Symphonie Nr. 10
Acht Jahre waren vergangen, Seit Dmitri Schostakowitsch seine letzte Symphonie veröffentlicht hatte. Mit seiner Zehnten kehrte er zur klassischen viersätzigen Struktur zurück - und hatte vor, dieser erstmals ohne programmatische Überlagerungen zu folgen.
Auf einem Kongreß, anläßlich dessen er wieder einmal gezwungen war, sich selbst zu rechtfertigen, ließ Schostakowitsch dieses Vorhaben - und was ihm bei dessen Realisierung mißlang - selbstkritisch durchklingen.
Schostakowitschs Vortrag über seine Zehnte
An der Symphonie Nummer zehn arbeitete ich im Sommer vorigen Jahres und beendete sie im Herbst. Ich schick sie-ähnlich wie meine anderen Werke-sehr schnell. Das ist übrigens keine Tugend, sondern eher ein Mantel, Denn beim solchen Arbeitstempo ist es nicht möglich, viel und gut zu schreiben. Sobald ich mit einem Werk fertig bin, verlässt mich die Begeisterung. Wenn ich - manchmal recht gravierende - Fehler in einem neuen Werk entdeckte, denke ich, daß es gut wäre, diese im nächsten Arbeiten zu vermeiden, Aber zu der einmal abgeschlossenen Arbeit nicht mehr zurückzukehren.Deshalb hatte ich einen, in erster Linie aber mir selbst, sich nicht zu beeilen. Es ist besser, Mehr Zeit für eine Komposition aufzubringen, aber dafür während der Arbeit alle Fehler zu eliminieren.
Die Symphonie besteht aus vier Sätzen.
Einer kritischen Betrachtung des ersten Satzes siehe ich, dass es mir nicht gelungen ist, das zu schaffen, wovon ich seit langem träume - Ein echtes Sonatenallegro. Es ist hier in dieser Symphonie ebenso wenig gelungen wie in den vorangegangenen. Dennoch hoffe ich, dass ich irgend wann einmal in Zukunft ein solches Allegro schreiben werde. Im ersten Satz meiner Symphonie finden sich mehr langsame Tempi und lyrische Episoden als heldenhaft-dramatische und tragische Stellen (wie in den ersten Sätzen der Symphonien von Beethoven, Tschaikowsky, Borodin und anderen Komponisten).
Der zweite Satz entspricht, wie mir scheint, Meinen Vorstellungen und mit dem Zyklus den hierfür vorgesehenen Platz ein. Dennoch ist dieser Satz möglicherweise allzu kurz, vor allem wenn man in den vierten Vergleich, die ziemlich lang sind. Es kommt hier also zu einer gewissen Störung der zyklischen Konstruktion. Möglicherweise fehlt hier noch ein Satz, der zusammen mit dem zweiten Satz die gesamte Konstruktion stützen würde.
Was den dritten Satz betrifft, so scheint mir, dass die Idee im Großen und Ganzen nicht schlecht realisiert Warten ist, obwohl auch in diesem Satz einerseits einige Längen vorhanden sind, andererseits wiederum etwas zu fehlen scheint. Gern würde ich die Meinung der Genossen hierzu erfahren.
Im Finale ist die Einleitung etwas zu lang, obgleich ich letztens, als ich sie hörte, zum dem Schluß gekommen bin, daß sie ihre Funktion erfüllt und in etwa das Gleichgewicht des ganzen Satzes aufrechterhält.
Tönende Autobiographie
Offiziell ging es also um die Bewältigung der klassischen symphonischen Form. Doch stecken auch hinter dieser Musik programmatische Gedanken. Freunden verriet der Komponist, daß er mit dem vielschichtigen ersten Satz sein musikalisches Selbstportrait gemalt hätte, während das brutal stampfende, erbarmungslose Scherzo eine Karikatur des Genossen Stalin abgeben sollte.
Daß es um seine persönlichen Befindlichkeiten ging, verrät das Viertonmotiv D-Es-C-H, das in der deutschen Transliteration ein Anagramm des Namens D(mitri) Sch(ostakowitsch) darstellt.
Der Komponist verwendete diese klingende Visitenkarten in mehreren Werken, darunter im so subjektiv gefärbten, eindeutigd »autobiographischen« Achten Streichquartett. Auch verbindet die Wiederaufnahme des Hauptthemas aus dem ersten Satz im Allegretto die einzelnen Teile der Symphonie untereinander. Die melancholische Grundstimmung der Sätze I und III wird erst im Finale durch eine schwebend-unwirkliche Heiterkeit abgelöst, die ziemlich einzigartig in Schostakowitschs Schaffen dasteht.
Uraufführung unter Mrawinsy
Die Uraufführung dirigierte wiederum Jewgeni Marawinsky, der sich vom ersten Kennenlernen der Partitur an nur in Superlativen über das Werk äußerte. Die Reaktionen waren gemischt und die Diskussionen so heftig wie einst nach dem Verdikt gegen die Oper Lady Macbeth von Mzensk.
Doch wurde die Zehnte bald zu einer der beliebtsten Schostakowitsch-Symphonien.
Karajans legendäre Aufführung
Eine der herausragenden Interpretationen dieses Werks gelang Herbert von Karajan, der es wiederholt mit seinen Berliner Philharmonikern aufgeführt - und zweimal für Schallplatten eingespielt hat.
Legendär sind die Aufführungen während der Rußland-Tournee der Berliner Philharmoniker. In Moskau kam es zu einer Begegnung zwischen dem Komponisten und dem Dirigenten, der einmal bekannt hatte, daß er, wenn er Komponist wäre, so komponieren hätte wollen wie Schostakowitsch - aber außer der Zehnten keine von dessen Symphonien in sein Repertoire aufnahm. Die Moskauer Aufführung wurde durch Schostakowitsch Lob geadelt. Angeblich brach der Komponist in Tränen aus. Der → Livemitschnitt gilt als bedeutendes Dokument der Aufführungsgeschichte.
Mit seiner → Elften Symphonie betrat Schostakowitsch dann das gefährliche Terrain der offen deklarierten »Programm-Musik« . . .