Streichquartett Nr. 8

(c-Moll - op. 110)

Im Winter 1959/60 konnte Dmitri Schostakowitsch dem Druck nicht mehr widerstehen, der auf ihn ausgeübt wurde, in die Partei einzutreten. Kurz bevor er seine lang geplante Reise ins von alliierten Bomben vollkommen zerstörte Dresden anzutreten, hatte er den Antrag auf Aufnahme in die KPdSU unterschrieben. Immerhin sollte er Vorsitzender des Komponistenverbandes der Sowjetunion werden.

Er selbst empfand diese Unterschrift als moralische Kapitulation, ein Nervenzusammenbruch war die Folge. Schostakowitsch wälzte zu Zeiten sogar Selbstmordgedanken. Der Anblick der vollkommen zerstörten deutschen Stadt tat sein übriges zur pessimistischen Seelenlage.

Als Kompositionsauftrag sollte Schostakowitsch in diesen Tagen eine Filmmusik zu Fünf Tage – fünf Nächte schreiben. Stattdessen begann er ein intimes, persönlich gefärbtes Streichquartett zu skkzzieren. In einem lang nach seinem Tod publizierter Brief an den Freund Isaak Glikman (19. Juli 1960) bekennt er:

Wie sehr ich auch versucht habe, Skizzen für die Filmmusik zu enttwerfen, es ist mir bis jetzt nicht gelungen. Stattdessen habe ich ein ideologisch inkorrektes Quartett geschrieben, das niemandem etwas nützen wird. Ich hatte mir überlegt, daß, wenn ich einmal sterben würde, kein Mensch ein Werk zu meinem Andenken schreiben wird. So habe ich beschlossen, das selbst zu tun. Man könnte aufs Titelbaltt drucken: »Gewidmet dem Andenken des Komponisten dieses Quartetts«.

Den autobiographischen Charakter verrät – wie schon in Werken wie der Zehnten Symphonie – die Verwendung der Tonfolge D-S-C-H (die musikalische Entsprechung von Schostakowitschs Initialen »D. Sch.«), mit denen das Quartett beginnt.

Beinah in allen der fünf pausenlos ineinander übergehenden Sätzen des Werks finden sich überdies Zitate eigener und fremder Kompositionen. Bezeichnend ist die Tempo-Dramaturgie, die vom einem eröffnenden Largo über zwei schnelle Sätze – einem aggressiven Allegro molto und einem doppelbödigen Scherzo – mit zwei unmittelbar aufeinanderfolgenden Largo-Sätzen zur ausweglosen »Requiem-«Stimmung des Anfangs zurückkehrt.

Der Brief an Glikman enthält - in einem für Schostakowitsch typischen, höchst selbstironischen Ton - so etwas wie die genaue Inhaltsangabe des Werks:

Als Thema ligen dem Quartett die vier Töne D, Es, C, H zugrunde, das sind meine Initialen (D. Sch.).

Im Quartett finden sich Themen aus meinen Kompositionen und das Revolutionslied Gequält von schwerer Gefangenschaft.

In der Folgen listet Schostakowitsch die Werke auf, die er im Achten Streichquartett zitiert:

Außerdem von anderen Komponisten:

Als Charakterisierung des »Grundtons« des Quartetts schreibt Schostakowitsch an Glikman:

Dieses Quartett ist von einer derartigen Pseudo-Tragik, daß ich beim Komponieren so viele Tränen vergossen habe, wie man Wasser läßt nach einem halben Dutzend Bieren. Zu Hause angekommen, habe ich es zweimal versucht zu spielen, und wieder kamen mir die Tränen. Aber diesmal nicht mehr nur wegen der Pseudo-Tragik, sondern auch weil ich erstaunt war über die wunderbare Geschlossenheit der Form.

Urafführung

Das Achte Streichquartett wurde am 12. Oktober 1960 in Leningrad uraufgeführt. Musiziert hat, wie gewohnt, das Beethoven-Quartett. Das Werk wurde dank seiner subjektiv-ehrlichen Botschaft zu seinem meistgespielte Streichquartett.

Weltweit bekannt wurde Schostakowitschs vielleicht persönlichstes Dokument durch die Bearbeitung für Streichorchester, die Rudolf Barschai besorgt hat und die von Schostakowitsch »autorisiert« wurde. Unter dem Titel Kammersymphonie op. 110a wurde auch diese Version populär.



→ Schostakowitschs Streichquartette


↑DA CAPO