sind. Im ,Baal' zum Beispiel hat man die ,Spiegel'-Klangflächen sofort als programmatisches Element für das Naturhafte, Mythische angenommen. Vor zwanzig Jahren hätte das noch als Experiment gegolten!»
Insgesamt sieht Friedrich Cerha seine künstlerische Entwicklung, so scheint es, recht abgeklärt: »Entwicklung geht immer so vor sich: Zwei Schritte nach vorn, einer zurück. Man geht immer in eine Sackgasse, und der nächste Schritt muß von einer Position getan werden, die weiter hinten ist».
Die Idee des blinden Fortschritts um jeden Preis akzeptiert Cerha nicht. Im übrigen habe er sich »immer vorgenommen, mich im Alter von Dingen fernzuhalen, die ich nicht mehr innerlich erleben kann. Kann sein, daß das jetzt irgendwann eintritt».