MESSIAEN
Saint Francois d'Assise
Rezension der Salzburger Festspielpremiere von 1992
"Was kann der Franz dafür, daß er so schön ist?"
Die Salzburger Festspiele feierten mit Messiaens Heiligenoper einen vorhersehbaren Triumph
Manchmal sagt die Tatsache, daß nach einer Premiere ausgiebig gejubelt worden ist, rein gar nicht über deren künstlerische Qualität aus. Auch, daß es Buhrufe für den Regisseur gab, fällt nicht wirklich ins Gewicht. Was auch auf der Bühne und im Orchestergraben passiert wäre, die Reaktion war so und nicht anders vorprogrammiert.
Zu einem Werk wie Messiaens "Franz von Assisi" pilgert der Festspielbesucher mit der vollen Überzeugung, daß es gut und richtig ist, daß für die Neue Musik bei Festspielen, die viel von sich halten, etwas getan werden müsse. Für diesmal versprach man ein entsprechend attraktives Solistenaufgebot, einen aufstrebenden jungen Dirigenten, eine sündteure, also wahrhaft festspielwürdige Ausstattung, und zum Ausgleich ein Regie-Enfant-Terrible namens Peter Sellars.
In der zweiten, eineinhalbstündigen Pause wurde zudem ein festliches Dinner serviert, was den Abend in "Parsifal"-Ausmaße weitete. Ein Salzburger Weihespiel zum Zeichen der Wertschätzung, deren sich die Avantgarde bei der neuen Führung erfreuen darf; kulinarisch verpackt für den prunkgewohnten Festspielhabitué.
So waren alle bedient, gaben ihrer Zufriedenheit Ausdruck und hatten in Sellars einen sonnigen Buhmann, an dem sich zuletzt noch die Geister scheiden durften, die "Progressiven" von den "Konservativen". Und sie alle, alle, scheint mir, haben willig bei einem klug eingefädelten theatralischen Bluff G'erard Mortiers mitgespielt, waren Darsteller wie die Hundertschaften singender und musizierender Damen und Herren auf der Bühne und im Orchestergraben. Und wie die Hunderte blinkender, zuletzt zu einem Neon-Feuerwerk vereinigter Leuchtstoffröhren, die George Tsypin als monumentalen Hintergrund für seine im übrigen karg aus Holz gezimmerte Bühne in die Felsenreitschule gehängt hat.
Die Aufregung um den Regisseur jedenfalls war, weniger emotionell betrachtet, vollständig unangebracht. Nur, weil Sellars die Szene mit vierzig flimmernden Fernsehschirmen verhängt, auf denen abwechselnd Kreuzigungsszenen, hübsche Blumen und Pflanzen oder - bei der dreiviertelstündigen Vogelpredigt zumal - etliche bunte gefiederte Freunde zu sehen sind, verdient er keinen Buhorkan. Eher Nichtbeachtung angesichts der Einfallslosigkeit, die sich zwischen diesen Fernsehapparaten zuträgt.
Über nette Studententheater-Arrangements kommt Sellars in dieser Produktion nämlich nicht hinaus. Nicht bei der Szene mit dem Leprakranken, nicht bei der Vision von den himmlischen Klängen, die ein Engel zu produzieren imstande ist, nicht bei der schmerzhaften Stigmatisierung oder beim Tod des Heiligen.
Eher schon ist die euphorische Aufnahme der musikalischen Leistungen verständlich, denn vor allem die fabelhaften Orchestermusiker des Los Angeles Philharmonic und der Arnold Schönberg Chor leisten angesichts der enormen Anforderungen, die Messiaens Partitur an sie stellt, Außerordentliches.
Ob in manchen Passagen emotionsgeladenere Klänge zu erzielen wären, als Esa Pekka Salonen, der junge Finne, sie kühl organisierend den Musikermassen abtrotzt, muß er sich selber fragen. Präziser als diesmal wird man Messiaens Musik nicht so bald erleben.
Sie war das eigentliche Ereignis des Abends, mit ihren meditativen, unmenschlich alle Zeitbegriffe ignorierenden Klangblöcken, die zwischen der endlosen Psalmodie gregorianischer Kirchengesänge und den selbstvergessenen Repetitionen exotischer Vogelrufe aufgespannt sind. Von beiden, von der Psalmodie wie von den Naturlauten, hat Messiaen den Mut geschöpft, alle Entwicklungs-Psychologie, die der abendländischen Musik spätestens seit der Klassik eigen ist, hinter sich zu lassen und sich viertelstundenweise meditativen Wiederholungen hinzugeben.
Die Musik kreist in sich, steht massiv da, hält sich jedenfalls stets über lange Frist mit dem gegeneinander Ausspielen einmal gefundener Motive auf. In dieser Hinsicht gibt sie sich so geradezu naiv beschaulich wie jene mittelalterlichen Heiligenbilder, die dem Komponisten als Idealbild für die Optik seiner Oper gedient haben dürften.
Während das Orchester über den rhythmischen Vertracktheiten, die sich beim Ineinanderschachteln unterschiedlichster Vogelrufe zwangsläufig zutragen, manch harte Nuß zu knacken hat, dürfen sich die Sänger in vergleichsweise belkantesken Melismen ergehen. Jos'e van Dam, der auch den Franziskus ausschließlich ebenmäßig schön singt, erhält dafür verdienter Maßen den lautesten Applaus, Dawn Upshaw rangiert als bezaubernder Engel gleich hinter ihm in der Publikumsgunst. Die übrigen Herren aus Franzens Gefolge wahren in jeder Hinsicht den guten Ton.
Ronald Hamilton als Leprakranker, den Franz küßt und damit heilt, beweist zu allem Überfluß, daß man bei Messiaen auch mit stimmlichen Mitteln urdramatische Effekte erzielen kann, selbst wenn man in einer Schlüsselszene vom Regisseur vollständig im Stich gelassen wird. Das aber führt zu einem anderen Kapitel, das etwa heißen müßte: Wie mitreißend könnte man "Franz von Assisi" wirklich aufführen. Dieses wird in Salzburg nicht behandelt. Der Erfolg lehrt: Solche Anstrengung ist auch gar nicht nötig.