Symphonie Nr. 62 D-Dur
1777/80
Uraufführungsort: Theater Esterháza
Allegro Allegretto Menuetto. Allegretto Allegro
Theatralisch grundierte Symphonik
Haydns Symphonien der späten Siebzigerjahre werfen oftmals ein Licht auf seine Tätigkeit als Theaterkapellmeister: Er war künstlerischer Leiter des fürstlichen Opernhauses, sorgte aber auch für die musikalische Untermalung der Aufführungen des europaweit berühmten Marionettentheaters, wo die Aufführungen in deutscher Sprache gesungen wurden.Auch die unter Nummer 62 geführte D-Dur-Symphonie ist ein Beispiel für Konzertmusik eines Theater-Praktikers. Das Werk entstand vermutlich 1779/1780, dürfte jedenfalls eine der frühesten Kompositionen sein, die nach der verheerenden Feuersbrunst in Esterhaza entstanden. Doch greift der Komponist für den ersten Satz auf eine Opern-Ouvertüre aus dem Jahr 1777 zurück, eine Ouvertüre nota bene, die er bei Aufführungen der Symphonie Nr. 53 (»L'Imperiale«) bereits als Schlußsatz verwendet hatte, später aber durch eine Neukomposition austauschte.
Allerlei Überraschungseffekte
Nun also erneut die Ouvertüre, die auch als Einzelwerk publiziert worden ist (Hob. Ia/7), diesmal aber als Kopfsatz. Der Effekt dieses Stücks, das ungewöhnlich genug bereits mit einem fünftaktigen (!) Thema anhebt, war enorm, immerhin notierte sich Mozart später den Beginn des Allegros, vielleicht in der Absicht, das Werk in einem seiner Konzerte aufzuführen. Die Theatralik ist nicht zu leugnen: Schon das Seitenthema des ersten Allegros nimmt sich nach Primadonnenart aus wie eine veritable »Arie« inklusive Eineinhalb-Oktavensprung samt Kadenz-Triller. Die Durchführung treibt das »Drama« dann mittels eines harmonischen Verwirrspiels auf die Spitze: Man verirrt sich in die exotische Tonart Cis-Dur, das Geschehen kommt mit einem Mal völlig zum Stillstand, ehe über tollkühne Modulations-Sprünge die Reprise erreicht wird.Eine dramatische Szene für den Konzertsaal stellt wohl auch das Allegretto dar, das zunächst anhebt wie der Versuch eines Liedes über einer simplen Begleitfigur. Doch just diese scheinbare Begleitfigur macht sich bald selbständig und treibt die erstaunlichsten Blüten. Haydn schreibt hier wie ein Märchenerzähler eine traumwandlerische Musik, deren Fortgang kaum je vorhersehbar ist. Von Takt zu Takt können Überraschungen eintreten.
Das Menuett gibt sich demgegenüber diesseitig galant, repräsentativ und kraftstrotzend während im kontrastiernden Trio (G-Dur) Fagott und Violinen eine durch ständige Betonungen des dritten Viertels behäbig akzentuierte, bäuerliche Tanzmelodie singen.
Geradezu geheimnisvoll nimmt sich nach der festlichen Menuett-Reprise der im Piano gehaltene Beginn des Finalsatzes aus. Er scheint zunächst in die falsche Tonart auszuweichen, ehe im Forte das Thema »richtig« einsetzt. Mozart wird einen ähnlichen Überraschungscoup in seiner »Pariser Symphonie« nutzen, Beethoven die harmonische Struktur für den - allseits als höchst originell und überraschend bewerteten - Beginn seiner Ersten Symphonie. Was die erstaunlichen Volten betrifft, gibt Haydn seinen Nachfolgern hier einige brisante Beispiele. Der Finalsatz setzt die fantasievolle Erzählstruktur des Symphoniebeginns jedenfalls bis zuletzt fort.