Die Londoner Symphonien
1791 - 1795
Der Tod des Fürsten Nikolaus Esterházy markierte eine Zäsur in Joseph Haydns Leben. Nachfolger Paul Anton II. legte keinen Wert auf eine große kulturelle Prachtentfaltung, entließ die Kapelle und gab seinem Hofkapellmeister jede Freiheit. Zwar blieb Haydn nominell in fürstlichen Diensten - man schmückte sich gern mit seinem Namen, der mittlerweile weltweit ein Begriff war. Doch mußte der berühmteste aller Komponisten nur noch einmal pro Jahr eine Messe für den Gottesdienst zum Namenstag der Fürstin schreiben.
Er hatte also Zeit - und auch den Mut! - die Einladung anzunehmen, die ihn nach London führte. Fürst Kaunitz gab dem hochgeschätzten Meister ein Empfehlungsschreiben an den österreichischen Gesandten, den Grafen Stadion, mit auf den Weg.
Hochgeborner Reichsgraf!
Der fürstlich Esterhazische Kapellmeister und allgemein berühmte Compositor Herr Josef Haiden hat einen Ruf nach London erhalten, und wird durch einige Zeit daselbst verbleiben. Vor seiner Abreise hat er mich um ein Empfehlungsschreiben an Eure Hochgeboren ersucht, welches ich ihm mit so größerem Vergnügen ertheile, je mehr dieser Mann von ganz besonderen Talenten und den schätzbarsten, persönlichen Eigenschaften der vorzüglichsten Empfehlung würdig ist. Eure Hochgebohren wollen ihm daher bestens an Hand gehen, und alle thunliche wirksame Beförderung angedeihen lassen.
Ich verharre mit vollkommener Hochachtung
Eure Hochgeboren
schuldiger Diener Kaunitz R.
Wien den 13. Dezember 1796
An Herrn Grafen Stadion
In London empfing man den Komponisten auch ganz ohne Empfehlung als absoluten Herrscher der Musik. Haydns Briefe an seine Freundin, Marianne von Genzinger, sind vielsagend:
meine anckunft verursachte grosses aufsehen durch die ganze stadt durch 3 Tag wurd ich in allen zeitungen herumgetragen: jederman ist begierig mich zu kennen. Ich muste schon 6 mahl ausspeisen, und könnte wenn ich wollte täglich eingeladen seyn, allein ich mus erstens auf meine Gesundheit, und 2tens auf meine arbeith sehen. ich nehme außer den Milords bis nachmittag um 2 uhr keine visite an, um 4 uhr speis ich zu Haus mit Mon. Salomon.
Der Empfang in England sei alles in allem höchst schmeichelhaft für ihn ausgefallen. Zum Komponieren blieb dem Meister freilich kaum Zeit - auftragsgemäß hätte er ja nicht nur Symphonien, sondern auch eine Oper zu schreiben gehabt, deren Libretto aber noch gar nicht feststand:
... wünschte ich mir auf eine zeit nach wienn fliehen zu könen um mehrere ruhe zur arbeith zu haben, dan der lärm auf denen gassen von dem allgemeinen verschiedenen Verkaufs Volck ist unausstehlich. ich arbeite zwar jezo noch in sinfonien, weil das opera büchl noch nicht entschieen ist ich werde aber um mehr ruhe zu haben mir ein Zimmer weit von der stadt miethen müssen.
Das englische Musikleben
Das Musikleben in der englischen Metropole war höchst vielseitig. Was Haydn vorfand, läßt sich aus einer Saison-Vorschau ablesen, die der Morning Chronlicle Ende Dezember 1791 publizierte. Musik wurde damals in London erst im Winter gemacht. Der Herbst galt als Jahreszeit der Erholung auf dem Lande und des Sports.
The musical arrangements now making promise a most harmonious winter. Besides two rival opera houses, a Concert is planned under the auspices of Haydn, whose name is a tower of strength, and to whom the amateurs of instrumental music look up as the god of the science. Of this concert Salomon is to be the leader, and Mad. Mara the principal singer.
The professional concert under the able conduct of Cramer, is to be reinforced by Mrs. Billington, assisted occasionally by M. and Mrs. Harrison.
The Ancient concert under the patronage of their Majesties will continue soon after the Queen's Birth-day, with Cramer as their leader and Storace as the principal singer. The Ladies subcription concert is to be continued as usual on the Sunday evenings by permission (we hope) of his Grace the Archbishop of Canterbury.
There will be Oratorios twice a week, at the Theatres of Drury-Lane and Covent-garden during Lent.
These with the Academy of Ancient Music will constitute the principal public musical entertainments of the winter.
Bereits am 6. Jänner besuchte Haydn eines der Konzerte der Academy of Ancient Music in Free Mason's Hall, bei denen sein Impresario Salomon als Konzertmeister fungierte.
Schon am folgenden Abend lud man ihn zu einem Liebhaberkonzert und am 12. vertraute Haydn seinem Tagebuch an, spielte man eine seiner Symphonien anläßlich einer Zusammenkunft der Anacreontic Society.
Auf dem Hofball am 18. Jänner war Haydn zugegen - und der Prince of Wales verbeugte sich achtungsvoll vor dem weltbekannten Komponisten; eine ungewöhnliche Geste, die sich wie ein Lauffeuer in der großen Gesellschaft Englands herumsprach.
Konkurrenzkämpfe
Doch ausgerechnet der Königshof machte Haydn und seinem Impresario Salomon einen Strich durch die Rechnung: Der Tenor, den Salomon für das erste der mit Haydn avisierten Abonnementkonzerte engagiert hatte, war bei den Aufführungen im königlichen Theater unabkömmlich. Daher mußte das erste der Haydn-Konzerte mehrmals verschoben werden.
Das gab der Konkurrenz Auftrieb: The professional concert unter der Leitung von Cramer hatte sich vorgenommen, durch die Verpflichtung von Ignaz Pleyel, Haydns Schüler, eine qualitativ hochwertige Gegenveranstaltung zu etablieren.
Höflicherweise übermittelte man Haydn Ehrenkarten für das erste der Konzerte, das nun vor seinem Debüt stattfand; und man setzte sogar Haydn-Werke aufs Programm.
Der Komponist ließ sich nicht irritieren, lobte die Aufführungen sehr und beschied den Veranstaltern sogar, noch nie eines seiner Werke in so vollendeter Weise interpretiert gehört zu haben.
Da auch Pleyel gar kein Interesse daran hatte, seinen Lehrer zu brüskieren, fand die englische Gesellschaft zwei einige österreichische Komponisten in ihrer Residenzstadt - und daß Haydn letztendlich die Siegespalme zustand, daran bestand in diesem friedlichen Wettstreit bald kein Zweifel mehr.
Ariadne auf Naxos
Das erste Werk Haydns, das in London in diesen Tagen Furore machte, war keine der Londoner Symphonien, sondern die Kantate Arianna a Naxos, deren Erstaufführung in den Ladie's Concerts am 18. Februar 1791 Haydn selbst am Klavier begleitete.
300 Musiker für eine Symphonie
Die Kantate war sogleich eines der Modestücke im Repertoire der englischen Amateur-Musiker und erklang öffentlich schon sechs Tage nach der Aufführung in den Ladie's Concerts anläßlich eines Konzerts des »New Musical Found« im Pantheon - begleitet von einem Orchester aus 300 Spielern! Bei dieser Gelegenheit erklang auch eine der älteren Symphonien Haydns - soviel nur zur Diskussion über die Größe der Orchester in jener Epoche.
Das erste Konzert
Am 11. März war es dann so weit: Das erste der - jeweils für Freitag, acht Uhr abends programmierten - Haydn-Konzerte konnte stattfinden. Der Komponist hatte sich ausbedungen, daß die eigens dafür komponierte neue Symphonie erst als erste Nummer nach der Pause an die Reihe kommen sollte.
Der Programmzettel nannte folgende Werke:
Part First.Overture..........Rosetti Song, Signor Tajana. Concerto Oboe, Mr. Harrington. Song, Signora Storace. Concerto Violin, Madame Gautherot. Recitative e Aria, Signor David.
Part Second.
New Grand Overture...... Haydn Recitative e Aria, Signora Storace. Concertante Pedal Harp and Piano Forte, Mad. Krumpholtz and Mr. Dusseck. Rondo, Signor David. Full Piece, Kozeluch. Mr. Haydn will be at the Harpsichord.
Leader of the Band, Mr. Salomon.
Tickets transferable, as usuel, Ladies to Ladies, and Gentlemen to Gentlemen only.
The Ladies' tickets are Green, the Gentlemen's Black.
The Door in the Square is for Chairs only
Bei der »New Grand Ouverture« handelte es sich um die erste der Londoner Uraufführungen. Jüngsten Forschungen zufolge, dürfte es sich um die im Hobokenkverzeichnist mit der → Nummer 96 gelistete D-Dur-Symphonie (»The Miracle«) gehandelt haben.
Bei den folgenden Abonnementkonzerten mußte meist eine der neuen Symphonien auf allgemeines Verlangen erneut ins Programm genommen werden. Die zweiten Sätze der Novitäten wurden in der Regel da capo verlangt. Und am 16. Mai konnte Haydn, wie vertraglich mit Salomon vereinbart, ein Benefizkonzert ankündigen, dessen Einnahmen ihm zur Gänze zustanden - sie betrugen 350 Pfund, um 150 Pfund mehr als ursprünglich vermutet (und eine Summe, die ein behagliches Leben für vier bis fünf Jahre garantiert hätte...
Ähnliche Überlegungen könnte Haydn in jenen Tagen angestellt haben, als ein Schreiben des Fürsten Esterházy in seine Londoner Idylle platzte: Der Hofmusicus hätte sich sofort wieder in Esterháza einzufinden und daselbst für anstehende Feierlichkeiten eine Oper abzuliefern. Das war nun schlechterdings ein Ding der Unmöglichkeit.
Allein, der Fürst zeigte sich gnädig, das erwartete Entlassungsschreiben blieb aus - und Haydn noch eine Zeitlang in England.
Daß Tratsch und Klatsch in Wien nicht nur Vorteilhaftes über seine Londoner Erfolge verbreiteten, daß angeblich sogar Mozart sich abschätzig geäußert haben soll, trug man Haydn brieflich zu.
Er nahm das gelassen und schrieb an seine Freunding Marianne von Genzinger
allein ich kan es nicht glauben, daß Mozart mich sehr herabsezen solte, ich verzeihe es Ihm. Daß ich auch in London eine menge Neyder hab, ist ganz gewiß, und ich kenne sie beynahe alle. Die meisten davon sind wellsche, allein sie können mir nicht nahe kommen, weil mein Credit bei dem Volk schon vor viellen Jahren festgesezt war, seynd Euer gnaden versichert, daß wen ich den gehörigen beyfall nicht erhalten hätte, ich schon längst nach Wien zurückgereiset wäre, außer den Professoren bin ich von jederman geschätzt und geliebt, wegen der belohnung soll Mozart zum grafen v. Fries, um sich dessen zu Erkundigen gehen, bei welchem ich 500 Pfd, und bey meinem Fürsten 1000 gulden, zusammen beynahe 6000 fl anlegte.