Kein bißchen müde

Wolfgang Wagner denkt nicht daran, das Steuer in Bayreuth zu verlassen und verblüfft seine Gegner mit immer neuen Überraschungen.

26. Juli 2003
Freitag abend wurden die Bayreuther Festspiele eröffnet. Die 2242. Aufführung seit der Gründung 1876 galt dem "Fliegenden Holländer" (Kritik folgt am Montag) und, wie üblich, war einige Prominenz, so Sloweniens Staatspräsident und EU-Kommissar Verheugen, angesagt, um an Hausherr Wolfgang Wagner, seiner Frau Gudrun und Tochter Katharina vorbei ins Festspielhaus zu pilgern.

Bayreuth ist ausgebucht wie kein anderes Festival. Zuletzt waren es etwa acht Jahre, die man ohne Unterbrechung, Jahr für Jahr, schriftlich bestellen musste. Heuer sind die Karten bereits zehnfach überzeichnet. Dieser Zuspruch widerspricht der in der deutschen Presse immer wieder lancierten Unzufriedenheit mit der Festspielleitung. Seit Jahren versuchen Vertreter der deutschen Kulturpolitik, den Komponisten-Enkel auszuhebeln.
Zuletzt designierte man seine Tochter aus erster Ehe, Eva Wagner, zur Nachfolgerin. Aber der Papa dachte nicht daran, seinem Kind Platz zu machen. Viel eher favorisiert er seine erst knapp über zwanzigjährige Tochter Katharina. Sie inszenierte 2002 in Würzburg den "Holländer", wird demnächst in Budapest Regie führen. Als Assistentin hat sie bei Bayreuther Inszenierungen ihres Vaters ("Meistersinger") und bei Harry Kupfer in Berlin gelernt.

Sie könnte also die Wagner-Tradition in vierter Generation fortsetzen. Immerhin waren in Bayreuth nach Richard Wagner dessen Frau Cosima, der komponierende Sohn Siegfried und vor allem die Enkel Wieland und Wolfgang künstlerisch führend. Vor allem Wieland war, wie seine viel diskutierten, allen romantischen Bühnenzauber entrümpelnden Arbeiten bewiesen, eine prägende Theater-Gestalt des 20. Jahrhunderts.
Sein früher Tod zwang Bruder Wolfgang Mitte der sechziger Jahre, erstmals "Fremdregisseure" ins Festspielhaus zu holen. Nach August Everding, Harry Kupfer und Götz Friedrich kam 1976 zur 100-Jahr-Feier der "Ring"-Uraufführung Patrice Chereau und mischte die Karten neu.

Bayreuth war und blieb ein Hort Aufsehen erregender Experimente. Das war Wolfgang Wagners Werk. Er sorgte nicht nur im szenischen Bereich für Diskussionen, er verpflichtete auch Dirigenten wie Pierre Boulez oder Carlos Kleiber.

Lars von Trier, Schlingensief

Wie wenig der 83jährige Verwalter des großväterlichen Erbes seinen streitbaren Geist eingebüßt hat, bewies er mit seinen jüngsten Entscheidungen. Während Kulturpolitik und deutsches Feuilleton noch ihre Wunden leckten, nachdem klar wurde, dass er nicht daran dachte, sein Büro zu räumen, verkündete er die nächsten prägenden Festspielkünstler: Mit Christian Thielemann war der wohl bemerkenswerteste junge Wagner-Dirigent für "Tannhäuser" und den ab 2006 neu zu gestaltenden "Ring des Nibelungen" gewonnen - den der avantgardistische, mit minimalen Mitteln arbeitende Filmemacher Lars von Trier inszenieren wird.

Für "Parsifal" kehrt Pierre Boulez ans Bayreuther Dirigentenpult zurück und betreut eine Inszenierung des Regie-Enfant-terribles Christoph Schlingensief. Den neuen "Tristan" wird Christoph Marthaler herausbringen. Radikaler kann man für Bayreuth nicht vorausplanen.

Wolfgang Wagner hat damit aufs Neue alle Gegenspieler ausgetrickst. Dass ihm die Subventionsgeber mit Klaus Schultz einen Assistenten zur Seite gesellt haben, nimmt er gelassen. Er hat mit der Vorausplanung für den "Ring" alle künstlerischen Entscheidungen für die Zeit bis 2008 getroffen.
Mit Thielemann steht eine der führenden Dirigenten unserer Zeit ganz im Dienste Bayreuths, er hat auch alle übrigen, vor allem Salzburger Verpflichtungen abgesagt. Und Tochter Katharina wird bis dahin zwar nicht in Bayreuth, so doch rundum viel Erfahrung sammeln können . . .

↑DA CAPO