Symphonie Nr. 8
Auch die Achte ist eine Kriegssymphonie. Schostakowitsch schrieb sie in erstaunlicher Geschwindigkeit unter dem Eindruck des höllischen Schlachtenlärms seiner Zeit - und während der Versuche, eine sowjetische Hymne zu komponieren. Stalin hatte einen Wettbewerb ausschreiben lassen, um alle lebenden russischen Komponisten aufzufordern, eine ihm genehme Hymne zu gestalten. Schostakowitsch mußte sich daran auch beteiligen - und legte einen Entwurf sogar gemeinsam mit Katschaturian vor; um dann durch eine ungeschickte Bemerkung die Chance zu vermasseln, daß dieses Gemeinschaftsprojekt gekürt wurde.
Die Symphonie ist Frucht eines produktiven Sommer: Im März 1943 hatte Schostakowitsch eine lange, quälende Schaffenspause überwunden und warf in wenigen Wochen seine Zweite Klaviersonate aufs Notenpapier.
Mit der Symphonie begann er Anfang Juli, hatte den umfangreichen ersten Satz bereits Anfang August beendet und konnte im September den Schlußstrich hinter das einstündige Werk ziehen.
Nach dem Sensationserfolg der Siebenten wartete buchstäblich die ganze Welt auf Schostakowitschs Achte. Sie sollte sich erneut mit der Zeitgeschichte auseinandersetzen, man könnte sie in Fortsetzung des historischen Geschehens als die Stalingrader Symphonie bezeichnen.
Tatsächlich spart Schostakowitsch auch hier nicht mit offenkundigen Anspielungen auf das Kriegsgeschehen - im martialischen Scherzo kann man unter dem fortwährenden Geknatter der Blechbläser-Staccati förmlich die Granaten fliegen und einschlagen hören.
Doch ist, abgesehen von diesem illustrativen Effekt, die Faktur der Musik deutlich weniger simpel als im Vorgängerwerk - und war daher nicht für ein breites Publikum so leicht dechiffrierbar.
Schostakowitschs Freund Sollertinski meinte, der Eindruck sei zwar gewaltig, doch die Musik »viel schwieriger ... ich habe deshalb Zweifel, ob sie ankommt.«
Eine gewichtige Stimme erhob sich, als Sergej Prokofieff sich zu Schostakowitschs jüngstem Werk äußerte.
Ich kann nicht behaupten, daß mich die Symphonie Nummer 8 enttäuscht hatte, aber sie hat mich nicht in dem Maße beeindruckt, wie ich erwartet hatte. Ihr melodisches Profil ist nicht interessant. Was die Form betrifft, so ist sie sehr lang. Beim zuhören muß man gegen die Müdigkeit ankämpfen. Zu Beginn des vierten Satzes ist man schon so erschöpft, daß man ihn nicht ganz versteht. Mit Sicherheit während diese Symphonie viel weniger umstritten, wenn sie ohne den vierten Satz (Passacaglia) wäre und stattdessen unmittelbar zum letzten Satz übeginge mit der herrlichen Coda, und wenn es auch den zweiten Satz nicht gäbe - der nichts Neues bringt und dabei ziemlich plump ist - wenn sie also nur aus dem ersten, dem dritten und dem fünften Satz bestünde.
Im Westen - man war noch mitten im Krieg - erklang die Symphonie erstmals im April 1944 in New York unter Artur Rodzinskys Leitung. Nach dem Erfolg der Siebenten erwartete man eine Sensation. Die Rundfunkstationen übertrugen die Aufführung in Nord- und Südamerika - 25 Millionen Menschen sollen die Möglichkeit gehabt haben, auf diese Weise »live« dabei zu sein.
Die Kritiker reagierten ablehnend. Virgil Thomson gab Prokofieff recht:
Das musikalische Material, das für 20 Minuten reicht, wurde auf eine ganze Stunde gestreckt.
Das hätte freilich auch auf die Siebente zugetroffen, und Olin Downes, dem schon die »Leningradr« mißfallen hatte, meinte abschätzig, er hätte den Eindruck gewonnen,
der Komponist schriebe zu schnell zu lange Werke.
Schostakowitsch liebte seine Achte ganz besonders und schrieb 1956:
Ich bedaure es sehr, daß bei uns seit vielen Jahren die Symphonie Nr. 8, in die ich so viel Herz und Verstand gesteckt habe, nicht aufgeführt wird. In diesem Werk versuchte ich die Erlebnisses des Volkes auszudrücken und die furchtbare Tragödie des Krieges wiederzugeben. Die im Sommer 1943 geschriebene Symphonie ist eine Antwort auf die Ereignisses dieser schwierigen Zeit, ich glaube, daß dies voll begründet ist.
Der Pianist Swjatoslaw Richter bezeichnete die Achte einmal als »das wichtigste Werk« des Komponisten
Mit seiner → Neunten Symphonie sollte Schostakowitsch dann noch einmal auf die Kriegs-Geschehnisse reagieren - und damit Stalin vor den Kopf stoßen...