Spiegel
Friedrich Cerhas Chef d'Oeuvre
Einführende Gedanken
Man hat viel über das "Altern den neuen Musik" diskutiert, über die Frage, ob die Konzepte der radikalen Avantgarde der fünfziger und sechziger Jahre am Publikum vorbeizielten und wie lebensfähig sie seien.
Die Rückwende, die wir in den achtziger und neunziger Jahren bei nahezu allen Komponisten dieser Ära konstatieren, die "grüne Romantik" vieler ihrer Nachfolger im Geiste der sogenannten "Postmoderne", scheinen die Skepsis bezüglich der "Haltbarkeit" der radikalen Moderne zu bestätigen.
Und doch: Die Aussagekraft der besten Produkte der kompositorischen "Hexenküchen" des Post-Webern-Zeitalters dürfte sich konservieren lassen. So erweisen sich Werke wie Friedrich Cerhas Spiegel für Hörer, die sie schon in den siebziger Jahren faszinierend fanden, Jahrzehnte später als weniger rätselhaft, und in keinem Moment mehr als "erklärungsbedürftig".
Vieles aus den Werkstätten Cerhas, György Ligetis oder auch von Penderecki, Lutoslawski und anderen erschließt sich dank pittoresker, quasi "inszenierter" Klanggestaltung recht unmttelbar. Der aufmerksame Hörer, der sich lauschend "führen" lässt, entdeckt emotionelle und intellektuelle Qualitäten - vergleichbar dem Betrachten eines abstrakten Bildes...
Am Beispiel der Spiegel von Friedrich Cerha: Der Komponist selbst scheut im Gespräch über seine Musik den Umgang mit verbalen Eselsbrücken nicht, erlaubt es Exegeten von "Nebel, Sonne, Wind und Meer" zu sprechen. Er kann sich durchaus vorstellen, daß seine Hörer zur Dechiffrierung klanglichen Botschaften auch optische Assoziationen simpelster Natur nutzen. -
Was immer noch die Gemüter erregt
Salzburger Festspiele, 1996
Das Festspiel-Publikum reagierte geschockt!
Das Festspielpublikum läßt sich noch provozieren. Nicht von der neuesten Produktion der lammfrommen Softie-Avantgarde unserer Tage, gewiß. Aber von Friedrich Cerhas dreißig Jahre altem »Spiegel«-Zyklus allemal.
Friedrich Cerha ist in Salzburg eine über die gesamte Festspieldauer erstreckte Retrospektive gewidmet, die in der Wiedergabe seines wohl kompliziertesten, am aufwendigsten zu realisierenden Orchesterwerkes in der Felsenreitschule gipfelte: Cerha selbst stand am Pult des ORF-Symphonieorchesters, als die "Spiegel" wieder erklangen. Man hat viel über das "Altern den neuen Musik" diskutiert, über die Frage, ob die Konzepte der radikalen Avantgarde der fünfziger und sechziger Jahre am Publikum vorbeizielten und wie lebensfähig sie seien. Die Rückwende, die wir in den achtziger und neunziger Jahren bei nahezu allen Komponisten dieser Ära konstatieren, die "grüne Romantik" vieler ihrer Nachfolger, scheinen die Skepsis bezüglich der "Haltbarkeit" der radikalen Moderne zu bestätigen.
Und doch: Die Aussagekraft der besten Produkte der kompositorischen "Hexenküchen" des Post-Webern-Zeitalters dürfte sich konservieren lassen. Die "Spiegel" wirken auf einen Hörer, der sie schon in den siebziger Jahren faszinierend fand, heute zwar weniger rätselhaft, also vielleicht weniger aufregend. Dafür sind sie in keinem Moment mehr "erklärungsbedürftig", sondern erschließen ihre emotionellen und intellektuellen Qualitäten unmittelbar.
Oder doch nicht? Am Donnerstag abend flüchteten nach jedem der sieben Teile der "Spiegel" zahlreiche Besucher, und von den Ausharrenden quittierten etliche den lauten Jubel der übrigen Zuhörer mit Kopfschütteln. Das ist einerseits positiv: Wenn ein Festspielkonzert für Diskussionen sorgt, dann garantiert das, daß man an der Salzach nicht einschläft; womit das Konzept der Festspielintendanz zumindest im Konzertleben aufgegangen wäre.
Andererseits ist nicht auszumachen, wo heute die Probleme im Umgang mit dieser Musik liegen sollen. Daß niemand ernsthaft erwarten wird, ein Menuett samt Trio zu hören, wenn er die Aufführung eines zumindest dem Titel nach bekannten Schlüsselwerkes der "Dritten Wiener Schule" besucht, darf doch vorausgesetzt werden. Andererseits scheut Cerha selbst den Umgang mit "Eselsbrücken" wie "Nebel, Sonne, Wind und Meer" nicht.
Er kann sich also durchaus vorstellen, daß der Hörer zur Dechiffrierung seiner klanglichen Botschaften auch optische Assoziationen simpelster Natur nutzt - wie viele hören bei Beethoven noch ein "Bächlein rauschen" und freuen sich am Wellenschlag von Debussys "La Mer"?
Sie könnten ohne weiteres in die suggestive Klangwelt der "Spiegel" eindringen, indem sie zunächst einen alles mit sich reißenden Sturm oder bedrohlich stille Naturlaute als "Transportmittel" heranziehen.
Irgendwann wird man dergleichen Hilfe nicht mehr brauchen und die Klänge für sich wirken lassen: die vielfach ineinander verschobenen Böen der Streicher (Nr. 2) oder die sukzessive sich zersplitternden dumpfen Schläge, mit denen so unausweichlich der erste "Spiegel" anhebt.
Es ist dann auch ein Vergnügen, die einzelnen Gesten und Bilder deformiert in anderen Stücken wiederzufinden. So rundet sich der Zyklus zum Ganzen, beschwört donnernde Entladungen wie irisierende, in sich kreisende, geheimnisvolle Stimmungen.
Vielleicht sind die "Spiegel" tönende Abbilder der Irritationen, Bedrohungen unserer Zeit.
Will man sie so hören, dann wäre es Cerha gelungen, sie in schlüssige, sublime musikalische Kunst zu verwandeln. Er stünde damit auf seine Weise in der Reihe der allergrößten Meister - was die Konzertserie wohl beweisen will.
Friedrich Cerha ist in Salzburg eine über die gesamte Festspieldauer erstreckte Retrospektive gewidmet, die in der Wiedergabe seines wohl kompliziertesten, am aufwendigsten zu realisierenden Orchesterwerkes in der Felsenreitschule gipfelte: Cerha selbst stand am Pult des ORF-Symphonieorchesters, als die "Spiegel" wieder erklangen. Man hat viel über das "Altern den neuen Musik" diskutiert, über die Frage, ob die Konzepte der radikalen Avantgarde der fünfziger und sechziger Jahre am Publikum vorbeizielten und wie lebensfähig sie seien. Die Rückwende, die wir in den achtziger und neunziger Jahren bei nahezu allen Komponisten dieser Ära konstatieren, die "grüne Romantik" vieler ihrer Nachfolger, scheinen die Skepsis bezüglich der "Haltbarkeit" der radikalen Moderne zu bestätigen.
Und doch: Die Aussagekraft der besten Produkte der kompositorischen "Hexenküchen" des Post-Webern-Zeitalters dürfte sich konservieren lassen. Die "Spiegel" wirken auf einen Hörer, der sie schon in den siebziger Jahren faszinierend fand, heute zwar weniger rätselhaft, also vielleicht weniger aufregend. Dafür sind sie in keinem Moment mehr "erklärungsbedürftig", sondern erschließen ihre emotionellen und intellektuellen Qualitäten unmittelbar.
Oder doch nicht? Am Donnerstag abend flüchteten nach jedem der sieben Teile der "Spiegel" zahlreiche Besucher, und von den Ausharrenden quittierten etliche den lauten Jubel der übrigen Zuhörer mit Kopfschütteln. Das ist einerseits positiv: Wenn ein Festspielkonzert für Diskussionen sorgt, dann garantiert das, daß man an der Salzach nicht einschläft; womit das Konzept der Festspielintendanz zumindest im Konzertleben aufgegangen wäre.
Andererseits ist nicht auszumachen, wo heute die Probleme im Umgang mit dieser Musik liegen sollen. Daß niemand ernsthaft erwarten wird, ein Menuett samt Trio zu hören, wenn er die Aufführung eines zumindest dem Titel nach bekannten Schlüsselwerkes der "Dritten Wiener Schule" besucht, darf doch vorausgesetzt werden. Andererseits scheut Cerha selbst den Umgang mit "Eselsbrücken" wie "Nebel, Sonne, Wind und Meer" nicht.
Er kann sich also durchaus vorstellen, daß der Hörer zur Dechiffrierung seiner klanglichen Botschaften auch optische Assoziationen simpelster Natur nutzt - wie viele hören bei Beethoven noch ein "Bächlein rauschen" und freuen sich am Wellenschlag von Debussys "La Mer"?
Sie könnten ohne weiteres in die suggestive Klangwelt der "Spiegel" eindringen, indem sie zunächst einen alles mit sich reißenden Sturm oder bedrohlich stille Naturlaute als "Transportmittel" heranziehen.
Irgendwann wird man dergleichen Hilfe nicht mehr brauchen und die Klänge für sich wirken lassen: die vielfach ineinander verschobenen Böen der Streicher (Nr. 2) oder die sukzessive sich zersplitternden dumpfen Schläge, mit denen so unausweichlich der erste "Spiegel" anhebt.
Es ist dann auch ein Vergnügen, die einzelnen Gesten und Bilder deformiert in anderen Stücken wiederzufinden. So rundet sich der Zyklus zum Ganzen, beschwört donnernde Entladungen wie irisierende, in sich kreisende, geheimnisvolle Stimmungen.
Vielleicht sind die "Spiegel" tönende Abbilder der Irritationen, Bedrohungen unserer Zeit.
Will man sie so hören, dann wäre es Cerha gelungen, sie in schlüssige, sublime musikalische Kunst zu verwandeln. Er stünde damit auf seine Weise in der Reihe der allergrößten Meister - was die Konzertserie wohl beweisen will.