TURANGALILA   ST. FRANCOIS

Olivier MESSIAEN

1908 -1992

Tiefer, bis in die kleinste Faser seines Künstlertums erlebter Glaube war seine immer wieder sich erneuernde Antriebskraft. Seine Musik: tönender Katholizismus. Aber nicht nur.


Olivier Messiaen, der Sohn eines für seine Shakespeareübersetzungen brühmten Literaturwissenschaftlers und einer Dichterin, war Musiker, Katholik, aber auch Naturanbeter. Sein Mystizismus suchte die letzten Geheimnisse des Spirituellen ebenso zu ergründen wie jene des irdischen Lebens.

So wurde sein Werk zum kosmischen Klangereignis, band Tausende Vogelstimmen, Gezwitscher, Gezirpe, Geflöte ebenso zur überwältigenden Natursymphonie wie es die Gewalt göttlicher Kraft mit donnernden Urklängen in Töne zu fassen suchte. Dem dieserart allumfassenden, allem sich öffnenden Geist war folgerichtig eng dimensionierte Gebrauchskultur fremd. So stammt aus der Feder des Erzkatholiken Messiaen keine liturgische Musik.

Sein künstlerisches Streben zielte stets weit über traditionelle Grenzen hinaus ins Unendliche. Dieses war sein natürlicher Raum. So konnte er sich verlieren, im deutschen Gefangenenlager in die Meditationen über das Ende der Zeit, aber auch in mystischer Verzückung über den Zwanzig Möglichkeiten das Jesuskind zu betrachten oder in sanften, oder beinahe gewalttätig überwältigenden, Ekstasen über die Liebe in seiner Turangalila Symphonie.

Die große »Symphonie«

Eine Trennung zwischen geistlich und weltlich war für Messiaens Musik nicht akzeptabel. Die erotischen Klangmetaphern seiner Cinq rechants oder der Turangalila-Symphonie schreibt er mit derselben Leidenschaft, derselben vollständigen, durch nichts irritierten, durch nichts zu irritierenden Hingabe wie die Meditation über die "Geburt Unseres Herrn", mit der er 1935 sein riesiges Orgelschaffen einleitete.

Jedes neue Stück ohne Vergleich

Riesig nicht nur im Hinblick auf den äußeren Umfang. Riesenhaft sind stets die inhaltlichen, auch die formalen Dimensionen von Messiaens Schöpfungen, und von gigantischem Reichtum die Möglichkeiten seiner Klangwelt, die er auf singuläre Weise entwickelt hat - alle "Stile" und "Richtungen", deren dieses Jahrhundert so viele hat, ignorierend dank der anarchischen Energie seiner Persönlichkeit und Imaginationskraft.

Messiaen war, versuchen wir einen wissenschaftlich präzisen Standort für ihn zu finden, vielleicht die Inkarnation jenes Einmaligkeitsprinzips, das für das musikalische Kunstwerk spätestens seit Strawinskys Sacre du printemps gilt. "Du sollst dich nicht wiederholen", heißt seither das erste Gebot. Jedes neue Stück hat im wahrsten Sinne des Wortes in allen Phasen ein neues Stück zu sein, formal ohne Vergleich.

Messiaen war ein "neuer Komponist", ohne Vorgänger, ohne stilistische Brücke. Es sei denn, man deutet die harmonischen Experimente seiner frühesten Musik als Nachhall Debussyscher Sinnlichkeit. In Wahrheit aber war Messiaen der große Einsame in seinem nur ihm zugänglichen unendlich weiten musikalischen Land. Traditionelles, eben von Zeitgenossen Gefundenes war ihm kaum je Inspiration.
Viel eher schon mystische Klänge indischer oder fernöstlicher Provenienz. Und immer wieder der Naturklang, Vogellaute aus allen Erdteilen, die er mit der Akribie des Fanatikers sammelte und in einzigartigen musikalischen Metamorphosen multiplizierte, zu symphonischen Megaräumen potenzierte.

Posthume Premiere in Salzburg:
St. Francois in der Felsenreitschule

Salzburg präsentierte wenige Monate nach Messiaens Tod die beschwörend tausendfältig zwitschernde, trillernde, rufende Vogelpredigt des Franz von Assisi hören, wie sie Messiaen zu einer einzigartigen Opernszene verdichtet hat - weitausholend in jener die Unendlichkeit und ihr höchstes, einigendes Prinzip beschwörenden Intensität, die alle Musik dieses Komponisten auszeichnet.

Die Festspiele, die als Hommage an den vielleicht größten lebenden Komponisten gemeint waren, wurden so zu seinem Epitaph. → zur Rezension der Premiere

Die Salzburger Festspielpremiere der Oper Saint Francois d'Assise hat Olivier Messiaen nicht mehr erlebt. Sie fand wenige Monate nach seinem Tod in der Felsenreitschule statt. Die hausbackene Inszenierung von Peter Sellars konnte an dem sensationellen Erfolg zum Einstand des neuen Festspielintendanten Gerard Mortier nichts ändern.

→ DIE PRESSE, August 1992



↑DA CAPO