Violinkonzert
(D-Dur op. 35)
Tschaikowskys Violinkonzert gehört fraglos zu den meistgespielten Werken für Violine und Orchester und zählt neben den (ebenfalls in D-Dur stehenden) Konzerten von Beethoven und Brahms sowie dem Mendelssohn-Konzert zu den wichtigsten Repertoirewerken für Geiger.
Die Uraufführung durch Adolph Brodsky und die Wiener Philharoniker unter Hans Richter erlebte das Konzert im Wiener Musikverein und erfuhr einen der legendären Verrisse durch den strengen Wiener Kritiker Eduard Hanslik, dessen Rezension freilich nie zur Gänze sondern lediglich in sinnentstellender Verkürzung zitiert wird. Hanslick hat nicht um eine böse Pointe zu setzen behauptet, Tschaikowsky hätte Musik komponiert hat, »die man stinken hören« könne. Vielmehr paraphrasierte der Kritiker hier einen Satz aus einer zeitgenössischen kunsthistorischen Betrachtung russischer Genremalerei, von denen der Betrachter meinte, die Darstellungen sinistrer Spelunken und Branntweinbuden könne man »stinken sehen«. Hanslick hängt nun angesichts der typischen russischen Genreszene, die das Finale des Tschaikowsky-Konzerts mit seinen unverhohlenen Anklängen an russische Volkslieder und -tänze darstellt, dem Gedanken nach, ob es vergleichbar lebensnahe musikalische Schilderungen geben könne, auf die das abgewandelte Zitat dann passen könnte.
Insofern hat Tschaikowskys Musik zumindest im stürmischen letzten Satz einen unverkennbar russisch-folkloristischen Haut-gout. Und eben das macht einen Gutteil des ungebrochenen Erfolgs dieses Violinkonzerts aus - nicht zuletzt, weil es Tschaikowsky scheinbar mühelos gelungen ist, diese volkstümlichen Elemente in die perfekt bewältigte (und originell den eigenen Bedürfnissen adaptierte) klassische Konzertform zu integrieren. Auch der langsame Mittelsatz bedient sich einer unverwechselbar russischen, »zu Tode betrübten« Melodie und ist nicht von ungefähr mit dem Titel »Kanzonetta« überschrieben.
Eine der frühesten Aufnahmen des Werks ist eine der besten geblieben - und zudem dank der akustischen Renovierungsmaßnahmen durch das Team von Pristine-Audio in absolut hörenswerter technischer Beschaffenheit greifbar: Jascha Heifetz, immer unfehlbar und mit leuchtendem Ton, hat das Werk danach noch zweimal im Studio augenommen. Aber seine Einspielung mit London Philharmonic unter John Barbirolli von 1937 hat er selbst nie wieder übertreffen können. Hier musiziert er mit einer Lockerheit und Ausdruckskraft, die vom Dirigenten voll und ganz erwidert und unterstützt wird. (Pristine)
David Oistrach hat das Tschaikowsky-Konzert mit Franz Konwitschny und der Staatskapelle Dresden aufgenommen und die wohl satteste, am sinnlichsten klingende Wiedergabe auf Schallplatten gebannt. (DG)
Leuchtenden Schönklang liefert Ruggiero Ricci in seiner Aufnahme mit London Symphony unter Malcolm Sargent, eine höchst empfehlenswerte Aufnahme, die erstaunlicherweise in kaum einem »Ranking« aufscheint...
Ein Außenseiter in der Publikumsgunst, aber dank des Gefühls für den Lyrismus Tschaikowskys unbedingt hörenswert: Die Einspielung durch Alfredo Campoli und das London Symphony Orchestra unter Ataúlfo Argenta aus den frühen Fünfzigerjahren, noch in Mono. (Decca)