Ode an Napoleon
Arnold Schönberg op. 41 (1942)
→ Lord Byrons Gedicht
Vom März bis Juni 1942 arbeitete Schönberg an einem seiner faszinierendsten Werke, der Ode an Napoleon op. 41. Die League of Composers hatte ihm den Auftrag für ein kammermusikalisches Werk erteilt. Der Komponist nutzte die Chance und formulierte - mitten im Zweiten Weltkrieg - seinenen künstlerischen Protest gegen die politischen Umstände, die in seiner Heimat zur Katastrophe geführt hatten. Er begann, in seiner Bibliothek nach englischsprachigen Texten zu suchen, die »einige Bezüge zur Tyrannei« hatten. Bei Lord Byron wurde er fündig. Dessen zynische Ode an Napoleon Buonaparte enthielt Passagen, die Schönbergs Zeitgenossen ohne viel Kommentar mit Hitler assoziieren konnten.
Ich wußte, daß es eine moralische Pflicht der Intellektuellen war, gegen die Tyrannei Stellung zu beziehen.
So bekannte der Komponist in seinem Bericht über die Arbeit an der Ode.
Byrons Text
In 171 Versen übergießt Lord Byron in seinem vielstrophigen Gedicht mit Spott und Hohn - freilich, die Ausgangsposition des Dichters ist eine ganz andere als jene, von der aus Arnold Schönberg im Jahre 1942 agieren konnte. Napoleon hatte abgedankt und sein einstiger Bewunderer Byron ist voll er Häme. Er stellt in Frage, wofür der Diktator Europa mit Leichenbergen übersät hatte, wenn jetzt sein Glanz so einfach und über Nacht verblassen sollte.
Hitler und Napoleon
Wie viele eruopäische Intellektuelle hat auch Byron Napoleon die Metamorphose vom Helden der Revolution zum absolutistischen Imperator, den Verrat an den Gedanken, die seinen Aufstieg ermöglicht haben, nicht verziehen. Darüber wird das Gedicht zur bösen Karikatur auf alles falsch verstandene Heldentum und zum Hohelied der Freiheit. Byron sah sie im Werk des George Washington verwirklicht.
Für Schönberg bedeutete das die Gelegenheit, seinem Gastland die Reverenz zu erweisen und für die Alte Welt die Prophetie zu wagen: Auch der Stern jenes Diktators, der die Welt in den blutigsten Krieg gestürzt hatte, würde bald sinken. Zum Zeitpunkt der Komposition war das trotz aller Einbrüche, die den Siegeslauf den deutsche Heer damals bereits gebremst hatten, noch kühne zukunftsvision. Als die Ode am 23. November 1944 in New York zur Uraufführung kam, schien das Schicksal Hitler-Deutschlands allerdings längst besiegelt.
Das Werk
Lord Byrons Text ist umfangreich. Dennoch dauert Schönbergs Komposition nicht viel länger als eine Viertelstunde. Die Vertonung ist gerafft, gönnt sich nur zwei ausgedehntere Zwischenspiele und spult im übrigen die Verse in kraftvoll pulsierendem Tempo ab. Schönberg wollte, daß der Hörer jedes Wort verstehen konnte. Also wählte er wie schon in manch früherem Werk, dem Pierrot lunaire oder auch Moses und Aron die Sprechstimme für seine Komposition. Klavier und Streichquartett sollten den Inhalt buchstabengetreu untermalen, begleiten, musikalisch verdeutlichen. Wie schon in seinen Instrumentalwerken der amerikanischen Zeit erfüllt sich auch hier der Gedanke, daß Inhalt, Aussage, Expression der Musik ihre Form bestimmen. Mit zwei Ausnahmen werden zwar die Strophenbildungen Lord Byrons auch in der Musik durch Zäsuren angedeutet.
Beethoven-Zitate
Aber im wesentlichen stellt die Ode ein prachtvolles Beispiel für Schönbergs illustrative Kunst dar. Jedes Wort wird ausgedeutet. Sogar etliche Zitate gönnt sich der Komponist zur ironisierenden Verdeutlichung. So erklingen auf die Worte »the earth quake voice of Victory« (welterschütterndes Siegesgeschrei) das Kopfmotiv von Beethovens Fünfter Symphonie und die Marseillaise gleichzeitig, womit das symphonische Motiv kurioser Weise von c-Moll nach Es-Dur »umgedeutet« wird. Das ist symbolträchtiger als es im ersten Moment scheinen mag, denn die Tonart Es-Dur erscheint in Schönbergs Ode mehrfach an zentralen Punkten. Schon die Zwölftonreihe, die der Komponist für dieses Werk gewählt hat, gestattet - wie die vergleichbaren Reihen seines Schülers Alban Berg - viel tonale √Inseln« im harmonischen Gefüge des Werkes, das ganz entgegen Schönbergs früheren Überzeugungen sogar mit einer weitausgreifenden Kadenz in ungetrübtem Es-Dur schließt.
Dieses Es-Dur wiederum ist die Tonart von Beethovens Dritter Symphonie, der Eroica, die (Parallele zu Lord Byron) der Komponist als glühender Verehrer Napoleons begann, von dessen Manuskript er jedoch nach Napoleons Krönung zum Kaiser der Franzosen wütend die Widmung an »Buonaparte« herunterkratzte. Mit dem Kopfmotiv der Fünften Symphonie Beethovens zitiert Schönberg darüber hinaus ein musikalisches Thema, dessen Symbolkraft damals von den meisten Hörer sofort verstanden wurde, vor allem in Verbindung mit dem Wort »Victory«. Das «V« des Morsealphabets, drei kurze, ein langer Ton, stimmt mit Beethovens berühmten »Schicksalsmotiv« überein, weshalb dieses im Weltkrieg von den alliierten Kampfverbänden als gemeinsamer Code akzeptiert wurde.
Leitmotive, Symbolik
Im übrigen ordnet sich Schönbergs Werk in die lange Reihe der deskriptiven musikalischen Kunstwerke ein, in denen klingende Realität dank ihrer Gestik mühelos mit jener des zugrundeliegenden Textes zur Deckung gebracht werden kann. Nahezu alle großen Meister, die Schönberg als geistige Ahnen betrachtet hat, haben dafür Beispiele geliefert, seien sie nun geradezu naiv direkt wie die Naturschilderungen in Joseph Haydns Schöpfung oder vorsichtig verschlüsselt wie manche Erinnerungsmotiv in den Dramen Richard Wagners. In der Ode findet sich pittoreske Detailmalerei in Hülle und Fülle.
Uraufführung 1944
Das sorgt im Verein mit den tonalen Einschlägen für eine verhältnismäßig leichte Faßlichkeit der Komposition, die in einem Arrangement für Sprecher, Streichorchester und Klavier in New York zur Uraufführung kam und in der »kulinarischen Umgebung« eines Haydn-Cellokonzerts, dreier Tänze aus Manuel de Fallas Dreispitz und Mozarts »Haffner«-Symphonie Gefallen fand. Virgil Thomson, der treueste Schönbergverehrer unter den amerikanischen Rezensenten, schwärmte von »der besten Musik, die jemand, von dem ich Kenntnis habe, heute schreibt«.
Artur Rodzinsky dirigierte die New Yorker Philharmoniker, Eduard Steuermann spielt den Klavierpart und der damals beliebte Sänger Mack Harrell, Vater des später weltbekannten Cellisten Lynn Harrell, rezitierte Lord Byrons Verse.
Der Text
Ode to Napoleon Buonaparte
Lord Byron (1788 – 1824)
’tis done—but yesterday a King!
And arm’d with Kings to strive—
And now thou art a nameless thing:
So abject—yet alive!
Is this the man of thousand thrones,
Who strew’d our earth with hostile bones,
And can he thus survive?
Since he, miscalled the Morning Star,
Nor man nor fiend hath fallen so far.
Ill-minded man! why scourge thy kind
Who bow’d so low the knee?
By gazing on thyself grown blind,
Thou taught’st the rest to see.
With might unquestion’d,—power to save,—
Thine only gift hath been the grave,
To those that worshipp’d thee;
Nor till thy fall could mortals guess
Ambition’s less than littleness!
Thanks for that lesson—it will teach
To after-warriors more
Than high Philosophy can preach,
And vainly preach’d before.
That spell upon the minds of men
Breaks never to unite again,
That led them to adore
Those Pagod things of sabre sway
With fronts of brass, and feet of clay.
The triumph and the vanity,
The rapture of the strife—
The earthquake voice of Victory,
To thee the breath of life;
The sword, the sceptre, and that sway
Which man seem’d made but to obey,
Wherewith renown was rife—
All quell’d—Dark spirit! what must be
The madness of thy memory!
The Desolator desolate!
The Victor overthrown!
The Arbiter of others’ fate
A Suppliant for his own!
Is it some yet imperial hope
That with such change can calmly cope?
Or dread of death alone?
To die a prince—or live a slave—
Thy choice is most ignobly brave!
He who of old would rend the oak,
Dream’d not of the rebound:
Chain’d by the trunk he vainly broke—
Alone—how look’d he round?
Thou, in the sternness of thy strength,
An equal deed hast done at length,
And darker fate hast found:
He fell, the forest prowlers’ prey;
But thou must eat thy heart away!
The Roman, 1 when his burning heart
Was slaked with blood of Rome,
Threw down the dagger—dared depart,
In savage grandeur, home—
He dared depart in utter scorn
Of men that such a yoke had borne,
Yet left him such a doom!
His only glory was that hour
Of self-upheld abandon’d power.
The Spaniard, 2 when the lust of sway
Had lost its quickening spell,
Cast crowns for rosaries away,
An empire for a cell;
A strict accountant of his beads,
A subtle disputant on creeds,
His dotage trifled well:
Yet better had he neither known
A bigot’s shrine, nor despot’s throne.
But thou—from thy reluctant hand
The thunderbolt is wrung—
Too late thou leav’st the high command
To which thy weakness clung;
All Evil Spirit as thou art,
It is enough to grieve the heart
To see thine own unstrung;
To think that God’s fair world hath been
The footstool of a thing so mean;
And Earth hath spilt her blood for him,
Who thus can hoard his own!
And Monarchs bow’d the trembling limb,
And thank’d him for a throne!
Fair Freedom! we may hold thee dear,
When thus thy mightiest foes their fear
In humblest guise have shown.
Oh, ne’er may tyrant leave behind
A brighter name to lure mankind!
Thine evil deeds are writ in gore,
Nor written thus in vain—
Thy triumphs tell of fame no more,
Or deepen every stain:
If thou hadst died as honour dies,
Some new Napoleon might arise,
To shame the world again—
But who would soar the solar height,
To set in such a starless night?
Weigh’d in the balance, hero dust
Is vile as vulgar clay;
Thy scales, Mortality! are just
To all that pass away;
But yet methought the living great
Some higher sparks should animate,
To dazzle and dismay:
Nor deem’d Contempt could thus make mirth
Of these, the Conquerors of the earth.
And she, proud Austria’s mournful flower,
Thy still imperial bride;
How bears her breast the torturing hour?
Still clings she to thy side?
Must she too bend, must she too share
Thy late repentance, long despair,
Thou throneless Homicide?
If still she loves thee, hoard that gem,—
’Tis worth thy vanish’d diadem!
Then haste thee to thy sullen Isle,
And gaze upon the sea;
That element may meet thy smile—
It ne’er was ruled by thee!
Or trace with thine all idle hand
In loitering mood upon the sand,
That Earth is now as free!
That Corinth’s pedagogue hath now
Transferr’d his by-word to thy brow.
Thou Timour! in his captive’s cage
What thoughts will there be thine,
While brooding in thy prison’d rage?
But one—‘The world was mine!’
Unless, like he of Babylon,
All sense is with thy sceptre gone,
Life will not long confine
That spirit pour’d so widely forth—
So long obey’d—so little worth!
Or, like the thief of fire from heaven,
Wilt thou withstand the shock?
And share with him, the unforgiven,
His vulture and his rock!
Foredoom’d by God—by man accurst,
And that last act, though not thy worst,
The very Fiend’s arch mock;
He in his fall preserved his pride
And, if a mortal, had as proudly died!
There was a day—there was an hour,
While earth was Gaul’s—Gaul thine—
When that immeasurable power
Unsated to resign,
Had been an act of purer fame
Than gathers round Marengo’s name,
And gilded thy decline
Through the long twilight of all time,
Despite some passing clouds of crime.
But thou forsooth must be a king,
And don the purple vest,
As if that foolish robe could wring
Rememberance from thy breast.
Where is that faded garment? where
The gewgaws thou wert fond to wear,
The star—the string—the crest?
Vain froward child of empire! say,
Are all thy playthings snatched away?
Where may the wearied eye repose
When gazing on the Great;
Where neither guilty glory glows,
Nor despicable state?
Yes—one—the first—the last—the best—
The Cincinnatus of the West,
Whom envy dared not hate,
Bequeath’d the name of Washington,
To make man blush there was but one!