Die Orchester-Suiten (Ouvertüren)


Bachs Unterhaltungsmusik

Johann Sebatian Bachs Orchestersuiten, auch »Ouvertüren« genannt, nehmen die französische Ouvertürenform auf, die schon vor 1700 mit einzelnen Aufführungen von Tragédies lyriques aus der Werkstatt Jean Baptiste Lullys nach Deutschland gelantg war. Die gewichtigen langsamen Einleitungen, gefolgt von fugierten Allegro-Sätzen sind das prägende Element – und von Bach in allen vier seiner Orchestersuiten übernommen worden.

In deutschen Landen war man bestens informiert über die höfischen Gepflogenheiten in Versailles. Die Tanz-Mode verbreitete sich rasch. Johann Sebastian Bach ist schon als Schüler mit Allemanden und Courranten in Berührung gekommen, denn am Gymnasium im Michaeliskloster von Lüneburg unterrichtete ein Tanzlehrer, Thomas de la Selle, der selbst bei Lully gelernt hatte. Die jungen Herren am Gymnasium wurden mit den franzöischen Tänzen und allen dazugehörigen Stilfragen vertraut.

Musik fürs Kaffeehaus

Die vier Suiten für Orchester entstanden vermutlich zwischen 1723 und 1739 in Leipzig, wo der Thomaskantor Bach keineswegs nur mit der Arbeit an geistlicher Musik beschäftigt war. Im Zimmermannschen Kaffeehaus wurde von Bachs studentischem Collegium Musicum auch zur Unterhaltung der Gäste musiziert. Auf welch enormem Niveau, kann man an jedem einzelnen der Tanzsätze und den vier großen Ouvertüren studieren, die ihnen vorangehen: Elegance und subtile kontrapunktische Kunstfertigkeit scheinen aufs selbstverständlichste miteinander vereint.

Die Suiten Nr. 1 - 4

Die C-Dur-Suite hält sich an die verbreitete Folge französischer Tanzsätze, auf die Ouvertüre folgt eine Courante sowie je zwei Gavotten, Menuette und Passepieds.

Die Suite in h-Moll ist ein verkapptes Flötenkonzert, die Sarabande lebt vom kunstvollen imitatorischen Spiel zwischen der Melodie- und der Baßlinie. in der Polonaise tauschen Ober und Unterstimme im »doppelte Kontrapunkt« die Rollen. Die spritzige »Spielerei« zuletzt, (Badinerie) gehört zu Bachs meistgespielten und –arrangierten Eingebungen.
Ebenso wie die Air aus der Suite BWV 1068, die tatsächlich die Vorlage manchen melodischen Versuches späterer Generationen bildet; ohne daß ein Nachahmer Bachs Geschmeidigkeit erreicht hätte . . .
Mit Pauken und Trompeten wartete auch die vierte, ebenfalls in D-Dur stehende Suite auf, die in gewisser Hinsicht die dramaturgische Anlage des Schwesterstücks (BWV 1068) spiegelt: Werden dort die Tanzsätze nach und nach rascher, verlangsamt sich das Tempo hier zusehends. Die Suite schließt nach zündenden Bourrée- und Gavotte-Rhythmen sowie einem höflichen Menuett mit einer prachtvoll-repräsentativen »Rejouissance« (eine Gattungsbezeichnung, die uns in Händels Feuerwerksmusik wiederbegegnet.


Aufnahmen

Ganz vergessen waren die geistreichen Stücke nie, Gustav Mahler hat für Konzertzwecke in Wien eine »Suite aus den Suiten« zusammengestellt, um wechselnde Tonarten innerhalb seiner Spielfolge zuzulassen. Sie kam auch in philharmonischen Konzerten in Wien unter seiner Leitung zur Aufführung.

Ein Eigenleben in unzähligen Arrangements führte die Air aus der Dritten Suite; und Flötisten liebten seit jeher die h-Moll-Suite, weil sie ihnen Gelegenheit zu brillanten Soli samt einem virtuosen Finale bietet.

Die Suiten Nr. 1 und 2 hingegen gerieten erst gegen Ende des XX. Jahrhunderts mit dem Heraufdämmern der Originalklangpraktiker ins Blickfeld.

Nikolaus Harnoncourts exzellente, zweite Gesamtaufnahme der vier Suiten, aufgenommen 1983, aus den Pionierjahren der Ditigaltechnik, aber bei bereits ausgefeilter Spieltechnik der »Originalklang-Pioniere« des Concentus musicus besticht nach wie vor durch Frische und Eloquenz. (Teldec)

Eine besonders gelungene, allerdings nur von Zeit zu Zeit in neuen Auflagen greifbare Aufnahme gelang Hans Martin Linde mit seinem Consort (für EMI), wohlinformiert in Sachen historischer Aufführungspraxis, aber niemals trocken und gelehrt, sondern spritzig und voll Elan.
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