Streichquartett Nr. 9

Es-Dur, op. 117

Das Quartett Nr. 9, seiner zweiten Frau gewidmet, hat Schostakowitsch in Wahrheit zweimal komponiert. Die erste Version, 1961 entstanden, soll, so versicherte der Komponist seinem Vertrauten, dem Primgeiger des Beethoven-Quartetts, von jugendlich-lebendigem Geist gewesen sein und sogar auf Motiven aus der Jugendzeit basiert haben.

Wie immer das zu verstehen gewesen sein könnte, der Komponist hat die Skizzen zu diesem Werk vernichtet und legte 1964 ein offenkundig ganz anders geartetes Streichquartett vor, das - vielleicht vergleichbar mit dem Quartett Nr. 5 - eher dem großen, symphonischen Ton verpflichtet ist.

Im Mai 1964 - im Schatten der 13. Symphonie und der Hinrichtung des Stepan Rasin - war die Partitur fertiggestellt, die Uraufführung durch das Beethoven-Quartett fand am 20. November dieses Jahres in Moskau statt, am selben Abend wie jene des Quartetts Nr. 10, das - anders als die Nr. 9 - in einem großen Schwung innerhalb von elf Tagen aufs Papier geworden wurde.

Obwohl die Letztfassung des Neunten Streichquartetts Jahre nach dem Quartett Nr. 8 entstanden ist, nimmt sie sich in gewissem Sinne wie ein Kommentar zum Vorgängerwerk aus. Es übernimmt in der großformalen Anlage die fünfsätzige Architektur von Nr. 8, scheint aber entschlossen zu sein, diesmal den expressiven Selbstbespiegelungen zu entsagen und sich eher an die Gesetze der traditionellen Formenlehre zu halten - dennoch herrscht ein mehr symphonischer als kammermusikalischer Ton. Aber die motivische Arbeit ist über weite Strecken von klassizistischem Zuschnitt. Schon während der Arbeit an der Zwölften Symphonie hatte Schostakowitsch seiner Sehnsucht Ausdruck verliehen, einmal einen klassischen Sonatensatz zu komponieren. Im Eingangssatz, Moderato con moto des Quartetts Nr. 9 ist ihm das gelungen.

Es folgen zwei Adagio-Sätze, die ein Allegretto umrahmen, das im Zentrum des Werks steht - wenn auch die Balance sich in dieser Komposition, genau genommen, zugunsten des Finales verschiebt - dieses abschließendeAllegro ist mit seinen knapp 10 Minten fast doppelt so lang wie die einzelnen, jeweils maximal fünf Minuten dauernden Sätze davor.

Das Quartett steuert also auf ein groß angelegtes Finale zu, das in seinem nie abreißenden, vorwätstreibenden Gestus eine Fuge und eine leidenschaftliche Cellokadenz enthält - es bietet damit eine erstaunliche Mixtur aus »gelerter« Anverwandlung traditioneller Formen und vollkommen subjektivem Ausdruck (wie er das Achte Quartett beherrschte). Wie meinte doch Schostakowitsch einmal gegenüber dem Primarius des Beethoven-Quartetts:

Beethoven brauchte 16 Quartette, um dieses Medium zu erforschen; ich werde mindestens ebenso viele brauchen.



→ Schostakowitschs Streichquartette

↑DA CAPO