Emanuel CHABRIER
1841 - 1894
Alexis Emanuel Chabrier war, so scheint es im Rückblick, vor allem einmal ein Meister der gehobenen Unterhaltungsmusik im Paris der Belle Époque. Seine Opéra bouffe L'étoile, die 1877 in den Bouffes Parisiens herauskam, gilt als eine der besten französischen Operetten der Ära nach Offenbach.
Doch stand einem anhaltenden Erfolg die raffinierte, für die Musiker durchaus vertrackte Orchestrierungskunst des Komponisten entgegen.
Bei Aufführungen im Ausland, wurde Chabriers Musik deshalb oft durch Vertonungen desselben Textes durch andere Komponisten ersetzt.
Eine Wiederbesinnung auf die Qualitäten des Originals konnte erst die Initiative des Dirigenten John Eliot Gardiner bewirken, der in Lyon eine Neuproduktion einstudierte, die auch für CD mitgeschnitten wurde. (Erato)
→ Le roi malgré lui (»Der König wider Willen«, 1886, Opéra-Comique) hätte als feingeschliffene musikalische Komödie einen Versuch verdient.
Wirklich populär wurden aus der Werkstatt dieses Komponisten nur seine beschwingten Orchesterwerke, allen voran die Rhapsodie España (1883) und Marche Joyeuse.
Auch für die Orchesterwerke Chabriers hat sich Gardiner engagiert und für Deutsche Grammophon Aufnahmen mit den Wiener Philharmonikern gemacht.
Versuche im »ernsten« Genre, etwa mit Symphonik oder Kammermusik hat Chabrier nicht unternommen. Dafür gibt es spritzige Klaviermusik, deren Tonfall für die Komponisten der anti-avantgardistischen »Les Six« vorbildhaft werden sollte.
Am frechen Duktus eines Stücks wie Bourré Fantasque I hat Francis Poulenc später mehr als einmal Maß genommen...
Die Bourré und andere Klaviermusik Chabriers hat unter anderem der Pianist Claudio Colombo auf seinem eigenen Label aufgenommen.
Chabriers wahres Gesicht
Spätestens hier beginnt der Hörer nun zu zögern: Vielleicht steckt hinter diesem »Meister der Unterhaltungsmusik« doch ein wenig mehr?
Ein Blick in die Geschichte lehrt: Emanuel Chabrier war zu Lebzeiten einer der meistdiskutierten Opernkomponisten seiner Generation. Interessanterweise weniger in seiner Heimat Frankreich als in Deutschland, wo man seine → Gwendoline und den König wider Willen häufiger gab als »daheim«.
Wagner und Frankreich
Das mag daran liegen, daß Chabrier ein Wagnerianer der ersten Stunde war - er war Zeuge der mißglückten Tannhäuser-Premiere in Paris und schrieb die Partitur dieses Werks eigenhändig ab, um sich an Wagners Instrumentationskunst zu schulen.
Die eigentliche Initialzündung für Chabrier war freilich das Erlebnis Tristan und Isolde. Die Erstbegegnung mit diesem Werk ließ den Staatsbeamten seinen Beruf an den Nagel hängen und seiner Berufung nachgehen. Mit seiner Oper → Gwendoline wollte er beweisen, daß sich die französische Oper nach wagnerischen Stilprinzipien revolutionieren lassen müßte.
Auch wenn diese Rechnung nicht aufging: Chabriers Wagner-Begeisterung wirkte subkutan auf die französische Musikkultur! Daß die Meister des französischen Impressionismus, Debussy und Ravel, später aber auch Igor Strawinsky die Musik Chabriers schätzten, wird denn auch meist schamhaft verschwiegen.
Immerhin stand niemand Geringerer als Felix Mottl am Dirigentenpult, als Gwendoline am 30. Mai 1889 in Karlsruhe zur Uraufführung kam. Das Werk wurde in Deutschland dann innerhalb der folgenden beiden Spielzeiten auch in Dresden, Leipzig, München, Stuttgart und Düsseldorf einstudiert. In München stand mit Hermann Levi ein weiterer Wagner-Papst am Pult!
Mottl dirigierte im März 1890, also nicht einmal ein Jahr nach dem Erfolg mit Gwendoline die deutsche Erstaufführung des Königs wider Willen in Karlsruhe.
Cosima Wagners Urteil
In einem Brief an Richard Strauss gibt sich Richard Wagners Witwe gnädig über die Musik des Franzosen. Zur Uraufführung von Gwendoline meinte sie, das Stück
... schien mir zu jenen schlechten Werken zu gehören, in welchen Talent steckt, es ist sehr Hans in allen Gassen - um das Wort eklektisch zu vermeiden - erinnert an Gounod, an Meyerbeer, vornehmlich aber an die symphonischen Dichtungen und endigt wie unvermeidlich tristanisierend. Ich bin aber überzeugt, daß die nächsten Produkte desselben Autors bedeutend besser sein werden, denn bei allen Entlehnungen war doe Originalität und selbst Naivität wahrzunehmen.
Tatsächlich lud Cosima den glühenden Wagnerianer Chabrier im Sommer nach der Gwendoline-Uraufführung nach Bayreuth und der Geehrte durfte in Wahnfried das Vorspiel zu seiner Oper und die schon damals populäre Tondichtung Espana vorführen. Eine allerdings bemerkenswerte Vorstellung: Die spanischen Rhythmen in Villa Wahnfried, auf Wagners Flügel produziert von einem Mann, den ein deutscher Musikkritiker einmal mit folgenden Worten charakterisiert hat:
Das Urbild des »Bonhomme« aus der Auvergne, eine originelle Mischung aus hemdsärmeligem Provinzler und geistreichem Boulevardier, aus grundsolidem Bourgeois und witzsprühendem Clown.
Felix Mottl schrieb nach der Premiere des Königs wider Willen an Cosima:
Die Oper gewinnt doch sehr, wenn sie in das Rampenlicht gerückt wird ... Chabrier wurde in einer geradezu großartigen, demonstrativen Weise gefeiert, was ihn sehr glücklich machte ... Eines steht fest: der Mann hat vie, sehr viel Talent und wenn man unsere armseligen deutschen Notenschmierer betrachtet, so kommt einem so einer ganz groß vor dagegen!
Cosima hörte wenig später den König wider Willen in Dresden unter Ernst von Schuch und antwortete Mottl ungnädig:
Das ist nun von A bis Z Schund! ... Wozu Chabrier nach Bayreuth gekommen ist, bleibt wohl ein Rätsel. ... Wenn »Gwendoline« schlecht, so ist das scheußlich. ... Die Aufführung war gut ... Aber kein Vortrag der Welt kann diese niedrigste Café-chantant-Trivialität auch nur einen Augenblick vertuschen. Sie dringt zu einem in bestialischer Weise.
Im Dezember 1890 gibt es noch einen Chabrier-Nachschlag Cosimas an Richard Strauss, bei dem Chabrier davon profitiert, daß sich die Wagner-Witwe von einem anderen Franzosen, Jules Massenet, noch viel ärger provoziert fühlte:
Ich fand München in Aufruhr wegen »Gewndoline«, welche ich - nach der schauderhaften Manon weniger schlecht, wenn auch noch schlimm genug als in Karlsruhe fand.
Richard Strauss selbst sah die Dinge freilich differenzierter und schreibt über Gwendoline an seinen Vater:
Man sah wohl, daß Chabrier viel die Wagnerschen Partituren studiert hat, aber ohne Kenntnis der deutschen Sprache, ohne selche man Wagner nur äußerlich erfassen kann. Und das ist dann eingetreten: Ein schlechtes, uninteressantes Textbuch und dazu die raffinierteste Musik, alles Trsitanstil, ohne Unterschied, ober auch jedesmal paßte. Dabei musikalisch viel Talent, wundervoll orchestriert, aber äußerlich nachgeahmter Wagner.
Als frisch bestallter Kapellmeister in Berlin setzte Strauss immerhin posthum Chabriers Fragment Briséis aufs Programm, ein Werk, von dem der Komponist nur einen Akt vollendet hat, das aber dem Kollegen Strauss, wie er in einem Brief an Romain Rolland bekannte, sehr viel Freude bereitet hat. Seinen Eltern berichtete Strauss nach der Berliner Aufführung, Chabriers Partitur, enthalte sehr viel gepfefferte französische Musik.
In seinen symphonischen Konzerten präsentierte er Chabriers Marche joyeuse.