Klavierkonzert Nr. 2
Johannes Brahms
Die ersten Entwürfe für seinZweites Klavierkonzert brachte Johannes Brahms am Abend seines 45. Geburtstages, dem 7. Mai 1878 zu Papier, kurz nach der Rückkehr von seiner Italienreise mit seinem Freund, dem Wiener Mediziner Theodor Billroth. Die Skizzen legte der Komponist aber rasch zur Seite. Erst 1881 - nach einer weiteren Italien-Reise - wandte er sich dem Konzert wieder zu und vollendete es im Juli und brachte es am 9. November in Budapest zur Uraufführung. Er selbst spielte den Solopart und saß auch kurz darauf bei der ersten Aufführung in Deutschland unter der Leitung von Hans von Bülow in Meiningen am Flügel.Im Vorfeld meinte der Untertreibungskünstler in einem Brief an seine Freundin Elisabeth von Herzogenberg:
Erzählen will ich, daß ich ein ganz ein kleines Klavierkonzert geschrieben habe mit einem ganz einem kleinen zarten Scherzo.Dieses »kleine« Konzert ist tatsächlich eines der umfangreichsten Klavierkonzerte des gesamten Repertoires, es besteht ungewöhnlicherweise auch aus vier Sätzen. Schon für das Violinkonzert hatte Brahms ursprünglich einen Scherzo-Satz vorgesehen, eine Idee, die er später verwarf.
Der lyrische Grundzug, der bereits im verträumten Hornruf des ersten Satzbeginns offenbar wird, unterscheidet das B-Dur-Konzert von seinem dramatisch aufbegehrenden Schwesterstück in d-Moll. Die Antwort, die das Klavier dem Hornthema gibt, scheint eine improvisatorische, die Harmonie unterstützende Begleitgeste zu sein - ist in Wahrheit aber eine rhapsodische, fantasievoll verbrämte Version desselben Motivs, eines der unzähligen Beispiele für Brahms' konzentrierte thematische Arbeit, die auch unscheinbare Details stets auf verbindende (verbindliche) motivische Wurzeln zurückführt.
Die Oktav- Sexten- und Terzenparallelen sind heikel, für beide Hände extrem anspruchsvolle, aber alles andere als vordergündig wirkungsvolle Show-Elemente.
Auf das d-Moll-Scherzo folgt ein Andante in der Grundtonart des Konzerts, im ruhig strömenden 6/4-Takt, von einem lyerisc-ausdrucksstarken Cellosolo getragen. Die Melodie hatte es Brahms' angetan, er verwendete sie später noch einmal in seiner einige Jahre später in seiner Liedvertonung von Hermann Linggs sehnsuchtsvollem Gedicht »Immer leiser wird mein Schlummer« (op. 105/2) Im Klavierkonzert antworten heftig-dramatische Aufwallungen auf die ruhigen Klänge, ehe es in der Reprise der Eingangsmelodie zu einer aparten Mischung zwischen der Klavierstimme und den beiden Klarinetten kommt - ein Effekt, der für Kenner wie ein Echo einer entsprechenen Passagen in Franz Liszts Es-Dur-Klavierkonzert klingt (eine Assoziation, die sich beim skeptischen Brahms gewiß nur unbewußt eingestellt haben kann!)
Ganz duftig und leicht hebt das Finale an, das es auf Grund seines dichten Satzes den Interpreten nicht leicht macht, diesen Leggiero-Ton durchwegs festzuhalten; allzu leicht verlocken die schwermütig magyarischen Moll-Passagen, die sich - wie sooft bei Brahms - zwischendurch einstellen, zu einer behäbigeren Gangart. Nicht nur das macht Brahms' Zweites zu einem heiklen interpretatorischen Balanceakt.
Interpretationen
»Ein zweites soll schon anders lauten« - so hatte Brahms seiner Freundin Clara Schumann nach Veröffentlichung seines → d-Moll-Klavierkonzerts beschieden. Tatsächlich lautet das B-Dur-Konzert dann »anders«, ganz anders als das symphonisch aufbrausende Erste.Dennoch laufen Interpreten auch bei diesem in Preßbaum bei Wien vollendeten Werk Gefahr, sich in allzu kraftvoller Diktion über den Text herzumachen. Die Balance zwischen dem offenkundig beabsichtigten »leichteren« Tonfall und den doch immer wieder sich verdichtenden Klangballungen in den Durchführungspassagen ist schwer zu finden.
Ältere Interpretationen virtuosen Zuschnitts werden daher gern zu laut und zu schwer über dieser Partitur. Jüngere, die sich so behutsam, wie es das technische Vermögen erlaubt, auch um die geforderten Pianissimi sorgen, verpassen die Dramatik, oft auch den nötigen Tiefgang - etwa im Andante - für den es in sachlichen Zeiten schon wieder Mut braucht.
In diesem Sinne sollten Brahms-Freunde jedenfalls eine Aufnahme wie jene von Edwin Fischer und den Berliner Philharmonikern unter Wilhelm Furtwängler (1942) gehört haben, die vor allem im langsamen Satz vom Beginn des Cellosolos an eine Verinnerlichung fühlen läßt, die immer rar gewesen istund mittlerweile ziemlich ausgestorben zu sein scheint. An dieser Aufnahme ist auch das Scherzo ungewöhnlich: Mit diesem ungewöhnlichen Satz, den Brahms als Anleihe an der symphonischen Form ins Konzert einschummelt, haben die Interpreten meist ihre liebe Not. Bärbeißig und klobig soll die Musik im Umfeld der anderen Sätze wohl nicht klingen, andererseits geht der dramatische Atem verloren, wenn man die Musik allzu zaghaft angreift: Furtwängler putscht das Geschehen gegen Schluß dieses zweiten Satzes atemberaubend auf - und schafft so die nötige dramaturgische Fallhöhe für das Folgende.
Man muß lange suchen, um - die (auch pianistisch-) technischen Imponderabilien dieser Liveaufnahme einmal beseite gelassen - in der Aufnahmegeschichte dieses Werks solcher inhaltlichen Verdichtung wieder zu begegnen.
Einen bemerkenswerten Versuch, vor allem im Finale der Vortragsbezeichnis »Allegretto grazioso« gerecht zu werden, starteten Anfang der Fünfzigerjahre Myra Hess und Bruno Walter mit New York Philharmonic - da geht das eine oder andere Detail schief (was im Prinzip für sämtliche Liveaufnahmen dieses Werks gilt), aber insgesamt kommt die Musik über weite Strecken geradezu auf Zehenspitzen daher, die Solistin agiert wie eine Ballerina und bleibt in den heiklen Oktaven und Terzparallelen erstaunlich eloquent.