Zoltán Kodály

1882 - 1967

Für die Generation 2000 ist Béla Bartók der ungarische Komponist der musikalischen Moderne. Für die Zeitgenossen war die Auswahl größer: neben Bartók gab es Leo Weiner und Ernst von Dohnányi, Vertreter höchst unterschiedlicher »Richtungen« - und es gab Zoltán Kodály als den wirklichen Widerpart Bartóks, Volksliedforscher wie er, aber in seiner Tonsprache weit weniger von der Kühnheit und harmonischen Großzügigkeit der Moderne als von der althergebrachten Tonalität geprägt, einer Tonalität, die freilich in ihren melodischen und harmonischen Wendungen unmittelbarer von der ungarischen Volksmusik beeinflußt war als die Bartóks.

Über die Bedeutung der akribischen Erforschung des »echten« ungarischen Volkslied-Gutes und dessen Abgrenzung vom magyarischen Kitsch der reisenden Zigeunerkapellen waren sich Bartók und Kodály zeitlebens einig.

Kodály betrieb die Forschungstätigkeit mit einer selbst für den eifrigen Kollegen undenkbaren Verbissenheit. Er promovierte sogar an der Franz-Liszt-Akademie zum Doktor mit einer Arbeit über den Strophenbau im ungarischen Volkslied.

Als Lehrer war Kodály in der Folge eine der prägenden Figuren im Budapester Musikleben. Er entwickelte sogar eine eigene musikpädagogischen Methode, die ausgehend von der Beschäftigung mit der Volksmusik auch Menschen der unteren Bildungsschichten Musik und Musizieren näherbringen sollte. Es sei, so war Kodály überzeugt,
wichtiger, wer in einer Dorfschule Musik unterrichtet als wer in Budapest Operndirektor ist.
Anders als Bartók, der im amerikanischen Exil starb, zog es Kodály vor, während des Zweiten Weltkriegs in Ungarn zu bleiben.

Antal Dorati hat eine Gesamtaufnahme von Zoltán Kodálys Orchesterwerken vorgelegt, die einen Überblick über die enorme Spannweite des künstlerischen Schaffens dieses Meisters ermöglicht. Von der (einzigen) Beschäftigung Kodálys mit der symponischen Form, der dreisätzigen Symphonie in C, die Ferenc Fricsay 1961 beim Festival von Luzern uraufführte über die beiden berühmten und beliebten ungarischen Tanzfolgen Tänze aus Galánta und den Marosszéker Tänzen bis zur Suite aus dem Märchenspiel Háry János läßt die Sammlung eine Klanpalette hören, die impressionistischen Farbenzauber ebenso nutzt wie klare, neoklassizistische Linienführung.

Überraschend für Musikfreunde dürfte die Erkenntnis sein, daß das erste Konzert für Orchester aus der Feder eines Meisters der ungarischen Moderne nicht von Bartók stammt (1944 für das Boston Symphony Orchestra entstanden), sondern von Kodály - komponiert 1939 für das 50-Jahr-Jubiläum des Chicago Symphony Orchestra und uraufgeführt 1941 unter der Leitung von Frederick Stock. Allerdings ist Kodálys Konzert in einem großen Satz gearbeitet, während Bartóks gleichnamiges Werk fünf Sätze enthält.

Für ein Orchester-Jubiläum (50 Jahre Concertgebouw Orchester, Amsterdam) entstand eines der meistgespielten symphonischen Werke des Komponisten, die Variationen über ein ungarisches Volkslied (»Der Pfau ist aufgeflogen«), die 1939 unter Willem Mengelbergs Leitung uraufgeführt wurden.

Eines der Hauptwerke Kodálys ist der Psalmus hungaricus von 1923, komponiert zur Feier des 50. Jahrestages der Vereinigung von Buda und Pest zur ungarischen Hauptstadt, uraufgeführt beim Festkonzert mit Bartóks zum selben Anlaß geschriebenen Tanzsuite. Die schweizerische Erstaufführung des Psalmus unter Volkmar Andreae markierte den Anbruch der internationalen Karriere des Komponisten. Bemerkenswerterweise gelang dies mit einem durch und durch ungarisch-national konnotierten Werk: Der Text zum Psalmus basiert auf dem biblischen Psalm 55 und verknüpft dessen Text mit dem Schicksal des ungarischen Volks, nicht zuletzt traumatisiert durch den Verlust von mehr als 50 Prozent des ehemaligen Territoriums nach dem Ersten Weltkrieg. Die pentatonische Motivik der Musik reflektiert die ungarische Volksmusik, ohne ein regelrechtes Lied-Zitat zu bemühen.




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