Violinkonzert op. 77
Johannes Brahms
Mitte der Siebzigerjahre waren die Wintermonate für Johannes Brahms in der Regel für Konzerttourneen reserviert. Im Sommer wurde komponiert, und zwar in idyllischer Umgebung. Die Sommermonate 1878 brachte Brahms in Pörtschach am Wörthersee zu, wo ihm, wie er selbst meinte, für sein Violinkonzert »die Melodien ihm nur so zuflogen«.
Das Werk entstand für den Freund und Wegbegleiter Joseph Joachim. Und wenn gern behauptet wird, daß Brahms' Konzert nicht ohne das Vorbild Beethovens denkbar gewesen wäre, dann sollte mit bedacht werden, daß es Joachim war, der dieses Vorbild-Werk der Vergessenheit entrissen hat; und zwar erst kurz bevor Brahms mit der Arbeit an seinem Violinkonzert begann. Beethovens Konzert war, was angesichts seiner heutigen Omnipräsenz unglaublich scheint, bei seiner Uraufführung - wohl auch wegen mangelnder Probenvorarbeit - ein Mißerfolg und wurde zu Beethovens Lebzeiten kaum noch beachtet, führte auch danach ein Schattendasein.
Mit seiner Wiederauferstehung, die nicht zuletzt Joachims Engagement zu verdanken war, bekam es dann bald ein Schwesterstück zur Seite gesellt. Brahms' Violinkonzert galt vom ersten Moment an als absolut ebenbürtiges Werk. Es hat diesen Status in den Augen und Ohren der Musikwelt bis heute nicht verloren.
Für Brahms war Joachim in der Entstehungszeit insofern auch bedeutsam, als er beratend zur Seite stand, den Violinparte redigierte und an etlichen Stellen darum bat, die Orchesterbegleitung schlanker klingen zu lassen.
Ursprüngliche Entwürfe sahen für das Violinkonzert vier Sätze vor: An zweiter Stelle sollte ein Scherzo stehen, doch ließ Brahms diesen Plan fallen und realisierte ihn erst im → Zweiten Klavierkonzert, zu dem erste Entwürfe ebenfalls bereits im Pörtschacher Sommer entstanden, jedoch zugunsten des Violinkonzerts beiseite gelegt wurden.
Wie das Zweite Klavierkonzert ist auch das Violinkonzert grundsätzlich lyrisch getönt und hebt sich damit vom stürmischen Ton des früheren d-Moll-Klavierkonzerts deutlich ab. Am ehesten verwandt ist das Werk noch mit der im folgenden Jahr ebenfalls in Pörtschach entstandenen → Zweiten Symphonie, die in derselben Tonart, D-Dur, steht. Schon das ruhig und unisono vorgetragene Hauptthema des einleitenden Allegro non troppo scheint den Tonfall des Ganzen festzulegen.